(Registrieren)

Mittelbayerische Zeitung: Das Schwarze-Peter-Spiel/Schuldzuweisungen nutzen niemandem. Das Gesundheitssystem muss rundum erneuert werden.

Geschrieben am 22-12-2010

Regensburg (ots) - Der Streit im Gesundheitswesen erinnert an ein
beliebtes Kartenspiel, das offensichtlich nicht nur Kindern gefällt:
an das Schwarze-Peter-Spiel, bei dem sich die Akteure gegenseitig die
Schuld zuweisen. Das aber hilft niemandem weiter. So behauptet
Wolfgang Hoppen-thaller, Chef des bayerischen Hausärzteverbands,
Gesundheitsminister Philipp Rösler wolle die Hausärzte vernichten,
indem er die Vorteile, die der Hausärztevertrag für die Mediziner
bietet, durch die Gesundheitsreform de facto aushebelt. Die AOK
Bayern versklave überdies die Hausärzte, weshalb Hoppenthaller seine
Kollegen aufruft, aus dem Kassensystem auszusteigen. Dafür wird er
als "Rechtsbrecher" bezeichnet - und sägt zudem den Ast ab, auf dem
die Allgemeinmediziner sitzen. Denn allein von Privatpatienten werden
die Hausärzte nicht leben können. Die Lösung des Problems kann auch
die Rückgabe der Kassenzulassungen nicht sein. Vor allem, weil sie
auf Kosten der Versicherten geht - die, wenn sie alt, krank, immobil
und nicht besonders reich sind, Schwierigkeiten haben werden, sich
behandeln zu lassen. Doch die Aktion kann Anstoß für eine
tiefergehende und notwendige Reform sein. Seit Jahrzehnten besteht
ein fundamentales Problem im Gesundheitssystem. Das Geld reicht
nicht, die Menschen werden zwar erfreulicherweise älter, brauchen
aber deshalb immer länger und intensivere medizinische Behandlung,
deren Kosten nicht zuletzt durch den rasanten technischen Fortschritt
ins Unermessliche steigen. Die Therapie der Politik bisher: Man
schröpft meist die Versicherten - durch höhere Zuzahlungen, die
Praxisgebühr, den Wegfall von Leistungen aus dem Katalog der
Krankenkassen etc. Das aber war nur Kosmetik - und das, obwohl es
sich beim Gesundheitssystem um einen schwerkranken Patienten handelt.
Ein System, das nur durch einen schwerwiegenden operativen Eingriff
geheilt werden kann. Eine grundlegende Reform traut sich die Politik
jedoch seit Jahren nicht zu. Zu viele Interessen - die der Ärzte, der
(privaten) Krankenkassen, der Pharmaindustrie - sind berührt. Alles
mächtige Akteure im Spiel um Macht und Geld. Das, worum sich die
Akteure nun streiten, sind die Folgen unzureichender Rezepte, die in
der Vergangenheit verschrieben wurden und dem Patienten nur Luft
zufächelten. Ob berechtigte Forderung oder Jammern auf hohem Niveau -
immerhin verdienen bayerische Hausärzte durch den Hausarztvertrag
laut AOK Bayern 18 Prozent mehr als ihre Kollegen im Rest
Deutschlands: Die Drohung der Allgemeinmediziner, das System versagen
zu lassen, baut zurecht Druck auf die Politik auf. Sie muss dem
kranken, weil chronisch unterfinanzierten Gesundheitssystem endlich
eine umfassende Therapie verschreiben. Ein erster Ansatz wäre, den in
der neuesten Gesundheitsreform eingefrorenen Arbeitgeberbeitrag
aufzutauen. Rösler hat einen schweren Fehler begangen, die
paritätische Finanzierung, einst Grundpfeiler des Gesundheitshauses,
abzuschaffen. Zum zweiten muss die Beitragsbasis der gesetzlichen
Krankenkassen verbreitert werden - Selbstständige und Beamte sollen
ebenso wie abhängig Beschäftigte ins solidarische System einzahlen.
Auf der Ausgabenseite muss durch einen unabhängigen Arznei-TÜV
endlich der Selbstbedienungsladen für die Pharmaindustrie geschlossen
werden. Ferner muss das System transparenter werden. Vor allem für
die Patienten, die durch eine Rechnung, wie sie privat Versicherte
vom Arzt erhalten, die tatsächlichen Kosten einer Behandlung
einschätzen könnten. Und den Hausärzten muss ausreichende
Wertschätzung entgegengebracht werden. Sie haben vom Gesetzgeber
einst den wichtigen Auftrag erhalten, die Patienten durch das mehr
als komplizierte Gesundheitssystem zu lotsen und damit etwa unnötige
und teure Mehrfachbehandlungen zu vermeiden - dafür haben sie
zumindest Planungssicherheit verdient.



Pressekontakt:
Mittelbayerische Zeitung
Redaktion
Telefon: +49 941 / 207 6023
nachrichten@mittelbayerische.de


Kontaktinformationen:

Leider liegen uns zu diesem Artikel keine separaten Kontaktinformationen gespeichert vor.
Am Ende der Pressemitteilung finden Sie meist die Kontaktdaten des Verfassers.

Neu! Bewerten Sie unsere Artikel in der rechten Navigationsleiste und finden
Sie außerdem den meist aufgerufenen Artikel in dieser Rubrik.

Sie suche nach weiteren Pressenachrichten?
Mehr zu diesem Thema finden Sie auf folgender Übersichtsseite. Desweiteren finden Sie dort auch Nachrichten aus anderen Genres.

http://www.bankkaufmann.com/topics.html

Weitere Informationen erhalten Sie per E-Mail unter der Adresse: info@bankkaufmann.com.

@-symbol Internet Media UG (haftungsbeschränkt)
Schulstr. 18
D-91245 Simmelsdorf

E-Mail: media(at)at-symbol.de

307974

weitere Artikel:
  • Neue OZ: Kommentar zu Europa / Ungarn / Medien Osnabrück (ots) - Druck erhöhen Der Proteststurm der EU kommt spät. Erst kurz bevor Ungarn am 1. Januar die EU-Präsidentschaft übernimmt, haben die Protagonisten in Brüssel begriffen, was sich im Osten des Kontinents zusammenbraut. Das böse Wort Zensur macht die Runde. Tatsächlich gehen die Vollmachten der nationalen Medienbehörde Ungarns zu weit. Sie darf gegen private Fernseh- und Radiosender, Zeitungen und Internetportale hohe Geldstrafen verhängen. Wofür, das ist im neuen Mediengesetz bewusst vage formuliert. Welche Inhalte mehr...

  • Neue OZ: Kommentar zu Auto / Volkswagen Osnabrück (ots) - Mehr Wachstum - weniger Lohn Er läuft und läuft und läuft: Jahrelang warb Volkswagen mit diesem Slogan sehr erfolgreich für seinen Käfer. "Er wächst und wächst und wächst", wäre für den Wolfsburger Konzern heute passender. Seit Jahren scheint das Wachstum von Volkswagen keine Grenzen zu kennen. Sollte sich diese Entwicklung fortsetzen, dürfte es nur noch eine Frage von wenigen Jahren sein, bis Volkswagen Toyota von der Weltspitze verdrängt hat. Der Kampf um die Nummer eins entscheidet sich allerdings nicht mehr...

  • Neue OZ: Kommentar zu Umwelt / Klima / Verbraucher Osnabrück (ots) - Von Übel Möglich, dass die Entscheidung der EU gegen die energiefressende Glühbirne und für die quecksilberhaltige Energiesparlampe die Wahl des kleineren Übels war. Als das EU-Parlament die Glühbirne ausknipste, wussten die Abgeordneten natürlich, dass sie ein Energieproblem gegen ein Entsorgungsproblem eintauschten. Der eigentliche Skandal ist deshalb, dass bei Inkrafttreten des sukzessiven Glühbirnenverbots nicht auch eine Regelung für die umweltgerechte Entsorgung der giftigen Sparlampen stand. Ähnliches mehr...

  • Neue OZ: Kommentar zu Schwarzenegger Osnabrück (ots) - Gemischte Bilanz Manches wird bleiben, auch wenn er geht. Denn auf Arnold Schwarzenegger folgt mit Jerry Brown ein Gouverneur in Kalifornien, der sich schon in den 70er-Jahren einen Ruf als radikaler Öko erwarb - so sehr, dass er Hauptfigur eines der wenigen echten Punk-Hits wurde: "California Über Alles", in dem Jello Biafra und die Dead Kennedys ihn 1979 als totalitären Gutmenschen verspotteten. Von Januar an ist Demokrat Brown nun erneut im Amt. Auf dem Umwelt-Sektor wird er es schwer haben, Schwarzenegger mehr...

  • Rheinische Post: Kampf um Honorar Düsseldorf (ots) - Kommentar von Eva Quadbeck Das mehrheitliche Votum der bayerischen Ärzte, ihre Krankenkassen-Zulassung zu behalten, ist ein Sieg der Vernunft. Eine andere Entscheidung wäre ein Fiasko gewesen für Ärzte und Versicherte. Die Versicherten in Bayern wären ab Sommer für eine Industrie-Nation unwürdig schlecht medizinisch versorgt, viele Ärzte wären schlicht ihrer Existenz beraubt worden. Denn wer seine Zulassung zurück gibt, kann sechs Jahre lang keine gesetzlich versicherten Patienten mehr abrechnen. Der Chef mehr...

Mehr zu dem Thema Aktuelle Politiknachrichten

Der meistgelesene Artikel zu dem Thema:

LVZ: Leipziger Volkszeitung zur BND-Affäre

durchschnittliche Punktzahl: 0
Stimmen: 0

Bitte nehmen Sie sich einen Augenblick Zeit, diesen Artikel zu bewerten:

Exzellent
Sehr gut
gut
normal
schlecht