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Neuer AWO Sozialbericht "Was hält die Gesellschaft zusammen?"

Geschrieben am 10-12-2009

Berlin (ots) - AWO analysiert riskante Entwicklungen bei
Kinderarmut und Integration, Bildungsversagen und Prekariat,
Minilöhnen und Pflegekollaps

Sozialbericht mit Selbstkritik "Zur Zukunft der sozialen Arbeit in
Deutschland"

"Wenn die Reintegration von Langzeitarbeitslosen in den
Arbeitsmarkt künftig nicht deutlich besser gelingt, hat das
weitreichende Folgen: Die Altersarmut in Deutschland wird rapide
wachsen. Und die skandalöse Armut der Kinder von Langzeitarbeitslosen
wird auch der nächsten Generation Zukunftschancen verbauen",
unterstrich der AWO Bundesvorsitzende Rainer Brückers vor der
Bundespressekonferenz am Donnerstag in Berlin bei der Vorstellung des
neuen AWO Sozialberichts "Was hält die Gesellschaft zusammen? - Zur
Zukunft der sozialen Arbeit in Deutschland"

"Nicht nur angesichts der Wirtschaftskrise und ihrer
sozialpolitischen Folgen sondern auch angesichts der Alterung unserer
Gesellschaft ist die Leitfrage des Sozialberichts aktueller und
drängender denn je", betonte AWO-Chef Brückers. Jetzt schon fühlen
sich erhebliche Teile der Bevölkerung abgehängt und ausgegrenzt.
Abstiegsängste machen sich bis weit in den Mittelstand breit. Die
Gerechtigkeitsfrage stellt sich immer lauter. Der Sozialbericht
untersucht Hintergründe und Entwicklungen in den fünf Bereichen
Bildung und Erziehung, Arbeitsmarkt, Migration, Behindertenhilfe und
Psychiatrie sowie in der Altenhilfe. AWO Chef Brückers warnt vor
alarmierenden Zusammenhängen: "Lohnarmut führt zu Kinderarmut und
mündet in Altersarmut". Denn die völlig unzureichenden Hartz IV
Regelsätze für Kinder machen ihnen die Teilnahme am ganz normalen
Leben ihrer Altersgenossen unmöglich, die nächste Generation
benachteiligter Kinder wird ausgegrenzt und abgehängt. "Unser stark
selektiv wirkendes Bildungssystem produziert soziale Ausgrenzung -
und damit hohe sozialpolitische Folgekosten", kritisiert Brückers.
Mehr als 70 000 Jugendliche verlassen jedes Jahr die Schule ohne
Abschluß und sind praktisch chancenlos auf dem Arbeitsmarkt. Daran
ändern auch die Maßnahmen der Kinder- und Jugendhilfe viel zu wenig.
Insbesondere zeigt der Sozialbericht die Probleme am Übergang von der
Schule in Ausbildung und Beruf auf und empfiehlt das Konzept "Lokales
Übergangsmanagement" als Alternative.

"Um Langzeitarbeitslose kümmern sich zig Institutionen. Doch viel
zu viele sind nach zwei Jahren im Maßnahmendschungel immer noch
ausgegrenzt und chancenlos", stellt der AWO Chef fest. "Was geht da
schief?" Arbeitslose von Schalter zu Schalter zu schicken nutzt wenig
und kostet viel. "Arbeitslose brauchen "Hilfe aus einer Hand", die
Jobcenter/ARGEn müssen erhalten bleiben und keine Partei darf sich
einem verfassungskonformen Kompromiß verweigern", betonte Brückers.
"Auf dieser Grundlage sind individuell passende Maßnahmen nötig -
paßgenau für den Kunden, nicht paßgenaue Kunden für standardisierte
Maßnahmen." Der Sozialbericht dokumentiert, dass das sogenannte "Case
Mangagement" noch nicht funktioniert, also die persönlichen
Lebensumstände etwa von Alleinerziehenden nicht mitgedacht werden,
oder auch die häufig multiplen Probleme von Lang-zeitarbeitslosen,
etwa Sucht oder Depressionen.

Der Sozialbericht unterstreicht, wie dringend eine Trendumkehr im
Bereich niederiger und niedrigster Löhne ist: Schon jetzt können weit
mehr als eine Million Bürger von ihrer harten Arbeit nicht leben und
brauchen Zuschüsse der Grundsicherung, um über die Runden zu kommen.
"Es ist im Interesse der ganzen Gesellschaft Mini-Löhne zu bekämpfen
und Mindestlöhne durchsetzen."Löhne müssen grundsätzlich armutsfest
sein, sonst zahlen alle drauf. Die AWO hat deshalb den Mindestlohn in
der Pflege auf den Weg gebracht und fordert die neue Bundesregierung
nachdrücklich auf, ihre Blockade gesetzlicher Mindestlöhne zu
beenden. Zudem analysiert der Sozialbericht das Diktat der
demografische Entwicklung, dass wir deutlich mehr Beschäftigung für
Ältere brauchen. "Mit der Erhöhung des Renteneintrittsalters muss die
Integration Älterer in den Arbeitsmarkt deutlich verbessert werden,
andernfalls führt die Heraufsetzung zu inakzeptablen Rentenkürzungen
und verstärkt massiv das Problem der Altersarmut".

Unsere alternde Gesellschaft steht insbesondere im Bereich der
Pflege vor enormen Aufgaben, betonte AWO Präsidiumsmitglied Harald
Groth auf der Bundespressekonferenz. "Seit vielen Jahren gilt das
Postulat "ambulant vor stationär", aber es funktioniert immer noch
nicht", kritisierte er. Der Sozialbericht zeigt, dass die gelten-den
Finanzierungsstrukturen dem Vorrang der ambulanten und häuslichen
Pflege, der von den Menschen gewünscht wird und der auch
volkswirtschaftlich sinnvoll ist, im Wege stehen. "Diese strukturelle
Bevorzugung stationärer Pflege muss beendet werden", sagte Groth,
"die Finanzierung ambulanter Dienste muss deutlich verbessert
werden." Insbesondere die stark zunehmende Zahl der Demenzerkrankten
erfordert einen Strukturwandel der Pflege, sowohl bei der ambulanten
Unterstützung pflegender Angehöriger als auch bei den Konzepten - und
der Vergütung! - der Pflege im Heim und in betreuten Wohngruppen.
Dazu müssen bei der Reform des Pflegebedürftigkeitsbegriffs die
Beiratsvorschläge aufgegriffen werden.

Zudem gibt der Sozialbericht eine Antwort auf die Frage: Wenn alle
die Integration behinderter Menschen bejahen und fördern wollen,
warum sind dann so wenige wirklich im Arbeitsmarkt integiert?
Tatsache ist, dass spätestens mit dem 10. Lebensjahr die Integration
behinderter Menschen aufhört und es nur noch "Sonderschulen"gibt.
"Nun endlich gibt es in der Behindertenhilfe eine Paradigmenwechsel:
Von der Fürsorge zur Selbstbestimmung und Teilhabe", sagte Groth. Das
ist eine klare Absage an große Einrichtungen und Heime. Die Leitidee
der "Inklusion" kann und muss dabei zu einem Perspektivwechsel für
die Angebote der Behindertenhilfe und Psychiatrie führen.

Insgesamt warnte Groth vor einem "Kollaps der Pflege" durch den
jetzt schon akuten Mangel an Fachkräften, der sich bald noch
verschärfen wird - deshalb muss der Beruf insbesondere für junge
Menschen attraktiver gemacht werden. Auch deshalb setzt sich die AWO
für den Mindestlohn in der Pflege ein.

Die AWO steht für qualitativ hochwertige Dienstleistungsangebote,
nicht für eine Low-Level-Pflege - dafür braucht es dringend den
entsprechenden gesundheitspolitischen Rahmen. Dazu gehört eine
Bürgerversicherung in die alle Einkommensgruppen einbezahlen - nicht
etwa durch eine unsinnige "Kopfpauschale".

In der Realität sozialer Arbeit zeigt sich: "Nicht die Migranten
sind integrationsunwillig, die Institutionen sind
integrationsunfähig!" Auf der Bundespressekonferenz erzählte
Christine Schubert aus der Praxis der AWO. "Aber es geht auch anders:
Das Hausbesuchsprogramm Hippy holt Menschen raus aus der Isolation
von "40 Quadratmeter Deutschland", sie sind nicht schwer erreichbar,
man muss nur auf sie zugehen", erläuterte die Leiterin Integration
und Migration der AWO Nürnberg. Das Programm stärkt die
Erziehungskompetenzen der Eltern - und 97 Prozent der Kinder sind
beim Schuleinstufungstest erfolgreich. "Aha, du bist wohl ein
Hippy-Kind", hören sie oft von Lehrern und Ämtern.

Der AWO Sozialbericht illustriert ein aktuelles Beispiel: Gebt den
Eltern statt eines bildungspolitisch katastrophalen Betreuungsgeldes
einen Rechtsanspruch auf professionelle frühkindliche Betreuung und
auch Migrantenfamilien werden ihn in Anspruch nehmen, so wie sie
bereits den Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz nutzen. In
Migrantenfragen, Migranten fragen! Das ist das Leitmotiv für eine
Neuausrichtung der Migrationssozialarbeit der AWO. Konkret: Die erste
Migrantengeneration wird älter und kränker, doch in den Beratungs-
und Pflegeeinrichtungen sind sie deutlich unterproportional zum
Bevölkerungsanteil vertreten. So hat die AWO schon im Jahr 2000 ein
Konzept zur Interkulturellen Öffnung ihrer Angebote beschlossen, das
als wegweisend gilt.

Auf der Grundlage fundierter Analysen in den fünf Bereichen
formuliert der AWO Sozialbericht konkrete Forderungen an Politik und
Gesellschaft, um eine weitere Spaltung unserer Gesellschaft in Arm
und Reich, in "Drinnen und Draußen", zu verhindern. Und erstmals
packt sich ein Wohlfahrtsverband auch an die eigene Nase und fragt:
Was bewirkt soziale Arbeit für die Integration benachteiligter
Menschen? Ist sie Teil der Lösung, oder gar Teil des Problems?

Ausführliche Inhaltsangabe des Sozialberichts und weitere
Informationen unter: www.awo.org und www.whgdz.de

Originaltext: Arbeiterwohlfahrt (AWO) Bundesverband
Digitale Pressemappe: http://www.presseportal.de/pm/15839
Pressemappe via RSS : http://www.presseportal.de/rss/pm_15839.rss2

Pressekontakt:
Karin Deckenbach

AWO Bundesverband e.V.
Pressesprecherin
Tel. +49 (0)30 26 309 222
Mobil 0172 26 15 014
Fax +49 (0)30 26 309 32 222
Karin.Deckenbach@awo.org


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