(Registrieren)

Landeszeitung Lüneburg: ,,Wir waren noch zu optimistisch" -- Interview mit dem Klimaforscher Prof. Stefan Rahmstorf

Geschrieben am 17-12-2009

Lüneburg (ots) - In letzter Minute redete der Potsdamer
Klimaforscher Prof. Stefan Rahmstorf den Politikern auf dem
Kopenhagener Klima-Gipfel noch mal ins Gewissen: Das arktische
Meereis schwindet schneller, der Meeresspiegel steigt stärker als
noch 2007 angenommen. Auswerfen wollen den Rettungsanker 192 Staaten,
die in Kopenhagen um mehr Klimaschutz ringen. Kurz vor Eingreifen der
Staatschefs scheint die größte Konferenz aller Zeiten aber sogar vom
Scheitern bedroht.

Der Klima-Gipfel von Kopenhagen ist die größte Konferenz aller
Zeiten. Zeugt das vom endlich erwachten Problembewusstsein der
Politik oder soll der Gipfel nur Aktivität suggerieren?

Prof. Stefan Rahmstorf: Ich glaube schon, dass viele in der
Politik inzwischen das Problem erkannt haben -- wenn auch reichlich
spät. Immerhin warnte schon 1965 der erste Expertenbericht an den
damaligen US-Präsidenten vor der globalen Erwärmung durch
Treibhausgase.

Die Menschheit hat die Eiszeit überlebt. Was ist an der kommenden
Warmzeit so bedrohlich?

Prof. Rahmstorf: Wir haben die letzte Eiszeit nicht mit Milliarden
von Menschen überlebt, die alle ernährt werden wollen. Und auch nicht
mit großen Städten, Flughäfen und Kernkraftwerken direkt an den
Küs"ten. Am Ende der letzten Eiszeit schmolzen aufgrund der Erwärmung
um global 4 bis 7 Grad Celsius zwei Drittel des damals vorhandenen
Eises ab: Der Meeresspiegel stieg deshalb um 120 Meter. Heute können
wir uns nicht einmal zwei Meter leisten, ohne verheerende Schäden.

Nach Ihrer Kopenhagen-Diagnose wurde der Klimawandel bisher
unterschätzt. Ihr Bild ist noch bedrohlicher als das des
Weltklimarates von 2007. Sind die Reduktionsziele, um die in
Kopenhagen gerungen wird, bereits überholt?

Prof. Rahmstorf: Teile des Klimasystems reagieren nach den
aktuellen Messdaten schneller, als wir noch vor einigen Jahren
erwartet haben. Manch einer wirft uns ja in den Medien "Alarmismus"
vor. Leider hat sich das Gegenteil he"rausgestellt, wir waren noch zu
optimistisch. In Kopenhagen wird vor allem um die Begrenzung der
Erwärmung auf maximal 2 Grad gerungen. Aber beinahe hundert Staaten,
da"runter alle kleinen Inselstaaten, fordern inzwischen eine Grenze
von 1,5 Grad. Damit wäre mir persönlich auch wohler, aber ich
fürchte, dass das inzwischen kaum noch zu schaffen ist.

Die Eisschilde schmelzen schneller, der Meeresspiegel steigt
schneller. Wie groß ist die Gefahr, dass wir uns einem tipping point
nähern, an dem das Klima rasant umkippt?

Prof. Rahmstorf: Das Klima als Ganzes wird hoffentlich nicht
umkippen, aber für Teil"systeme wie Meeresströme, das Grönlandeis,
den Amazonaswald oder das Monsunsystem wird das zunehmend in der
Fachliteratur diskutiert. Quantifizieren können wir diese Risiken bis
heute nicht. Bei einer Begrenzung der Erwärmung auf unter 2 Grad
können wir aber solche Risiken wohl weitgehend minimieren.

Wie viel Zeit bleibt für eine Wende beim CO2-Ausstoß?

Prof. Rahmstorf: Analysen zeigen, dass in fünf, spätestens zehn
Jahren die Wende kommen muss, wenn wir eine realis"tische Chance
behalten wollen, die Erwärmung bei höchstens 2 Grad zu stoppen.

Australien will sich seine Kohlevorräte nicht madig machen lassen,
Kanada seine Ölschlämme. China will seinen Aufstieg nicht behindern
lassen, die USA Hochtechnologie nicht teilen. Torpedieren nationale
Interessen eine globale Klimaschutzpolitik?

Prof. Rahmstorf: In der Tat sind zu viele Politiker immer noch auf
kurzsichtige, nationale Interesssen fixiert. Die Zukunft der
Menschheit könnte so auf dem Altar der Partikularinteressen geopfert
werden.

In der Finanzkrise handelten die Industriestaaten schnell und
entschlossen. Ein Vorbild auch für die Klimapolitik? Prof. Rahmstorf:
Ein Grund für das rasche Handeln war sicher die Zeitskala der
Bedrohung: Banken hätten innerhalb von Wochen oder gar Tagen
zusammenbrechen können. Bei der Klimakrise reden wir aber nicht von
Wochen, sondern von Jahrzehnten. Mit dieser Zeitskala kommt unser
politisches und wirtschaftliches System schlecht zurecht. Der
Politiker, der heute notwendige, aber vielleicht unpopuläre Maßnahmen
zum Klimaschutz trifft, wird deren positive Auswirkungen nicht mehr
im Amt erleben. So ist es immer wieder die leichtere Option, die
Dinge aufzuschieben auf die nächste Legislaturperiode, auf die
nächste Regierung. Einen Mechanismus, die Interessen unserer Kinder
zu berücksichtigen, gibt es nicht.

Entwicklungsländer wie Tibet und Bangladesch sehen die
Industrieländer als Verantwortliche der Klimaerwärmung in der
Pflicht, in Vorleistungen zu treten. Zu Recht?

Prof. Rahmstorf: Die Industrieländer sind für 75 Prozent der
Treibhausgase verantwortlich, die heute zusätzlich in der Atmosphäre
sind und das Klima aufheizen. Das ist eine ganz klare historische
Verantwortung gegenüber armen Ländern, die überproportional unter den
Folgen der Klimakrise zu leiden haben. Aber einige Schwellenländer
wie China holen da ganz rasch auf, mit hohen Wachstumsraten ihrer
Emissionen. Ohne diese Länder können wir das Problem auch nicht
lösen.

Welche Vorleistungen machen Sinn, um die Schwellenländer ins Boot
zu holen?

Prof. Rahmstorf: Das genau ist Gegenstand der schwierigs"ten
Diskussionen in Kopenhagen. Auf Dauer wird sicher nur eine einfache
und transparente Formel Bestand haben, um die uns noch verbleibende
Emissionsmenge gerecht aufzuteilen: nämlich auf gleicher
Pro-Kopf-Basis.

Schon 1972 warnten Forscher vor den Grenzen des Wachstums. Seit
zwei Jahrzehnten -- seit Rio -- wird um Klimaschutz gerungen. Dennoch
wurde 2008 rund 40 Prozent mehr CO2 in die Atmosphäre gepustet als
1990. Würden nur Katastrophen die Menschheit wachrütteln?

Prof. Rahmstorf: Das hoffe ich nicht. Sonst wäre die Wissenschaft
umsonst, wenn sie die Probleme rechtzeitig kommen sieht, aber dann
alle passiv zusehen, bis sie eingetreten sind.

Endet der Gipfel als unverbindliches Palaver, drohen bis 2100 um
sieben Grad höhere Durchschnittstemperaturen. Hätte der Mensch noch
Platz auf dieser Erde?
Prof. Rahmstorf: Eine sieben Grad wärmere Welt kann ich mir in den
Auswirkungen auf die Menschheit nicht mehr vorstellen. Ich will das
auch nicht. Mit Sicherheit ist das keine Welt, in die hineinzuwachsen
ich meinen beiden Kindern zumuten möchte.

Das Interview führte Joachim Zießler

Originaltext: Landeszeitung Lüneburg
Digitale Pressemappe: http://www.presseportal.de/pm/65442
Pressemappe via RSS : http://www.presseportal.de/rss/pm_65442.rss2

Pressekontakt:
Landeszeitung Lüneburg
Werner Kolbe
Telefon: +49 (04131) 740-282
werner.kolbe@landeszeitung.de


Kontaktinformationen:

Leider liegen uns zu diesem Artikel keine separaten Kontaktinformationen gespeichert vor.
Am Ende der Pressemitteilung finden Sie meist die Kontaktdaten des Verfassers.

Neu! Bewerten Sie unsere Artikel in der rechten Navigationsleiste und finden
Sie außerdem den meist aufgerufenen Artikel in dieser Rubrik.

Sie suche nach weiteren Pressenachrichten?
Mehr zu diesem Thema finden Sie auf folgender Übersichtsseite. Desweiteren finden Sie dort auch Nachrichten aus anderen Genres.

http://www.bankkaufmann.com/topics.html

Weitere Informationen erhalten Sie per E-Mail unter der Adresse: info@bankkaufmann.com.

@-symbol Internet Media UG (haftungsbeschränkt)
Schulstr. 18
D-91245 Simmelsdorf

E-Mail: media(at)at-symbol.de

243152

weitere Artikel:
  • Rheinische Post: BA-Chef Weise für Auflösung der Optionskommunen Düsseldorf (ots) - Im Streit um die Reform der Jobcenter hat sich der Vorstandsvorsitzende der Bundesagentur für Arbeit, Frank-Jürgen Weise, für ein Ende des Modells ausgesprochen, nach dem Städte - die sogenannten Optionskommunen - sich in eigener Regie um Arbeitslose kümmern. "Die nachweisbaren Vermittlungs-Daten belegen, dass die Optionskommunen noch schlechtere Ergebnisse erzielen als die Arbeitsgemeinschaften", sagte Weise der in Düsseldorf erscheinenden "Rheinischen Post" (Freitagsausgabe). "Insofern ist das kein gutes Modell." mehr...

  • Rupprecht: Ausbildungspakt bewährt sich auch in der Krise Berlin (ots) - Zu den heute veröffentlichten Zahlen zum Ausbildungsmarkt erklärt der bildungspolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Albert Rupprecht MdB: Der Ausbildungspakt bewährt sich auch in der Krise. Trotz schwieriger wirtschaftlicher Situation setzen die Betriebe auf Ausbildung. Für 100 Schulabgänger standen 2009 bundesweit 65 Ausbildungsplätze zur Verfügung, im Osten waren es sogar 74. Aus Sicht von Fachleuten ist eine ausreichende Versorgung gewährleistet, wenn für zwei Drittel der Schulabgänger Ausbildungsplätze mehr...

  • Ermittlung produktbezogener Treibhausgas-Emissionen: Nüssel fordert international einheitliche Methode Berlin (ots) - Bei den Diskussionen über den sich abzeichnenden Klimawandel wird verstärkt eine produktbezogene Klimabilanz erörtert. "Die Kennzeichnung von Produkten nach dem sogenannten Carbon-Footprint ist allerdings problematisch, da die Datengrundlage zur Bewertung der Emissionen im Herstellungsprozess noch unzureichend ist. Sollte sich dieser Ansatz durchsetzen, muss zunächst eine international einheitliche Methode zur Berechnung der Treibhausgas-Emissionen entwickelt werden", fordert Manfred Nüssel, Präsident des Deutschen Raiffeisenverbandes mehr...

  • BA: Internationaler Tag der Migranten - Mehr Chancen durch mehr Transparenz und Beratung Nürnberg (ots) - Die deutsche Bevölkerung wird nicht nur weniger und älter, Deutschland wird auch bunter. Aktuell leben 15,4 Millionen Menschen mit Migrationshintergrund in Deutschland. Jeder fünfte Mitbürger in Deutschland hat ausländische Wurzeln. Auf dem deutschen Arbeits-markt zählen Menschen mit Migrationshintergrund oftmals zu den "Sorgenkindern", und das obwohl sie gute Qualifikationen und interkulturelle Kompetenzen mitbringen. Viele von ihnen arbeiten weit unter ihren Möglichkeiten. Bei der Bundesagentur für Arbeit (BA) sind derzeit mehr...

  • Gröhe:Wertvoller Diskussionsbeitrag der Deutschen Bischofskonferenz Berlin (ots) - Berlin, 17. Dezember 2009 105/09 Zur Veröffentlichung des Papiers der Kommission für gesellschaftliche und soziale Fragen der Deutschen Bischofskonferenz erklärt der Generalsekretär der CDU Deutschlands, Hermann Gröhe: Das Papier der Deutschen Bischofskonferenz "Auf dem Weg aus der Krise. Beobachtungen und Orientierungen" ist ein äußerst wertvoller Diskussionsbeitrag zur Einordnung der in-ternationalen Finanzmarkt- und Wirtschaftskrise. In überzeugender Weise analysiert es die Entstehung der Krise und bietet wichtige mehr...

Mehr zu dem Thema Aktuelle Politiknachrichten

Der meistgelesene Artikel zu dem Thema:

LVZ: Leipziger Volkszeitung zur BND-Affäre

durchschnittliche Punktzahl: 0
Stimmen: 0

Bitte nehmen Sie sich einen Augenblick Zeit, diesen Artikel zu bewerten:

Exzellent
Sehr gut
gut
normal
schlecht