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Berliner Morgenpost: Eine ungeliebte Reform, die besser ist als ihr Ruf - Leitartikel

Geschrieben am 01-01-2010

Berlin (ots) - Bei Erfolgen herrscht an Vätern normalerweise kein
Mangel. In der Regel möchte dann jeder selbst die bahnbrechende Idee
gehabt haben und auch den Mut, diese dem Praxistest zu unterziehen.
Doch im Falle des "Vierten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am
Arbeitsmarkt" - den meisten bekannt unter dem Kürzel Hartz IV - ist
alles anders. Obwohl von Ökonomen fast einhellig als entscheidender
Schritt zur Stärkung des Arbeitsmarktes gefeiert, finden sich aus
Politik und Gesellschaft merkwürdigerweise auch zum fünften
Geburtstag der Reform kaum Gratulanten.
Im Gegenteil: Hartz IV steht in der Öffentlichkeit noch immer meist
nur als Chiffre für sozialen Abstieg und Massenarmut, für Löhne unter
dem Existenzminimum und soziale Ungerechtigkeit. Und die Politik hat
schon zu Zeiten der großen Koalition, als die von weiten Teilen der
Bevölkerung als schmerzhaft empfundene Reform ihre ersten Früchte
zeigte, nie wirklich Flagge gezeigt. Die Union nicht, weil Hartz IV
das Werk Gerhard Schröders war. Die SPD nicht, weil sie mit der
Agenda 2010 ihr politisches Herz verkauft zu haben glaubte und die
Bindung zu vielen ihrer traditionellen Milieus verloren hat. Statt
mutig zu einer Entscheidung zu stehen, die entscheidend dazu
beigetragen hat, die Arbeitslosenzahl von über fünf auf zeitweise
unter drei Millionen zu verringern, wurde taktiert und lamentiert.
All dies hat das Bild befördert, dass Hartz IV in erster Linie Armut
per Gesetz geschaffen habe. Dabei stehen Millionen früherer
Sozialhilfeempfänger heute besser da als vor der Reform. Trotz Hartz
IV gibt es kein anderes Land, dass sich ein so großzügiges Fürsorge-
und Unterstützungssystem leistet wie Deutschland. Vor allem aber
haben Millionen von Menschen wieder einen Job gefunden - den
wirksamsten Schutz gegen Armut. Auch wenn viele davon nur zu
Niedriglöhnen angestellt werden. Aber was wäre die Alternative? Jeder
zweite Hartz-IV-Empfänger hat keinen Beruf gelernt - ihm bliebe sonst
oft nur die dauerhafte Arbeitslosigkeit oder das Ausweichen in die
Schwarzarbeit.
Im Bewusstsein der Bevölkerung kommt all dies aber kaum zur Geltung.
Hier ist nur die Forderung "Jeder Job ist zumutbar" haften geblieben
und sorgt auch bei Menschen, die selbst noch gar nicht in Berührung
gekommen sind mit Hartz IV, für diffuse Abstiegsängste.
Genau hier aber liegt der Kern für die verbreitete Ablehnung dieser
Reform. Als die Politik vor fünf Jahren die Agenda 2010 in Kraft
setzte, war dies nichts anderes als das endgültige Eingeständnis,
dass das alte Sozialstaatsmodell der Bundesrepublik, das zur Not bis
zur Rente umfassend alimentierte, nicht mehr finanzierbar war.
Seither gilt: Jeder muss zuerst für sich selbst sorgen, erst dann
springt der Staat ein. Diese Forderung mag unbequem sein und manchmal
auch Furcht einflößend. Aber sie ist auch die Grundlage dafür, dass
den wirklich Bedürftigen weiterhin umfassend geholfen werden kann.
Und dies auch in wirtschaftlichen schweren Zeiten, wie sie uns
zweifellos in den kommenden Monaten noch bevorstehen.

Originaltext: Berliner Morgenpost
Digitale Pressemappe: http://www.presseportal.de/pm/53614
Pressemappe via RSS : http://www.presseportal.de/rss/pm_53614.rss2

Pressekontakt:
Berliner Morgenpost
Chef vom Dienst
Telefon: 030/2591-73650
bmcvd@axelspringer.de


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