(Registrieren)

LVZ: Ohne Euphorie

Geschrieben am 26-09-2006

Leipzig (ots) - von Gerd Niewerth
Europas blau-gelbes Sternenbanner knattert laut im Wind, Kinder aus
25 Ländern singen feierlich Schillers "Ode an die Freude". Der 1.
Januar 2004 in Dublin, die große Familienfeier anlässlich der
Aufnahme zehn neuer Länder, gilt als historisches Datum. Ein Tag, an
dem ein Märchen wahr wurde.
Heute, keine drei Jahre später, hat sich die Erweiterungseuphorie
verflüchtigt. Die Bulgaren und Rumänen wirken wie lästige Nachzügler.
Wie die armen Vettern, die der reiche Onkel in fetten Jahren
großzügig zu sich ins Haus eingeladen hatte, denen er aber heute nur
einen kargen Platz am Katzentisch anbietet. Angesichts der strengen
Schutzklauseln und Auflagen, die Brüssel den Neuen verpasst hat,
gelten diese als Europäer zweiter Klasse. Ein Stigma, das sie sich
allerdings selbst zuzuschreiben haben. Wer das gefährliche Übel
Korruption nicht in den Griff bekommt und Mafiabanden die Straße
überlässt, muss sich nicht wundern, dass Brüssel nun energisch die
Daumenschrauben anzieht.
Trotz nach wie vor gravierender Defizite muss freilich niemand Angst
haben, dass es im feinen Hause Europa drunter und drüber gehen wird.
Derlei Befürchtungen sind nicht neu. Sie gab es auch schon, als die
jungen Demokratien Spanien, Portugal und Griechenland - soeben
befreit vom Würgegriff der Diktatoren - in die Europäische Union
drängten. Heute zählen sie zu Europas Musterknaben. Im Fall Rumänien
und Bulgarien muss ebenfalls an das schwere Erbe erinnert werden, das
beide Länder aus kommunistischen Zeiten angetreten haben.
Die Turbulenzen in den neuen osteuropäischen Mitgliedsstaaten Polen,
Tschechien und Ungarn machen deutlich, dass die eigentliche
Bewährungsprobe dort noch bevorsteht. Wirtschaftlich entwickeln sich
ihre Volkswirtschaften ähnlich prächtig, ein kräftig wachsendes
Bruttosozialprodukt, sinkende Arbeitslosenquoten und stabile
politische Verhältnisse laden ausländische Investoren geradezu ein.
Aber die Mehrheit der Bevölkerung ist psychologisch noch längst nicht
in Europa angekommen. Die künftige Aufgabe der Europäischen
Kommission wird deshalb nicht nur sein, penibel über die Einhaltung
von Schutzklauseln zu wachen. Sie muss energisch mit anpacken, damit
sich zwischen Karpaten und Schwarzem Meer blühende demokratische
Zivilgesellschaften entfalten können.
Trotz aller lästigen Brüsseler Druckmittel und Drohungen dürfen sich
die Bulgaren und Rumänen heute als glückliche Gewinner fühlen. Gut
möglich, dass auch noch die Kroaten 2009 die Aufnahme packen.
Verlierer des Tages sind die unmittelbaren Nachbarn Mazedonien,
Serbien, Kosovo, Montenegro und wohl auch die Türkei. Wann für sie
ein Zimmer im europäischen Haus frei wird, steht in den Sternen.
Solange nach der gescheiterten EU-Verfassung ungeklärt bleibt, wie
der Politikbetrieb im aufgeblähten Europa effizient organisiert
werden kann, ist jede neue Erweiterung riskant. Das alte Europa, das
so reibungslos funktionierte wie ein Automatikgetriebe, existiert
nicht mehr. Und das neue, vereinte Europa muss sich erst noch finden.

Originaltext: Leipziger Volkszeitung
Digitale Pressemappe: http://presseportal.de/story.htx?firmaid=6351
Pressemappe via RSS : feed://presseportal.de/rss/pm_6351.rss2

Rückfragen bitte an:
Leipziger Volkszeitung
Redaktion

Telefon: 0341/218 11558


Kontaktinformationen:

Leider liegen uns zu diesem Artikel keine separaten Kontaktinformationen gespeichert vor.
Am Ende der Pressemitteilung finden Sie meist die Kontaktdaten des Verfassers.

Neu! Bewerten Sie unsere Artikel in der rechten Navigationsleiste und finden
Sie außerdem den meist aufgerufenen Artikel in dieser Rubrik.

Sie suche nach weiteren Pressenachrichten?
Mehr zu diesem Thema finden Sie auf folgender Übersichtsseite. Desweiteren finden Sie dort auch Nachrichten aus anderen Genres.

http://www.bankkaufmann.com/topics.html

Weitere Informationen erhalten Sie per E-Mail unter der Adresse: info@bankkaufmann.com.

@-symbol Internet Media UG (haftungsbeschränkt)
Schulstr. 18
D-91245 Simmelsdorf

E-Mail: media(at)at-symbol.de

31758

weitere Artikel:
  • Rheinische Post: Freiheit, die ich meine - Von WOLFRAM GOERTZ Düsseldorf (ots) - Die Berliner Intendantin Kirsten Harms hat, als sie jetzt den für November geplanten "Idomeneo" absagte, eine absolute Freiheit zugunsten einer konkreten Freiheit geopfert. Die konkrete war die Freiheit von Angst und Sorge, die absolute war die Freiheit der Kunst. Welche ist höher zu bewerten? Es fällt schwer, ins Dröhnen der politischen Kunstbewahrer einzustimmen, die die Freiheit der Kunst nie mit eigenem Leib verteidigen mussten, aber jetzt zum Widerstand der Demokratie gegen recht vage Bedrohungen aufrufen. Gemeinhin mehr...

  • Rheinische Post: Gesundheits-Illusion - Von ANTJE HÖNING Düsseldorf (ots) - Wenn du nicht mehr weiter weißt, gründe einen Arbeitskreis. Die Koalition weiß bei der Gesundheitsreform nicht weiter. Nun sollen Ex-Barmer-Chef Fiedler und Wirtschaftsweiser Rürup sie retten. Das wirft Fragen auf. Etwa nach Rürups Motivation. Der Ökonom hat Blüm (CDU) ebenso beraten wie Ulla Schmidt (SPD). Der Mann ist eben Patriot, mag man denken. Doch wenn er sich nun für die aktuelle Reform hergibt, lässt sich das nur mit unstillbarer Eitelkeit erklären. Rürup selbst hatte den faulen Gesundheitskompromiss so beschrieben: mehr...

  • Rheinische Post: Für die Kinder - Von DETLEV HÜWEL Düsseldorf (ots) - Klarer Fall: Kinder müssen so früh wie möglich gefördert werden. Kindertagesstätten leisten dabei in aller Regel hervorragende Arbeit. Es ist deshalb vernünftig, dass der Staat in sie investiert. Aber auch die Eltern sind beteiligt. In NRW sind deren Beiträge zwar nach Einkommen gestaffelt, doch manchem Elternteil fällt die Zahlung gleichwohl schwer. Eigentlich sollen durch die Elternbeiträge im Landesdurchschnitt 19 Prozent der Kosten abgedeckt werden. Diese Marge wird aber nur in wenigen Kommunen erreicht. Im mehr...

  • LVZ: Ramsauer: Muslime müssen unsere deutschen Integrationsvorstellungen befolgen / "Auf unabsehbare Zeit" darf die Türkei keine volle EU-Perspektive haben Leipzig (ots) - Die CSU hat an die in Deutschland lebenden Muslime appelliert, die von den Deutschen vorgegebenen Integrationsanforderungen zu akzeptieren und zu erfüllen. In einem Interview mit der "Leipziger Volkszeitung" (Mittwoch-Ausgabe) meinte CSU-Landesgruppenchef Peter Ramsauer: "Durch die Zuwanderung ist der Islam als Glaubensrichtung einer Minderheit nach Deutschland gekommen. Wer bei uns leben will, muss sich unseren Anforderungen stellen. Wir haben klare Vorstellungen von Integration. Wir verlangen, dass diese Integrationsvorstellungen mehr...

  • stern: Gysi und Lafontaine plädieren für weitere Koalitionen mit der SPD Hamburg (ots) - Die Fraktionsvorsitzenden der Linkspartei im Bundestag, Gregor Gysi und Oskar Lafontaine, treten für weitere Regierungsbündnisse mit der SPD ein. Im Interview mit dem Hamburger Magazin stern sagt Gysi: "Wenn wir in Berlin für die Menschen ein Stück mehr soziale Gerechtigkeit erreichen könnten, mit welchem Recht dürften wir dann sagen: Ihr habt uns zwar gewählt, aber jetzt sollen die Grünen mitregieren." Lafontaine räumt zwar ein, dass "das Mitregieren für die Partei nichts gebracht" habe, aber "für manchen Hartz-IV-Empfänger, mehr...

Mehr zu dem Thema Aktuelle Politiknachrichten

Der meistgelesene Artikel zu dem Thema:

LVZ: Leipziger Volkszeitung zur BND-Affäre

durchschnittliche Punktzahl: 0
Stimmen: 0

Bitte nehmen Sie sich einen Augenblick Zeit, diesen Artikel zu bewerten:

Exzellent
Sehr gut
gut
normal
schlecht