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90 Jahre AWO - Festakt der "riesengroßen Bürgerinitiative" im Reichstag

Geschrieben am 14-12-2009

Berlin (ots) -

SPD-Chef Gabriel gratuliert "Wir können von unserer kleinen Schwester
lernen"

Marie Juchacz Plakette für Ulla Schmidts "herausragenden
sozialpolitischen Einsatz"

"Wir sind Schwestern, die etwas gemeinsam haben: das rote Herz,
das seit 90 Jahren für die AWO steht. Wir sind Kinder der
Arbeiterbewegung", sagte SPD-Chef Sigmar Gabriel auf dem offiziellen
Festakt zum 90. Geburtstag der AWO am Sonntag im Reichstag in Berlin.
Gabriel, der seit 30 Jahren AWO Mitglied ist, erinnerte daran, dass
die Arbeiterwohlfahrt als Selbsthilfeorganisation gegründet wurde,
"eine Selbsthilfe, die Not tat, weil die Arbeiterbewegung als Paria
galt und aus der bürgerlichen Gesellschaft ausgeschlossen war". Als
Partei wie als Verein für organisierte Solidarität und
sozialpolitischer Lobbyist habe die Arbeiterbewegung in den
vergangenen Jahrzehnten viel erreicht - "doch jetzt gibt es erneut
Bestrebungen der Unionsparteien, die "bürgerliche Mitte" für sich
alleine zu reklamieren und erneut große Teile der Gesellschaft
auszugrenzen. Diese Ausgrenzungen dürfen wir uns nicht gefallen
lassen!", forderte der SPD-Chef.

Ob beim "Bürgergeld" der FDP oder dem "Betreuungsgeld" der
CDU/CSU, "den angeblich bürgerlichen Parteien geht es nur um die
Verteilung staatlicher Transferleistungen, es geht ihnen nicht um
Chancengerechtigkeit und Möglichkeiten für die Teilhabe an der
Gesellschaft", kritisierte Gabriel. "Das zeigt, wie unmodern deren
Vorstellung vom Sozialstaat ist - und wie modern die
AWO-Vorstellungen sind, für die benachteiligten Menschen unserer
Gesellschaft Teilhabe und die Chance für ein selbstbestimmtes Leben
zu organisieren."

Doch jetzt ist der Aufstieg sehr schwierig geworden, aber der
Abstieg geht ganz schnell", sagte der SPD-Chef. Die Angst der Bürger
wachse, abgehängt und ausgegrenzt zu werden, viel zu viele hätten von
vornherein keine Chance dazuzugehören. "Was für ein Skandal, dass
jedes Jahr 80 000 junge Leute die Schule ohne Abschluss verlassen",
betonte Gabriel. Doch sowohl bei den dringend nötigen Investitionen
in eine chancengerechtes Bildungssystem als auch bei der
Arbeitsmarktpolitik und der Reintegration von Arbeitslosen "verlieren
wir uns in technischen Debatten und drehen Rädchen im Sozialsystem".
Dabei beinhalte der Kampf für eine moderne Sozialpolitik viel mehr
als bürokratische Rechenkunststücke um die Höhe staatlicher
Transferleistungen: "Für uns ist Sozialpolitik immer ein Mittel, um
die Freiheit von Not und die Freiheit der Menschen für ihre
Selbstbestimmung zu verbessern - die selbstverständlich auch
Verantwortung geknüpft ist: Die Verantwortung für sich selbst kann
man nicht abgeben, auch nicht an den Sozialstaat."

Gabriel betonte: " Wir müssen wieder ins Zentrum rücken, für wen
Sozialpolitik da ist: Um den Menschen zu stärken, für
Selbstbestimmung statt Abhängigkeit vom Sozialstaat." Dabei sei die
Beziehung zwischen AWO und SPD so, "wie das bei Schwestern so ist,
sie wollen nicht zugeben, dass man voneinander lernen kann, vor allem
die ältere Schwester. Tatsächlich kann die ältere SPD von der etwas
jüngeren AWO lernen, nämlich die gelebte, praktische Solidarität, die
konkrete soziale Arbeit für ein selbstbestimmtes Leben der
Benachteiligten in unserer Gesellschaft".

AWO Präsident Wilhelm Schmidt würdigte den historischen Ort der
Jubiläumsfeier unter der Kuppel des Reichstags, in dem vor 90 Jahren
die erste Frau vor einem deutschen Parlament sprach. Es war die SPD-
Abgeordnete Marie Juchacz. Auf den Tag genau, am 13. Dezember 1919,
"überredete sie die Herren des Parteivorstandes einen "Hauptauschuß
für Arbeiterwohlfahrt" der SPD zuzulassen, so muss man es
formulieren", sagte Wilhelm Schmidt, denn eine moderne Sozialpolitik
wie Frauenpolitik steckte ja auch in der Arbeiterpartei noch in den
Anfängen.

"Mildtätigkeit und Almosen für Benachteiligte waren nicht die
Motive, vielmehr war die AWO von Anfang an kein rein karitativer
Wohlfahrtsverband, sondern die organisierte "Hilfe zur Selbsthilfe"
der Arbeiterschaft und stritt als politischer Lobbyverband für die
Verankerung sozialer Rechte", betonte der AWO Präsident. "So ist der
Aufbau und der Ausbau des Sozialstaatsprinzips zweifellos auch ein
Verdienst der AWO" sowohl als politischer Lobbyist als auch in der
praktischen sozialen Arbeit. "Unsere Leitmotive organisierte
Solidarität, Freiheit, Gleichheit, Gerechtigkeit und Toleranz sind
seit 90 Jahren nicht Theorie - wir leben das!", sagte Schmidt. "Der
Antrieb und das Engagement von Hunderttausenden AWO Mitglieder
konnten auch die Nazis nicht zerstören." Zum Gedenken an die brutal
verfolgten und ermordeten AWO Mitglieder hat der Bundesverband im
Jubiläumsjahr eine Gedenkstätte im ehemaligen KZ Sachsenhausen
errichtet.

Die aktuell brisanten Herausforderungen der Sozialpolitik
unterstreicht der jüngst vorgelegte AWO Sozialbericht "Was hält die
Gesellschaft zusammen? - Zur Zukunft der sozialen Arbeit in
Deutschland". Angesichts der großen sozialpolitischen Aufgaben
unserer alternden Gesellschaft und der Auswirkungen der
Wirtschaftskrise dürfe sich der Staat nicht immer weiter aus seiner
Verantwortung zurückziehen, sagte Schmidt vor 200 geladenen Gästen in
der Reichstagskuppel.

Dort gibt es auf der Fraktionsebene zu Ehren der AWO Gründerin
einen "Marie Juchacz Saal" und unter der gläsernen Kuppel hängt ein
stilisiertes Porträt der so klugen wie warmherzigen Vorkämpferin für
Frauenrechte und Sozialpolitik. Die "Marie-Juchacz-Plakette", höchste
Ehrung der AWO, erhielt auf der Jubiläumsfeier die langjährige
Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt.

Der AWO Bundesvorsitzende Rainer Brückers beschrieb in seiner
Laudatio das große Herz und den klaren, gerne auch kühnen Verstand
von Ulla Schmidt, "einer Frau, die sich wie keine andere seit 20
Jahren für eine verantwortungsvolle Sozialpolitik und insbesondere
Gesundheitspolitik einsetzt". Mit "Zielstrebigkeit, Beharrlichkeit
und Erfolg" - und nicht zuletzt einer großen Portion rheinländischen
Charmes - "hat Ulla Schmidt Maßstäbe gesetzt für eine soziale Politik
die auf Gerechtigkeit, Solidarität und Teilhabe ausgerichtet ist",
lobte der AWO Chef.

"Von all den Ehrungen, Preisen und als Rheinländerin natürlich
auch Orden, die ich in 20 Jahren als Politikerin bekommen habe,
bedeutet mir, ganz ehrlich, die Marie Juchacz Plakette am meisten",
bedankte sich Ulla Schmidt. Denn die AWO Gründerin habe eine
beispielhafte Vision verfolgt, wie unsere Gesellschaft gestaltet sein
soll, "nämlich auf der Grundlage: Keine Herren, keine Knechte". So
sei die AWO eine wertegebundene Organisation die den Leitgedanken
verkörpere, der sie als 18-jährige in die Politik und die AWO gezogen
habe: "Nur derjenige ist frei über sein Leben zu entscheiden, der für
sich selbst sorgen kann".

So ist die AWO von starken Frauen geprägt. Bis heute dominieren
sie die zahlreichen ehrenamtliche Aktivitäten des Verbandes mit 400
000 Mitgliedern und auch die Arbeit des modernen
Dienstleistungsunternehmens mit bundesweit mehr als 14 000 sozialen
Einrichtungen mit rund 145 000 hauptamtlichen MitarbeiterInnen. So
diskutierte eine mit starken Frauen besetzte Podiumsrunde auf der
Jubiläumsfeier die Errungenschaften und sozialpolitische Ziele. Was
wurde erreicht, was fehlt?, fragte ZDF Moderatorin Dunja Hayali.
"Nach wie vor sind Frauen völlig überrepräsentiert in den
Niedriglohngruppen und völlig unterpräsent in den Chefetagen", sagte
Professorin Dr. Jutta Limbach, ehemalige Präsidentin des
Bundesverfassungsgerichts und des Goethe Instituts.

"Es gibt keine Gleichwertigkeit der Arbeit von Männern und Frauen.
Was dazu führt, dass wir jetzt um den Mindestlohn in der Pflege
kämpfen müssen, damit wir alle in Würde alt werden können", sagte
Petra Grimm-Benne, SPD Landtagsabgeordnete und Vorsitzende des AWO
Landesverbandes Sachsen-Anhalt.

"Dass Männer immer noch viel mehr Geld verdienen als Frauen ist
ein Skandal. Und auch, dass die Verantwortung für die Kinder immer
noch bei den Frauen liegt und sie in die alte Rollenverteilung
drängt", sagte die junge Schauspielerin Anna Thalbach.

"Wissen ist Macht - das wussten die SPD wie die AWO schon in der
Gründerzeit", bekräftigte Jutta Limbach. "Für ein besseres
Miteinander kann auch jeder Einzelne etwas tun", verdeutlichte sie
anhand der AWO Projekte "Kinderpaten" beispielsweise in Neukölln.
"Allerdings sind von den 110 000 Menschen, die sich ehrenamtlich in
der AWO engagieren, der allergrößte Teil Frauen und Männer entdecken
dieses Möglichkeit, sich sinnvoll einzusetzen, erst ganz allmählich",
sagte Olitta Seifriz, langjährige Vorsitzende des AWO Landesverbandes
Bremen.

"Die Menschen sind müde geworden, die Welt verbessern zu wollen",
befürchtete Anna Thalbach. Olitta Seifriz sagte dazu "Wie Marie
Juchacz die Menschen motivieren konnte mitzumachen - das brauchen wir
auch heute".

Originaltext: Arbeiterwohlfahrt (AWO) Bundesverband
Digitale Pressemappe: http://www.presseportal.de/pm/15839
Pressemappe via RSS : http://www.presseportal.de/rss/pm_15839.rss2

Pressekontakt:
Karin Deckenbach
AWO Bundesverband e.V.
Pressesprecherin
Tel. +49 (0)30 26 309 222
Mobil 0172 26 15 014
Fax +49 (0)30 26 309 32 222
Karin.Deckenbach@awo.org


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