(Registrieren)

Südwest Presse: Kommentar zum Thema Missbrauch

Geschrieben am 28-03-2010

Ulm (ots) - Der Missbrauchsskandal wird die katholische Kirche in
Deutschland mehr verändern als vermutlich jede Weichenstellung im
Vatikan. Denn er hat Vertrauen zerstört - nicht nur in einzelne
Priester und deren vorgesetzte Bischöfe. Die Institution Kirche steht
auf dem Prüfstand. Das belegen aktuelle Umfragen. Diese
Differenzierung ist wichtig. Während die Amtskirche mit Betroffenheit
vom Versagen Einzelner spricht und auch Papst Benedikt XVI. in seinem
Hirtenwort von Schande und Reue schreibt, - gehen die Fragen vieler
Gläubiger weiter. Was begünstigte den sexuellen Missbrauch in einer
Institution, die so hohe moralische Ansprüche erhebt? Wie kam es,
dass die schweren Verbrechen in der Kirchenhierarchie so lax
gehandhabt wurden, dass in Diözesen wie Regensburg bis in die jüngste
Vergangenheit auffällig gewordene Pfarrer versetzt statt suspendiert
und angeklagt wurden? Und warum verdiente das Ansehen der Institution
so viel mehr Schutz als die Kinder, die auffällig gewordenen
Priestern ausgeliefert wurden? Die Fragen gehen über das hinaus, was
Bischöfe und der Papst anzusprechen bereit sind. Diese verharren auf
der individuellen Ebene oder führen gar den Zeitgeist und die
sexualisierte Öffentlichkeit als Ursachen des Übels an. Auch
Benedikts Erklärungsmuster weist in diese Richtung. Er nennt
Fehlinterpretationen des Zweiten Vatikanischen Konzils als eine der
Ursachen für das Fehlverhalten von Geistlichen. Ganz so, als
verspräche eine sittenstrenge Umgebung eine heile Welt. Nach dem
Motto: je rückwärtsgewandter desto untadeliger. Das mag dem
Wertebild des katholischen Oberhirten entsprechen. Mit Wirklichkeit
hat es nichts zu tun. Weder Sittenstrenge noch größte sexuelle
Offenheit schützen Kinder und Jugendliche vor sexuellen Übergriffen.
Das zeigen auch die Vorfälle in der reformorientierten
Odenwaldschule. Die Nebelkerzen, wie sie im Vatikan und von den
Bischöfen Walter Mixa und Ludwig Müller gezündet werden, bringen die
Aufarbeitung des Skandals aber auch nicht voran. Im Gegenteil: Sie
bestärken den Verdacht, dass die katholische Kirche zu einem
Läuterungsprozess nicht in der Lage, vielleicht auch (noch) nicht
Willens ist. Aufarbeitung heißt mehr als nur Transparenz zu schaffen.
So schmerzlich das auch ist. Es bedeutet, sich mit den Ursachen
auseinanderzusetzen: dem durch die sakrale Weihe überhöhten
Priestertum, der oft lebensfeindlichen Sexualmoral der katholischen
Kirche, der Verteufelung der Homosexualität und den Folgen des
Zwangszölibats. Der Zölibat an sich ist nicht die Ursache von
Pädophilie. Schließlich finden die meisten dieser Verbrechen in
nicht-zölibatären Lebensformen statt, nämlich zu 90 Prozent in der
Familie. Doch der Zölibat kann "die Fähigkeit, sich mit der eigenen
Sexualität auseinanderzusetzen und sich dem Prozess zu stellen, der
zur Beziehungsfähigkeit führt, erschweren oder gar verhindern", wie
der Psychotherapeut und Theologe Wunibald Müller erklärt. Diesen
Themen hat sich die katholische Kirche zu stellen, will sie ihre
Stimme in einer pluralen Gesellschaft nicht verlieren. Denn wie
sollten Bischöfe weiter zu moralischen Fragen und gesellschaftlichen
Herausforderungen glaubwürdig Position beziehen können, wenn sie auf
eigenem Terrain kläglich versagen? Die katholische Kirche steht
letztendlich vor der Wahl, sich auf Halbheiten zu beschränken und
damit selbst an den gesellschaftlichen Rand zu manövrieren oder einen
vermutlich langen und tiefen Reinigungsprozess zu beginnen, der
Vertrauen vielleicht irgendwann wieder möglich macht. Eine Rückkehr
zum status ante, wie er noch zu Jahresbeginn war, wird es jedenfalls
nicht geben.

Originaltext: Südwest Presse
Digitale Pressemappe: http://www.presseportal.de/pm/59110
Pressemappe via RSS : http://www.presseportal.de/rss/pm_59110.rss2

Pressekontakt:
Südwest Presse
Lothar Tolks
Telefon: 0731/156218


Kontaktinformationen:

Leider liegen uns zu diesem Artikel keine separaten Kontaktinformationen gespeichert vor.
Am Ende der Pressemitteilung finden Sie meist die Kontaktdaten des Verfassers.

Neu! Bewerten Sie unsere Artikel in der rechten Navigationsleiste und finden
Sie außerdem den meist aufgerufenen Artikel in dieser Rubrik.

Sie suche nach weiteren Pressenachrichten?
Mehr zu diesem Thema finden Sie auf folgender Übersichtsseite. Desweiteren finden Sie dort auch Nachrichten aus anderen Genres.

http://www.bankkaufmann.com/topics.html

Weitere Informationen erhalten Sie per E-Mail unter der Adresse: info@bankkaufmann.com.

@-symbol Internet Media UG (haftungsbeschränkt)
Schulstr. 18
D-91245 Simmelsdorf

E-Mail: media(at)at-symbol.de

259690

weitere Artikel:
  • Westdeutsche Zeitung: Merkel's Türkei-Besuch = von Martin Vogler Düsseldorf (ots) - Wenn Angela Merkel in die Türkei reist, ist das kein normaler Staatsbesuch. Präsident Erdogan ist ein schwer berechenbarer Gesprächspartner, und sie hat zwei Themen im Gepäck, die viele Deutsche extrem aufwühlen: die Integration der Türken in Deutschland und die EU-Mitgliedschaft der Türkei. Die meisten Menschen hier erwarten, dass die Kanzlerin bei beiden Fragen klar deutsche Interessen vertritt. Doch tut sie das zu stark, hat sie ein Problem mit der heimischen Wirtschaft, die auf gute Geschäfte mit den Türken hofft. mehr...

  • Westfalenpost: Neue Bescheidenheit Hagen (ots) - FDP in Sachen Steuern kompromissbereit Von Rudolf Limpinsel Eine gewisse Geschmeidigkeit kann man den Liberalen nicht absprechen, wenn man die Wochenend-Äußerungen zur Steuerreform sortiert. Fünf Steuerstufen statt drei, Entlastung erst von 2012 an statt schon im kommenden Jahr, Entlastung um 16 statt 19 Milliarden Euro, vielleicht auch nur um einen zweistelligen Milliardenbetrag. Das klingt alles nicht mehr ganz so apodiktisch wie zuvor. Es mag sein, dass das Profil der FDP als einer Steuersenkungspartei für die Liberalen mehr...

  • WAZ: Anti-Islam-Demo - Rechnung ging nicht auf. Kommentar von Rolf Kiesendahl Essen (ots) - Ausgerechnet vor der Duisburger Vorzeige-Moschee hatten die Rechtspopulisten von "Pro NRW" zu einer Anti-Islam-Demonstration aufgerufen und damit eine hochbrisante Situation geschaffen. Eine atemberaubende Provokation, auf die zum Glück niemand hereinfiel. Es gab keine ernsthaften Zwischenfälle. Die Gegendemonstranten, 20-mal stärker vertreten als die Veranstalter, taten den rassistischen Stimmenfängern nicht den Gefallen, sich zu Gewalt hinreißen zu lassen. Die rechte Rechnung ist nicht aufgegangen. Kaum einer der mehr...

  • WAZ: Keine Angst vor dem Klimawandel - Licht aus. Kommentar von Christopher Onkelbach Essen (ots) - Millionen Menschen weltweit schalteten am Wochenende das Licht aus. Für den Klimaschutz. Zugleich sinkt nach Umfragen die Furcht vor den Folgen der globalen Erwärmung. Wie passt das zusammen? Es mag die Hoffnung sein, dass es so schlimm nicht kommen wird. Wer schon immer am Klimawandel gezweifelt hat, fühlt sich bestätigt: War der Winter nicht kalt und lang? Haben sich Prognosen der Forscher nicht als fehlerhaft erwiesen? Das Scheitern des Klimagipfels in Kopenhagen empfinden viele als weitere Bestätigung ihrer Zweifel. mehr...

  • WAZ: Liberale lenken bei den Steuern ein - Sinneswandel der FDP. Kommentar von Miguel Sanches Essen (ots) - Was du heute kannst besorgen, das verschiebe nicht auf morgen. So heißt es im Volksmund. Bisher konnte man damit nicht zuletzt die Steuerpolitik der FDP auf einen Nenner bringen. Dieses Wochenende markiert einen Sinneswandel. Das kann man annehmen, wenn FDP-Leute auf allen Kanälen beteuern, eine Steuerentlastung müsse nicht 2011 in Kraft treten. Auf dem Datum habe sowieso nur die CSU beharrt, sagt Birgit Homburger. Soso, die CSU! Die ökonomischen Daten zwingen zu Augenmaß. Das ist die Wahrheit. Und immerhin Generalsekretär mehr...

Mehr zu dem Thema Aktuelle Politiknachrichten

Der meistgelesene Artikel zu dem Thema:

LVZ: Leipziger Volkszeitung zur BND-Affäre

durchschnittliche Punktzahl: 0
Stimmen: 0

Bitte nehmen Sie sich einen Augenblick Zeit, diesen Artikel zu bewerten:

Exzellent
Sehr gut
gut
normal
schlecht