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Rheinische Post: Kommentar: Fukushima 21: Das waren keine normalen Wahlen

Geschrieben am 27-03-2011

Düsseldorf (ots) - Hätte die Erde vor Japans Küste nicht gebebt
und hätte das nicht in der Folge eine drohende Nuklearkatastrophe
ausgelöst, wäre der baden-württembergische Grüne Winfried Kretschmann
nicht der wahrscheinlich nächste Ministerpräsident in Stuttgart. Für
die dortige Wahl gilt die Zeitrechnung "vor Fukushima" und "nach
Fukushima". Angesichts der deutschen Debatte musste man ja stündlich
annehmen, der Super-GAU stünde bevor, und zwar irgendwo zwischen
Freiburg und Stuttgart. CDU-Ministerpräsident Stefan Mappus und seine
liberalen Koalitionspartner mochten noch so häufig auf ihre
stattliche Erfolgsbilanz im Ländle verweisen - die Angst vor dem Atom
überwog. Wie Mappus zunehmend hilflos vor und hinter den Kulissen
agierte, tat sein Übriges. Mit nur 41 Prozent Zustimmung hatte er die
zweitschlechtesten je gemessenen Zustimmungswerte eines
Ministerpräsidenten. Mappus' Renommee, das der
Kurzzeit-Ministerpräsident anfänglich mit tollpatschigen Auftritten
in der Debatte um den Bahnhofsneubau Stuttgart 21 ruinierte, konnte
auch Heiner Geißler nicht wieder herbei moderieren. Der Kandidat war
der falsche. Und die Berliner Politik war die falsche. Die Kehrtwende
in der Atompolitik und das Geplapper darüber, das Brechen in der
Euro-Krise gegebener Versprechen, zuletzt die Abkehr von den
transatlantischen Verbündeten durch die Enthaltung in der
Libyen-Frage - Angela Merkel und Guido Westerwelle waren dieses Mal
keine Wahlkampf-Zugpferde. Trotzdem werden beide die Wahldesaster im
Südwesten überstehen. Sie können auf den Sondereffekt der
Fukushima-Wahl verweisen. Anders als Gerhard Schröder 2005 werden sie
keine Neuwahlen anstreben. Das käme angesichts des Zustands der
schwarz-gelben Koalition auch dem politischem Selbstmord gleich.
Anders als Schröder hat die Kanzlerin zudem keine ernstzunehmende
Opposition in den eigenen Reihen zu fürchten. Strategisch hat Merkel
aber zu prüfen, ob sie mit ihrer Liberalisierung der CDU zu rasch und
zu weitreichend war. Sie hat dafür zwar viel Beifall im anderen Lager
geerntet, aber sie hat damit noch nie eine Wahl für das eigene Lager
gewonnen. Und Westerwelle? Er muss in seiner FDP zwar die Kronprinzen
Christian Lindner und Philipp Rösler argwöhnisch beobachten, aber
ihre Signale vom Sonntag klangen zögerlich. Beide sind jung, sie
warten, wie die Berliner Schicksalsgemeinschaft Schwarz-Gelb die
Bundestagswahl 2013 übersteht. Gewinner dieser Wahlen sind die
Grünen. Erstmals konnte ihr Kernthema Umwelt mit 45 Prozent
Wichtigkeit das Hauptaugenmerk der Wähler auf sich ziehen. Davon und
vom habituellen Wandel unserer Gesellschaft profitieren die Grünen.
Ihr Stuttgarter Wahlsieger Winfried Kretschmann verkörpert kongenial,
dass Grün zunehmend dem Müsli-Öko-Milieu entwächst und auch in
bürgerlichen Kreisen wählbar wird. Der grüne Politikansatz orientiert
sich an den Bedürfnissen der Dienstleistungsgesellschaft. Er ist
keiner der schrumpfenden Industriearbeiterschaft oder der kleinen
Leute, sondern er spricht eine neue Mittelschicht in den besseren
Vierteln an. Die Grünen sind die neue Mittelpartei zwischen den
Volksparteien, wobei die SPD diese Funktion mangels Wählermasse im
Süden und Teilen des Ostens nicht mehr wahrnehmen kann. Eine solche
Konstellation ermöglicht es erst, dass ein 24-Prozent-Mann wie
Kretschmann Ministerpräsident eines wichtigen Flächenlandes werden
kann. Ob dies zu stabilen Regierungsverhältnissen in der Heimat von
EnBW, Porsche und Bosch führt, bleibt zweifelhaft. Zu den Verlierern
dieser Wahl gehören auch die Sozialdemokraten. Ihre Ergebnisse in
beiden Ländern sind desaströs, im wichtigen Baden-Württemberg haben
sie die Führerschaft im linken Lager an die Grünen verloren.
Programmatisch und personell wirken sie biederer als die Grünen. Wohl
auch deshalb bemühte ein angeschlagener Kurt Beck in Mainz ebenfalls
Fukushima als Ursache für den Absturz seiner SPD, der doch aus zwei
Jahrzehnten rotem Filz resultiert. Die Wahlergebnisse überforderten
den alten Fahrensmann Kurt Beck. Das Land ändert sich - zu schnell
für ihn und wohl viele andere.



Pressekontakt:
Rheinische Post
Redaktion

Telefon: (0211) 505-2303


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