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Landeszeitung Lüneburg: ,,Die Macht Obamas ist begrenzt" -- Interview mit dem US-Experten Prof. Crister Garrett

Geschrieben am 09-10-2009

Lüneburg (ots) - Zaudern, Zögern, Zweifel. Die rauschhafte
Begeisterung nach der Wahl von Barack Obama zum US-Präsidenten ist
vielerorts Ernüchterung gewichen. Überraschend kommt deshalb für
viele die Verleihung des Friedensnobelpreises an Obama: Denn: Die
Reform des Gesundheitswesens stockt. Beim Klimaschutz hinken die USA
hinter den von Obama formulierten Zielen hinterher. In Afghanistan
zögert der Präsident, die von Generälen geforderte Truppenaufstockung
anzuordnen. Das Gefangenenlager Guantànamo Bay ist immer noch offen.
Lediglich beim Einstampfen des Raketenschutzschildes in Osteuropa
kann Obama Vollzug melden. Endet der Hoffnungsträger trotz Nobelpreis
als Ankündigungspräsident? Wir fragten Crister Garrett. Der
US-Amerikaner ist Professor für Amerikanische Außenpolitik und
Internationale Studien in Leipzig.

Das IOC ließ die Obamas abblitzen. Die Olympischen Spiele finden
in Rio und nicht in Chicago statt. Ist Obamas Zauber verflogen?
Prof. Crister Garrett: Auf den ersten Blick könnte man diesen
Eindruck haben. Auf den zweiten hat die Entscheidung mehr mit der
"Innenpolitik" des Olympischen Komitees zu tun als mit Obama. Aber
das Votum zeigt, dass sich die Macht der USA relativiert. Brasilien
ist ein kommender Akteur auf der Weltbühne. Diese Auswahl ist ein
Indiz dafür.

Der US-Präsident will 47 Millionen bisher noch nicht abgesicherten
US-Bürgern Zugang zur Krankenversicherung gewähren. Er lässt aber
offen, wie. Schürt er mit dieser Schwammigkeit die Ängste der Bürger?
Prof. Garrett: Die Ängste bestanden schon vor der aktuellen Debatte.
Obama versucht, ein seit einem halben Jahrhundert sehr kontrovers
beurteiltes Vorhaben - an dem Eisenhower und Truman scheiterten - zu
Ende zu führen. Oppositionspolitiker schüren Ängste vor dem
Reformprojekt, das hat aber nichts mit dem Präsidenten zu tun.

Aber würde mehr Klarheit keinen Schub bringen? Etwa, wenn er
sagte: Ja, es wird eine staatliche Versicherung. Ja, auch der
Mittelstand muss dafür höhere Steuern zahlen.
Prof. Garrett: Derartige Klarheit würde sicher manche Menschen
überzeugen, andere aber abschrecken. Vermutlich wäre sie
kontraproduktiv bei dem Versuch, für dieses Mammutvorhaben im
Kongress einen Minimalkonsens zu finden. Von daher ist diese
Schwammigkeit gewollt. Sie entspricht dem politischen System der USA.
In einem präsidialen System bleiben die Kontrahenten bewusst
allgemein, um sich nicht die Chance zu verbauen, verschiedene Kräfte
hinter sich zu vereinen.

Selbst wenn es Obama gelänge, eine Mehrheit hinter sich zu
bringen, fehlte es immer noch an Kliniken für Millionen Bürger. Ist
der Reformansatz halbherzig?
Prof. Garrett: Von Seiten des Präsidenten überhaupt nicht. Für ihn
hat dieses Projekt absolute Priorität, wurde nur durch die
Weltwirtschaftkrise in den Hintergrund gedrängt. Im Gesundheitswesen
werden Ressourcen vergeudet, die etwa dem Bildungssystem fehlen.
Millionen leben in existenzieller Not. Fehlende ärztliche Versorgung
mindert ihre Arbeitskraft. Hier haben die USA ein strukturelles
Problem. Der Reformentwurf Obamas würde es nicht lösen, aber einer
Lösung näherbringen.

Manifestiert sich in dem Widerstand gegen das Reformprojekt
latenter Rassismus? Profitieren würden vor allem Hispanics und
Schwarze?
Prof. Garrett: Dieser Vorwurf wurde von Ex-Präsident Jimmy Carter
erhoben. Er lässt sich nicht einfach wegwischen. Es gibt US-Bürger,
die Obama wegen seiner Hautfarbe hassen. Ich glaube aber nicht, dass
dies das Hauptmotiv des Widerstands ist. Eher dürfte die derzeitige
Kopflosigkeit der republikanischen Partei die Ursache sein. In dem
Versuch, sich eine neue Basis zu geben, bieten sie auch den
abstrusesten Gegnern jeglicher Vorhaben der Zentralregierung eine
Plattform.

Die Gesundheitsreform beschäftigt den Senat derart, dass das
US-Klimagesetz nicht bis zum Weltklimagipfel fertig wird. Verzettelt
sich Obama?
Prof. Garrett: Nein, die Vielfalt von Initiativen spiegelt eher die
Notwendigkeit wider, größere Projekte zu Beginn der Amtsperiode
durchzuziehen. Schon im nächsten Jahr finden Kongresswahlen statt.
Mit Abgeordneten, die um ihr politisches Überleben kämpfen, lässt
sich keine Klimawende vollziehen. Anschließend hat die
Obama-Administration noch knapp ein Jahr, bevor es darangeht, sich im
letzten Jahr auf die Wiederwahl zu konzentrieren. So gesehen
verzettelt sich Obama nicht, er versucht nur konsequent, sein
Zeitfenster zu nutzen.
Hinzu kommt: Klimaschutz ist auch in der Demokratischen Partei
umstritten. Auch hier ist Obama in der Pflicht, Kompromisse
einzugehen, um eine Mehrheit im Kongress zu organisieren.

Dieser Zwang zum Kompromiss lässt die USA in Sachen Klimaschutz
weiter hinter der EU hinterherhecheln, statt wie angekündigt die
Führungsrolle im Klimaschutz zu übernehmen. Sogar China setzt zum
Überholen an. Unterschätzte die neue Regierung die Lobbys?

Prof. Garrett: Nein, überhaupt nicht. Dem Team im Weißen Haus
bescheinigen sogar die Republikaner höchst professionelle Arbeit. In
einem präsidialen System ist es immer sehr mühsam, eine Mehrheit für
große Projekte zu organisieren. Manche bezeichnen dieses System als
chaotisch. Man könnte es aber auch als sehr demokratisch bezeichnen,
weil es viele Akteure mit handfester Macht gibt. Im autoritären
Regime Chinas ist dies naturgemäß anders.

Viele Akteure gibt es auch in der US-Außenpolitik. Obama hat den
Afghanistan-Einsatz zu "seinem Krieg" erklärt. Zugleich klafft ein
tiefer Riss zwischen Generalität und Weißem Haus. Warum zögert Obama,
die Truppen aufzustocken?
Prof. Garrett: Das ist eine sehr gute Frage. Zum einen sind da
gewichtige Parallelen zum Vietnam-Krieg. Eine Erhöhung der Zahl der
Bodentruppen ist in den USA ein brisantes Vorhaben. Zum anderen nimmt
sich Obama die Zeit, um grundsätzlich zu klären, welche Ziele am
Hindukusch in den nächsten drei bis fünf Jahren anvisiert werden
sollen. Was haben wir im Irak gelernt? Was kann man in Afghanistan
umsetzen? Diese Debatte läuft derzeit.
Ich denke, wir werden in den nächsten 30 Tagen eine klare Antwort
haben - möglicherweise in einer großen Rede Obamas.

Ein klares Ziel war 2001 die Demokratisierung Afghanistans. Jetzt
toleriert Washington sogar Fälschungen bei der Präsidentschaftswahl,
was im Iran als inakzeptabel gilt. Schadet diese Doppelmoral dem
Versuch Obamas, die Integrität der USA wiederherzustellen?
Prof. Garrett: Insgesamt eher nicht. Die internationale Gemeinschaft
versteht, dass Washington kein großer Verteidiger Karsais ist. Er ist
alles andere als ein idealer Kandidat des Westens, aber repräsentiert
als Paschtune immerhin einen großen Teil der Bevölkerung.
Die Ziele können in Afghanistan analog zum Irak nur sein, zunächst
die Sicherheit der Menschen vor Terrorakten zu verbessern. Dann das
Land über einen Ausbau der Infrastruktur zu stabilisieren. Erst am
Ende könnte es dann zu einer stärkeren Kooperation der ethnischen
Gruppen kommen.

Das Regime in Teheran sendet widersprüchliche Signale Richtung
Washington. Wird die ausgestreckte Hand Obamas ergriffen oder
bespuckt?
Prof. Garrett: Ein bisschen von beidem. Obamas Kurswechsel macht das
Leben für die Machthaber in Teheran komplizierter. Die einfache
Projektionsfläche - die USA als ""großer Satan"" - ist mit Obama
verschwunden. Die neue US-Diplomatie hat neue Räume für westliche
Initiativen eröffnet.
Andererseits bedarf die Gruppe der Hardliner weiter des Erzfeindes
USA, um ihre eigene Macht zu festigen. Sie werden Obamas
ausgestreckte Hand bespucken und nicht als Chance begreifen, wie das
Lager der Moderaten. Diese neue Komplexität in den Beziehungen beider
Länder ist eine Chance.

Komplexer als gedacht ist die Schließung des Gefangenenlagers
Guantanamo. Bis Januar wird es nichts. Wäre dies nicht das geeignete
Feld für einen Prestigeerfolg?
Prof. Garrett: Auf jeden Fall. Deshalb hat Barack Obama bereits an
seinem ersten Arbeitstag die Order zur Schließung des Lagers
unterzeichnet. Doch die Regierung ist in einer schwierigen Situation:
Reichen die Beweise gegen die als gefährlich eingestuften Gefangenen?
Wohin mit den Insassen? Kaum ein Land will sie aufnehmen. Trotz
dieser Hängepartie hat Obamas Glaubwürdigkeit aus meiner Sicht nicht
gelitten, weil er Foltermethoden unterbunden hat. Zudem erwarte ich,
dass die Lage bis zum Frühjahr geklärt ist.

Kratzer an der Glaubwürdigkeit brachte der G 20-Gipfel, weil eine
durchgreifende Neuordnung des Finanzmarktes ausblieb. War der Druck
der US-Banken zu groß?
Prof. Garrett: Das denke ich nicht. Hier gibt es eher einen
inhaltlichen Dissens. Die westlichen Industriestaaten brauchen global
player bei den Banken. Die Frage ist nun, wie können die Geschäfte
transparenter gemacht werden, ohne die Marktfähigkeit zu beschneiden?
Es gilt, eine ausgewogene Lösung zu finden, um Finanzjongleure
einzuhegen, ohne Wachstumskräfte zu fesseln. Hier gibt es
Unterschiede zwischen Angelsachsen und Kontinentaleuropäern. Wir
werden ein neues Weltfinanzsystem mit neuen Regeln bekommen, aber es
wird noch bis zu zwei Jahre dauern, bis alle Details festgelegt sind.

An Obamas Wahl knüpften sich derart irreale Hoffnungen, dass sie
wohl nur ein Erlöser hätte erfüllen können. Ist das, was jetzt vielen
wie ein Scheitern erscheint, nur die notwendige Korrektur der
Erwartungshaltung?
Prof. Garrett: Ich sehe das so. Die Macht des US-Präsidenten ist
begrenzt - und das ist eigentlich eine gute Nachricht. Der
US-Präsident muss ständig Mehrheiten für seine Politik suchen - sei
es innenpolitisch, sei es außenpolitisch. Zwar hat ein US-Präsident
unstrittig Einfluss, doch in der Weltpolitik hört man viele Stimmen,
erlebt viele Akteure.
Es gibt keine Imperien mehr, wie etwa Großbritannien im 19.
Jahrhundert, die konkurrenz- und schrankenlos agieren konnten.
Ich glaube nicht, dass Barack Obama die Grenzen, an die er derzeit
stößt, überraschen. Die Konsenssuche, der er sich verschrieben hat,
ist aber ein gutes Vorbild für die US-Politik allgemein und sogar für
eine Art demokratischer Weltregierung.

Das Interview führte Joachim Zießler

Originaltext: Landeszeitung Lüneburg
Digitale Pressemappe: http://www.presseportal.de/pm/65442
Pressemappe via RSS : http://www.presseportal.de/rss/pm_65442.rss2

Pressekontakt:
Landeszeitung Lüneburg
Werner Kolbe
Telefon: +49 (04131) 740-282
werner.kolbe@landeszeitung.de


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