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Herta Müller und die Securitate / "Report Mainz", heute, 11.1.2010, 21.45 Uhr im Ersten

Geschrieben am 11-01-2010

Mainz (ots) - Der Schriftsteller und Publizist Franz Thomas
Schleich soll die deutsche Literaturnobelpreisträgerin Herta Müller
in den 1980er Jahren für den rumänischen Geheimdienst Securitate
unter dem Decknamen "Voicu" bespitzelt haben. Einer seiner Berichte
steht am Anfang der Opferakte von Herta Müller und war nach Ansicht
von Experten der Anlass für die Securitate, die rumäniendeutsche
Schriftstellerin ins Visier zu nehmen. Das berichtet das
ARD-Politikmagazin "Report Mainz" heute Abend um 21.45 Uhr im Ersten
unter Berufung auf Aktenbelege, Zeitzeugenberichte, ein
Schriftgutachten und die Einschätzung des Rumänien-Experten der
Birthler-Behörde.

Herta Müller bestätigt die Recherchen von "Report Mainz". Wörtlich
erklärt sie im Interview: "Ja, Franz Schleich steckt dahinter."
Schleich habe als Spitzel "Voicu" für die Securitate einen Bericht
verfasst, in dem er ihrem ersten veröffentlichten Text, dem Roman
"Niederungen", staatsfeindliche Tendenzen vorgeworfen habe. Herta
Müller vermutet, möglicherweise seien "Neidkomplexe" im Spiel
gewesen. Georg Herbstritt, Rumänien-Experte der Birthler-Behörde,
erklärt gegenüber "Report Mainz" zum "Voicu"-Bericht: "Das ist für
den Geheimdienst, die Führungsoffiziere, der Anlass gewesen, eine
Akte über Herta Müller zu eröffnen und die Verfolgung einzuleiten."

Herta Müllers früherer Ehemann Richard Wagner sowie die
rumäniendeutschen Schriftsteller Horst Samson und William Totok, die
damals zum Literaturkreis um Herta Müller gehörten, erklären
gegenüber "Report Mainz", sie hätten "Voicu" zweifelsfrei als Franz
Thomas Schleich identifiziert. Ein Schriftgutachten im Auftrag von
"Report Mainz" untermauert diese Aussagen: Darin heißt es, die
untersuchten handschriftlichen Securitate-Berichte unter dem
Decknamen "Voicu" stammten "mit mindestens hoher Wahrscheinlichkeit"
von Franz Thomas Schleich.

Historiker Herbstritt erklärt im Interview gegenüber "Report
Mainz": "Wenn man die Akten der Betroffenen zusammenlegt, wenn man
die Erinnerungen der Betroffenen mit heranzieht, dann gibt es
eigentlich keinen Zweifel, auf wen es hinausläuft." Die Aussagen
Herta Müllers und der anderen Zeitzeugen seien "völlig plausibel".

Franz Thomas Schleich wollte sich auf Anfrage von "Report Mainz"
zu den konkreten Vorwürfen nicht äußern. In einer E-Mail schrieb er
lediglich, es sei bekannt, dass der rumänische Geheimdienst auch
Akten manipuliert habe: "Diesen Verdacht einer üblen, mehrfachen
Manipulation habe ich auch in meinem Fall." Wissenschaftler und
Zeitzeugen halten diesen Einwand gegenüber "Report Mainz" jedoch
angesichts der zahlreichen handschriftlichen Berichte und anderer
Indizien nicht für stichhaltig.

Franz Thomas Schleich zählte damals zum Bekanntenkreis von Herta
Müller in Rumänien. Er veröffentlichte Gedichtbände und arbeitete als
Journalist für die "Neue Banater Zeitung". Anfang der 1980er Jahre
stellte er einen Ausreiseantrag und machte im Westen mit
regimekritischen Artikeln im "Stern" auf sich aufmerksam. Auf
Vermittlung des damaligen Bundesaußenministers Genscher durfte er
schließlich in die Bundesrepublik ausreisen, wo er sich in
Presseartikeln und Fernsehinterviews als Opfer des Regimes
darstellte. Er lebt bis heute in der Nähe von Ludwigshafen, wo er
Karriere in der Kommunikationsabteilung eines großen Linoleumkonzerns
machte.

Nach Angaben des Zeitzeugen William Totok und des Historikers
Georg Herbstritt gegenüber "Report Mainz" suchte der frühere Spitzel
"Voicu" sogar noch einige Jahre nach seiner Ausreise in die
Bundesrepublik erneut den Kontakt zur Securitate. Wörtlich erklärt
Rumänien-Experte Herbstritt im Interview: "Wir wissen aus den Akten,
dass er nochmal nach Rumänien zurückgekehrt ist (...), und in
Rumänien in der Zeit, in der er dann zu Besuch dort war, noch mal
berichtet hat für die Securitate." "Voicu" sei ein "sehr eifriger
Spitzel gewesen", der bereitwillig Belastendes berichtet habe.

Im Interview mit "Report Mainz" erklärt Herta Müller, die Lektüre
ihrer Opfer-Akte des Geheimdienstes belaste sie: "Ich habe immer
viele Jahre gedacht, im Freundeskreis hätte es keine Spitzel gegeben.
Ich habe jetzt gemerkt, dass das nicht so ist." Es sei nicht leicht,
mit dem Verrat enger Freunde und Bekannter umzugehen: "Es frisst
einen innerlich auf, und man dreht die Dinge im Kopf hunderte Male
hin und her. (...) Das hält einen immer gefangen und es zermürbt
auch." Sie hoffe, dass nun angesichts der Aktenbelege eine Diskussion
in Gang komme und Securitate-Spitzel wie "Voicu" sich erklären und
gegebenenfalls auch juristisch verantworten müssten.

Herta Müller fordert, dass gegen in Deutschland lebende
Securitate-Spitzel ermittelt wird. Es gebe nicht nur ein Defizit bei
der Strafverfolgung, es sei vielmehr bisher gar nichts geschehen.
"Deutschland ist ein gemütliches Reservat für Securitate-Spitzel",
kritisiert die Literaturnobelpreisträgerin. Müller spricht sich
gegenüber "Report Mainz" für eine Aufarbeitung der
Securitate-Vergangenheit nach dem Vorbild des Umgangs mit den
früheren Inoffiziellen Mitarbeitern (IM) des
DDR-Staatssicherheitsdienstes aus. Die Securitate sei auch ein
deutsches Problem: "Sowohl Opfer wie auch Täter sind jetzt hier und
deutsche Staatsbürger." Nach Schätzungen von Wissenschaftlern leben
zwischen 500 und 2.000 frühere Spitzel des rumänischen Geheimdienstes
in Deutschland.

Zitate gegen Quellenangabe frei.

Originaltext: SWR - Das Erste
Digitale Pressemappe: http://www.presseportal.de/pm/75892
Pressemappe via RSS : http://www.presseportal.de/rss/pm_75892.rss2

Pressekontakt:
Bei Fragen wenden Sie sich bitte an "Report Mainz", Tel.:
06131/929-3351.


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