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Landeszeitung Lüneburg: Landeszeitung Lüneburg: ,,Der Westen muss genauer hinschauen" -- Interview mit der Russland-Experten Dr. Gabriele Krone-Schmalz, die mehr Offenheit und Vertrauen gegenüber Russ

Geschrieben am 15-01-2011

Lüneburg (ots) - Wie beurteilen Sie den Streit um das neue
Mediengesetz Ungarns, zumal Ungarn nun auch die
EU-Ratspräsidentschaft innehat?

Dr. Gabriele Krone-Schmalz: Ich frage mich, wie die Reaktionen
ausfallen würden, wenn es um Russland ginge. Sie würen vermutlich
heftiger und wären uns die eineoder andere Sondersendung wert.

Wird die EU von ihren Sanktionsmöglichkeiten Gebrauch machen,
solange Ungarn den Ratsvorsitz innehat?

Krone-Schmalz: Das weiß ich natürlich nicht. Allerdings bin ich
eher skeptisch, was Sanktionen durch die EU betrifft. Das klappt ja
bei den Stabilitätskriterien für den Euro auch nicht. So schön der
Traum von einem vereinten Europa ist, und so sehr wir auch als
Deutsche darauf angewiesen sind, es scheint mir eine Menge Heuchelei
in der politischen Diskussion zu sein. Denn jeder weiß, dass die
einzelnen Länder gerade wirtschaftspolitisch höchst unterschiedliche
Interessen haben. Die Volkswirtschaften und nicht zuletzt die
Prioritäten, die Menschen eines Landes für sich setzen, sind nach wie
vor sehr unterschiedlich. Alle die im Vorfeld des Euro gewarnt haben,
wurden mit dem Vorwurf kaltgestellt, sie wollten Europa nicht. Für
mich sind diejenigen, die Probleme deutlich ansprechen, die besseren
Europäer und nicht zuletzt auch die besseren Demokraten.

Zurück zum Thema Pressefreiheit. Auch Russland und Weißrussland
zählen zu den Ländern, in denen es Journalisten schwer haben. Das
Europäische Parlament hat nach der Ermordung der
Tschetschenien-Expertin Anna Politkowskaja Umgang Russlands mit
Journalisten verurteilt. Hat sich dadurch etwas geändert?

Krone-Schmalz: Als erstes: In Weißrussland steht mit Präsident
Lukaschenko jemand an der Spitze, der sich um nichts als die eigene
Macht schert. Das kann man nicht in einen Topf mit Russland werfen,
wo seit Beginn dieses Jahrhunderts große Anstrengungen unternommen
werden, um rechtsstaatliche Strukturen aufzubauen. Davon kann in
Weißrussland keine Rede sein. Dann während der Amtszeit Jelzins war
die Zahl der ermordeten Journalisten höher als bei Putin. Das macht
es nicht besser, sagt aber eine Menge darüber aus, wie die gleichen
Dinge unterschiedlich wahrgenommen werden können. Jelzin war der
gemütliche Großvatertyp, Putins Image ist untrennbar mit seiner
Geheimdienstvergangenheit verbunden. Und schließlich hat die
Ermordung von Anna Politkowskaja viel mehr mit Tschetschenien und
Korruption als mit dem Stichwort Pressefreiheit zu tun, was an der
verabscheuungswürdigen Tat selbst nichts ändert, aber eine Rolle
spielt bei der Suche nach Motiven und Tätern. Zynisch oder nicht,
Tatsache ist, dass der Tod dieser Journalistin Putin und seiner
Regierung wesentlich mehr geschadet hat und weiter schadet als einst
ihre regierungskritische Arbeit. Russland ist sicher kein Hort der
Pressefreiheit, aber es gibt weit mehr kritische Sendungen und
Publikationen, als man hier im Westen denkt. Die Widersprüche auf
diesem Gebiet sind ähnlich gigantisch wie die Ausmaße dieses Landes.

Sie waren viele Jahre ARDKorrespondentin in Moskau. War das
Recherchieren schwierig oder gar gefährlich?

Krone-Schmalz: Gefährlich, nein, schwierig ist relativ. Als ich
1987 nach Moskau kam, waren Gorbatschows Perestroika und Glasnost
bereits zu spüren. Es waren die Russen, bzw. die Sowjetbürger selbst,
die gesellschaftliche Missstände und Regierungspolitik am schärfsten
kritisierten und die Ausländer quasi mit der Nase drauf stupsten. Es
war möglich, mit laufender Kamera in Geschäfte oder Verwaltungen zu
gehen. Das funktioniert nicht mal in Deutschland. Das Maß der
Pressefreiheit war Ende der 80er-Jahre am höchsten, obwohl sie da
noch gar nicht in der Verfassung verankert war. Das hat sich dann
unter Jelzin und der im Westen vielfach bejubelten
Privatisierungswelle stark verändert. Denn auch Medien wurden
privatisiert, sodass diejenigen, die das Geld gaben, bestimmten, was
publiziert wurde. Ohne Jelzins Verdienste schmälern zu wollen, seine
politische Hinterlassenschaft waren Chaos, Anarchie, Halbfeudalismus
und kriminelle Strukturen. Putin war dann derjenige, der anfing
aufzuräumen. Dabei ist auch nicht alles optimal gelaufen, aber die
Richtung stimmte. Die meisten Menschen im Westen machen sich keine
Vorstellung davon, wie schwierig es war, die Staatlichkeit überhaupt
erst wieder herzustellen.

Gibt es bezüglich kritischer Berichterstattung ein Gefälle
zwischen Moskau oder St. Petersburg und dem riesigen Hinterland?

Krone-Schmalz: Ja und nein. In den Metropolen finden Sie alles von
regierungstreu bis aufmüpfig. Die Radiosender EchoMoskvy und Russkaja
Radio haben tägliche Livesendungen, in denen Hörer anrufen können, um
ihre Meinung zu aktuellen Themen zu sagen Chodorkowskij-Urteil oder
Korruption im örtlichen Polizeirevier, und die nehmen kein Blatt vor
den Mund.

Aber anonym, oder?

Krone-Schmalz: Nein, es sind ganz normale Bürger, die auch ihren
Namen nennen. Und das Verrückte an diesem Beispiel ist, dass einer
der Sender (Echo Moskvy) Gazprom gehört, also dem Machtfaktor in
Russland.

Und wie sieht es in der ,,Provinz" aus?

Krone-Schmalz: Auch da finden Sie die gesamte Bandbreite,
allerdings nicht flächendeckend, sondern regional sehr
unterschiedlich. Während beispielsweise in Perm ein Taxiunternehmer
mit großem Erfolg eine oppositionelle Zeitung herausgibt, verliert in
Krasnodar der Chefredakteur eines örtlichen Fernsehsenders seinen
Job, weil er die umfänglichen Pressemitteilungen der Stadtverwaltung
auf Nachrichtenformat zurechtstutzt. Russland erstreckt sich über 11
Zeitzonen. Ginge man hier 11 Zeitzonen gen Westen, landete man in
Hawaii (!), und alles dazwischen ist ein Land. Provinz in der
Bedeutung von Hinterwäldlertum trifft in dem Sinne auf Russland nicht
zu.

Welches Bild haben denn die Russen von Deutschland?

Krone-Schmalz: In der Regel ein eher gutes. Russen sind auch sehr
gut informiert. Nach meinem Eindruck hat das Bild allerdings ein paar
Kratzer bekommen, weil Russland von Deutschland mehr Verständnis für
seine schwierige Lage erwartet hat. Nicht zuletzt auch aufgrund der
Tatsache, dass die deutsche Vereinigung ohne Gorbatschow und seine
Politik nie möglich gewesen wäre. Ein Riesenschritt für die damalige
Sowjetunion. Putin hat zu Beginn seiner Amtszeit lauter positive
Signale Richtung Westen gesandt, suchte die Annäherung an
Deutschland, hat unterschiedlichste Angebote der Zusammenarbeit
gemacht und hat nichts Substantielles zurückbekommen, weil alle immer
nur auf seine Geheimdienstvergangenheit gestarrt haben, statt seine
konkreten politischen Schritte unter die Lupe zu nehmen. Das hat in
Russland große Enttäuschung ausgelöst. Deutschland ist zwar immer
noch im Vergleich zu anderen EU-Ländern oder USA sehr beliebt, aber
so wie es einmal war, ist es nicht mehr.

Welcher Präsident hat am meisten für Russlands Entwicklung getan?

Krone-Schmalz: Wenn ich jetzt sage Putin, zerreißen mich alle in
der Luft. Gorbatschow hat überhaupt erst einmal die Voraussetzungen
geschaffen, dass sich Russland öffnet. Mehr war zu dem Zeitpunkt
nicht möglich. Und er hat dafür gesorgt, dass diese stark verkrustete
Sowjetunion im Wesentlichen unblutig aufgebrochen wurde. Eine
Riesenleistung. Dass es durchaus anders laufen kann, sogar bei
wesentlich kleineren Ländern, zeigt das Beispiel Jugoslawien. Jelzin
hingegen war für die Entwicklung Russlands mit Blick auf seine
politische Bilanz von Anfang bis Ende ein Desaster. Er hat
Schlüsselindustrien und Medien privatisiert ohne Rücksicht darauf,
was das für das Land praktisch bedeutet. Vermutlich hat er's nicht
mal realisiert. Putin war dann das Kontrastprogramm. Er hat Russland
nach all den Demütigungen Selbstvertrauen und Selbstbewusstsein
zurückgegeben. Zudem gehen auf Putins Konto viel mehr Gesetze, die
das Land Richtung Rechtsstaatlichkeit vorangebracht haben, als im
Westen zur Kenntnis genommen wurde. Demokratie ist ohne Stabilität
nicht zu haben. Das sollten wir in unseren überschaubaren
durchstrukturierten Gesellschaften im Westen nicht vergessen.

Kürzlich machte im Chodorkowskij-Prozess Dmitri Medwedew
Schlagzeilen, weil er vor der Urteilsverkündung betonte, dass weder
ein Präsident noch ein anderer Beamter das Recht habe, seine Position
vor der Urteilssprechung kundzutun. Eine Spitze gegen Putin?

Krone-Schmalz: Putin und Medwedew sind ein hervorragend
funktionierendes Team mit einer gut abgesprochenen Arbeitsteilung.
Ich halte es nicht für ausgeschlossen, dass Medwedew quasi nur
geraderücken musste, dass Putin sich ein bisschen zu weit aus dem
Fenster gelehnt hatte. Für Medwedew wiederum eine gute Gelegenheit,
sich ins rechte Licht zu rücken, zumal er Jurist ist. Also alles
andere als eine Kontroverse.

Und wie lässt sich Medwedews Kritik an Weißrusslands
Niederschlagung der Demonstranten einordnen?

Krone-Schmalz: Medwedew ist sicher jemand, der aus voller
Überzeugung für Gewaltenteilung ist und aus voller Überzeugung
versucht, einen modernen Staat zu formen.

Was halten Sie von Altkanzler Gerhard Schröders Aussage, Putin sei
,,ein lupenreiner Demokrat"?

Krone-Schmalz: Das war ein großer Fehler in seiner ansonsten 100
Prozent richtigen Russland-Politik. Er war nicht den gängigen
Stereotypen verfallen und hat den Russen auch mal etwas geglaubt. Er
ist sehr pragmatisch an Dinge herangegangen. Nur eben jene Aussage
hat vieles wieder eingerissen und dürfte noch nicht einmal
Putingefallen haben.

Was ist übrig geblieben von der Perestroika-Politik, die einst
Michail Gorbatschow vorangetrieben hatte?

Krone-Schmalz: Alles, was sich jetzt abspielt, wäre ohne
Perestroika nicht zustande gekommen. Glauben Sie weiterhin an
Russland?

Krone-Schmalz: Ich möchte gerne den russischen Wissenschaftler,
Dr. Dmitri Trenin, Vize-Direktor am Moskauer Carnegie Centrum,
zitieren, dergesagt hat: ,,Die russische Politik, die immer noch sehr
an Personen gebunden und größtenteils intransparent ist, sollte den
Russen selbst überlassen werden. Der Westen muss aufhören, darüber
nachzudenken, was gut für Russland ist und sollte sich darauf
konzentrieren, was gut für den Westen ist. Irgendwann könnte es ein
überraschend großes Maß an Übereinstimmung zwischen beidem geben."
Genauso ist es. Das Gespräch führte Dietlinde Terjung



Pressekontakt:
Landeszeitung Lüneburg
Werner Kolbe
Telefon: +49 (04131) 740-282
werner.kolbe@landeszeitung.de


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