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Südwest Presse: Kommentar zur Vorratsdatenspeicherung

Geschrieben am 02-03-2010

Ulm (ots) - Löschen - und zwar sofort. Derart praktische
Anweisungen gibt das Bundesverfassungsgericht nicht alle Tage. Doch
in ihrem gestrigen Urteil, das die Vorratsdatenspeicherung für
grundgesetzwidrig erklärt, unterstrichen die Richter mit dieser
Vorgabe, welch große Bedeutung sie Datenschutz und Privatsphäre
zumessen. Zugleich straften sie all jene Lügen, die eine Entscheidung
im "Ja - aber"-Stil erwartet hatten. Diese Deutlichkeit ist eine
Absage an einen überbordenden Präventionsstaat und ein Erfolg für all
jene, die in Zeiten tatsächlicher und angeblicher Bedrohungen darauf
beharren, über Jahrhunderte erkämpfte Freiheitsrechte nicht auf dem
Altar einer doch nie zu erfüllenden Sicherheitsillusion zu opfern.
Die Entscheidung ist eine Klatsche für den ehemaligen
Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble, der sich nur aufgrund seines
Wechsels ins Finanzressort nun nicht mit der Frage beschäftigen muss,
ob er zurücktreten soll.
Schließlich ist der Richterspruch - und vor allem seine Begründung -
Nachhilfeunterricht nicht zuletzt für den Bundestag, der das Paket
einst abgenickt hat. Denn Vorschläge, wie sich das Gesetz besser und
vor allem verfassungskonform hätte ausgestalten lassen, hat das
Gericht gleich mitgeliefert.
Seit gestern ist einmal mehr klar: Wer glaubt, mit der ebenso
strapazierten wie schönfärberischen Formel von der "Balance zwischen
Freiheit und Sicherheit" das Gewicht einseitig zulasten der
Bürgerrechte verschieben zu können, scheitert - zumindest wenn er
sich solch grober juristischer Strickmuster bedient, wie es der
deutsche Gesetzgeber bei der Vorratsdatenspeicherung getan hat. Angst
ist bekanntlich ein schlechter Ratgeber und so bedürfen - auch das
lässt sich aus dem Urteil herauslesen - tiefe Eingriffe in die
Freiheit der Bürger stichhaltiger Begründungen. Mehr also, als in den
Raum gestellte Behauptungen, die Speicherung sei zur Terrorabwehr
notwendig oder schwammig gefasste Befugnisse für Strafverfolger oder
Geheimdienste.
Doch auch die Gegner der Speicherung werden sich das Urteil genau
ansehen müssen. Ihr Sieg über die "Datenkrake" ist nicht so
uneingeschränkt, wie sie es hartnäckig im Internet verbreiteten. Denn
das Gericht hat die Speicherung nicht in jeder Form abgelehnt und
schon gar nicht den Stab über der EU gebrochen, auf deren Richtlinie
die Sammlung der Daten zurückgeht. Und ebensowenig mochten die
Richter den im Vorfeld vorgebrachten Bedenken folgen, künftig würden
geheimdienstliche Auswertemethoden auf die Gesamtbevölkerung
angewandt.
Allerdings hat zum zweiten Mal binnen kurzer Zeit eine zumindest auch
über das Internet organisierte Massenbewegung erfolgreich
obrigkeitliche Eingriffe in den Fernmeldebereich abgewehrt: Von
Ursula von der Leyens Gesetz zur Einführung von Internetsperren haben
nach massiven Protesten der Netzgemeinde und der größten Petition
aller Zeiten an den Bundestag mittlerweile fast alle Parteien
eindeutig Abstand genommen; Bald nach der Bundestagswahl waren
plötzlich auch sie von der Nutzlosigkeit des Gesetzes überzeugt.
Gegen die Vorratsdatenspeicherung gingen mehr als 34 000 Beschwerden
ein, ebenfalls massiv begleitet aus den Reihen derer, für die das
Internet fest zur Lebenswelt gehört.
Je öfter die Parteien stümperhaft und bar technischer Kenntnisse
Gesetze auf den Weg bringen, deren Folgen auf freie und unbefangene
Kommunikation sie nicht abschätzen können - oder wollen -, desto mehr
laufen sie Gefahr, die wachsende Generation netzaffiner Menschen zu
verprellen, die sich von ihnen abzuwenden beginnt. Die Piratenpartei,
das sollte zu denken geben, hat ihren Aufstieg nicht zuletzt dieser
Inkompetenz der Etablierten zu verdanken.

Originaltext: Südwest Presse
Digitale Pressemappe: http://www.presseportal.de/pm/59110
Pressemappe via RSS : http://www.presseportal.de/rss/pm_59110.rss2

Pressekontakt:
Südwest Presse
Lothar Tolks
Telefon: 0731/156218


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