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HAMBURGER ABENDBLATT: Inlandspresse, Hamburger Abendblatt zum Verfassungsgerichtsurteil

Geschrieben am 07-09-2011

Hamburg (ots) - Ein Kommentar von Christoph Rind

Mit ihrem Urteil zur Euro-Rettung wollen die Verfassungsrichter es
allen recht machen. Dennoch ist es klug und ausgewogen, was allein
daran abzulesen ist, dass sogar die klagenden Skeptiker des
monströsen Euro-Rettungsschirms - wenn auch verhalten - zufrieden
sind. Ähnlich ergeht es ihren politischen Kontrahenten, den
Befürwortern noch großzügigerer dirigistischer Maßnahmen zur
Überwindung des Schuldendilemmas. Auch die glücklos lavierende
Kanzlerin konnte gestern nach dem Urteilsspruch ganz kurz aufatmen.
Ihre auf die Wirren der Finanzkrise mehr reagierende als agierende
Taktik ist zunächst einmal aufgegangen. In dem 54-Seiten-Urteil
bescheinigen ihr die obersten Richter, dass sie bisher mit den
umfangreichen Finanzhilfen für Griechenland und dem Euro-Paket die
Rechte der Parlamentarier nicht verletzt hat. Dennoch nimmt das
Urteil Rücksicht auf die verletzten Seelen derjenigen Abgeordneten,
die sich und ihre Stimme übergangen sehen, weil sie am Ende doch nur
abnicken können, was die Regierungschefin und ihr Finanzminister mit
den europäischen Amtskollegen ausgehandelt haben. Auch sie können
sich im Urteil bestätigt sehen. Denn in Zukunft müssen die
Finanzhilfen nach den Vorgaben des Verfassungsgerichts Schritt für
Schritt vom Haushaltsausschuss bestätigt werden. So steht auf dem
Richter-Zeugnis für die Regierung, dass sie sich bislang zwar nichts
habe zuschulden kommen lassen, aber ergänzt durch die mahnende
Fußnote: Dies ist "keine Blanko-Ermächtigung für weitere
Rettungspakete". Das ungute Gefühl, das Parlament könne vielleicht
doch bei der Euro-Rettung übergangen werden, ist vorerst vom Tisch.
Das bedeutet aber auch: Der Kanzlerin wird es in Zukunft noch
schwerer gemacht. Und das ist gut so. Denn die politischen Antworten
auf die besorgniserregenden Fragen der Schuldenkrise sind höchst
komplex und passen nicht in alte Schwarz-weiß- oder
Links-rechts-Raster der klassischen politischen Lager. Selbst die
Experten der Finanzwelt sind bei der Euro-Rettung uneins wie nie.
Denn für diese Krise gibt es kein Muster, kein Beispiel, auf das sich
die Retter einigen könnten. Selbst wer die gegensätzlichen Argumente
genau studiert, etwa das Für und Wider zu Euro-Bonds, bleibt am Ende
ratlos zurück. So wie der Finanzmarkt, dessen merkwürdige Reaktionen
mehr die Nervosität aller Beteiligten als die Realität in der
Wirtschaft spiegeln. Augenmaß und vorsichtiges Taktieren mit dem
Blick auf das Machbare sind da von Vorteil. Zwei politische
Charaktereigenschaften, die der Kanzlerin eigentlich vertraut sind.
Aber die Ergebnisse ihrer politischen Arbeit muss sie auch mit den
besten Argumenten in ihre Partei transportieren. Als Regierungschefin
wird sie nur erfolgreich sein, wenn die Abgeordneten der
Regierungsparteien sie nach Kräften unterstützen. Dass es an dieser
Vertrautheit bis in die letzten Reihen fehlt, belegen die Abweichler
aus dem eigenen Lager, die gerade erst bei der Probeabstimmung
Muskeln gezeigt haben. Diesem Warnschuss muss das Bemühen folgen,
warum die Frau an der Spitze diesen und keinen anderen Weg verfolgt.
Das ist schwer genug, zumal die der schwarz-gelben Koalition
unterstellten Kernsätze kaum wiederzuerkennen sind. Erst wenn diese
Überzeugungsarbeit gelingt, kann der nächste - für das politische
Überleben der Regierung - weit wichtigere Schritt folgen. Nicht nur
die Parlamentarier, deren Karriere vom Erfolg der Koalition abhängt,
wollen überzeugt werden und mit Herz und Verstand den Sinn der
historisch ungewöhnlichen Maßnahmen nachvollziehen können. Auch die
Wähler haben ein ähnliches Bedürfnis. Auf deren - auf unsere - Kosten
sind alle Zahlungsversprechen und Bürgschaften ausgestellt, die
Kinder und Enkel mit eingeschlossen. Dafür sollte es verdammt gute
Gründe geben.



Pressekontakt:
HAMBURGER ABENDBLATT
Ressortleiter Meinung
Dr. Christoph Rind
Telefon: +49 40 347 234 57
Fax: +49 40 347 261 10
christoph.rind@abendblatt.de meinung@abendblatt.de


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