(Registrieren)

Rheinische Post: Kommentar: Zehn Thesen zur Tigerenten-Wahl

Geschrieben am 27-09-2009

Düsseldorf (ots) - Es war die Zeit der frühen Hochrechnungen, da
verschickten die ersten aus dem bürgerlichen Lager via Handy und ohne
weitere Worte das Bild eines kleinen schwarz-gelben Holzspielzeugs,
das seit dem TV-Duell zum Wahlkampfsymbol geworden ist: die Tigerente
von Janosch. Hätten die Urheber eine Textzeile dazustellen wollen,
sie wären am Stoßseufzer "Uff!" nicht vorbei gekommen. Es hatte
Zweifel gegeben, ob es zu einer bürgerlichen Koalition reichen würde,
zu wirkungsmächtig war die Sorge, die SPD hole im Endspurt auf wie
2005. Am Ende kann Schwarz-Gelb jedoch mit einer soliden Mehrheit
regieren, rechnerisch sogar ohne Überhangmandate. Zeit für eine erste
Analyse der Tigerenten-Wahl:
Erstens: Erstmals wieder seit 1994 gab es bei der Bundestagswahl
rechnerisch keine linke Mehrheit. Trotz oder gerade in der Krise
setzt die Mehrheit der Wähler auf Union und FDP, denen sie eher
zutrauen, das schlingernde Schiff auf Kurs zu halten. Die große
Koalition wurde als verbrauchte Ausnahme wahrgenommen.
Zweitens: Angela Merkel kann weiter regieren. Sie hat es jedoch nicht
vermocht, ihren Kanzlerinnenbonus in Prozentpunkte für die Union
umzumünzen. Stattdessen erzielte die CDU/CSU ihr zweitschlechtestes
Ergebnis bei Bundestagswahlen, nur 1949 war sie mit 31 Prozent
schwächer. Merkel geht mit ihrer Wunschkoalition aus dem Wahltag,
aber nicht gestärkt. Die Debatte über den richtigen Kurs der Union
und damit über eine mögliche Trennung von Kanzleramt und CDU-Vorsitz
wird lauter werden. Merkels drei männliche Parteivizes drängten
gewiss nicht zufällig sofort mit besorgten Statements vor jede
Kamera.
Drittens: Die SPD hat ein Desaster erlebt. Ohne überzeugenden
Kandidaten, ohne Konzept driftete sie dem Aus entgegen. Vorerst ist
sie keine Volkspartei mehr. Ob sie sich in der Opposition erneuern
kann, ist ungewiss. Ob Steinmeier und Müntefering sie dabei führen,
noch ungewisser. Steinmeiers Ankündigung, die Oppositionsführer-Rolle
anzunehmen, soll die linken Widersacher in der Partei überrumpeln.
Trotzdem ist die Agenda-2010-SPD seit gestern Geschichte.
Viertens: Die Linkspartei ist kein Phänomen mehr, sondern von Dauer.
Wer immer also die SPD künftig lenkt, muss eine Annäherung zur
Linkspartei suchen, um die Trennung der Linken aufzuheben, eine
historische Folge der Zwangsvereinigung von Sozialdemokratie und
Kommunisten 1946 in der sowjetisch besetzten Zone. Der bald
anstehende Abgang von Lafontaine und Franz Müntefering dürfte diesen
Prozess in den nächsten Jahren ermöglichen.
Fünftens: Die FDP ist der große Wahlsieger. Sie ist auf dem Weg vom
Mehrheitsbeschaffer zur Vollpartei, aber noch nicht zur Volkspartei.
Guido Westerwelle und die Liberalen werden die Politik der neuen
Bundesregierung stark prägen, die Union treiben. Wenn sie dabei
seriös bleiben, nicht überziehen, können sie auf Dauer wieder Politik
gestalten.
Sechstens: Die Grünen bleiben eine Generationenpartei, die mit den
Liberalen um die Mitte ringt. Ihre Festlegung auf eine unrealistische
Ampelkoalition, ihre Absage an die Union hat sie taktisch eingemauert
und für viele Wähler unattraktiv gemacht.
Siebtens: Obwohl mit Schwarz-Gelb noch einmal eine klassische
Konstellation obsiegte, müssen alle Parteien ihre
Koalitionsmöglichkeiten neu definieren. Dass eine Protestgruppierung
wie die Piratenpartei, die sich vor allem an die digitale Intelligenz
wendet, aus dem Stand rund zwei Prozent erhielt, zeigt die neue
Beweglichkeit der Wähler.
Achtens: Die niedrige Wahlbeteiligung darf nicht überbewertet werden.
Viele vorangegangene Bundestagswahlen drehten sich um
Richtungsentscheidungen Westbindung, Ostpolitik, deutsche Einheit ,
diese Wahl fand in einer Zwischenzeit statt. Merkel und Steinmeier
polarisierten nicht. Und: Viele Nichtwähler drückten bewusst ihren
Unmut aus, vor allem enttäuschte SPD-Anhänger.
Neuntens: Für die NRW-Landtagswahl bedeutet dieser Sonntag keine
Vorentscheidung. Der schwarz-gelbe Koalitionsvertrag im Bund muss
wirtschaftliche Vernunft und sozialen Ausgleich ausstrahlen.
Überzeugt der schwarz-gelbe Start in Berlin, gibt es in Düsseldorf
eine Neuauflage.
Zehntens: Wir Journalisten sollten die Tigerente ab heute zurück ins
Kinderzimmer schicken. Die Zeiten sind ernst und deshalb
schwarz-gelb.

Originaltext: Rheinische Post
Digitale Pressemappe: http://www.presseportal.de/pm/30621
Pressemappe via RSS : http://www.presseportal.de/rss/pm_30621.rss2

Pressekontakt:
Rheinische Post
Redaktion

Telefon: (0211) 505-2303


Kontaktinformationen:

Leider liegen uns zu diesem Artikel keine separaten Kontaktinformationen gespeichert vor.
Am Ende der Pressemitteilung finden Sie meist die Kontaktdaten des Verfassers.

Neu! Bewerten Sie unsere Artikel in der rechten Navigationsleiste und finden
Sie außerdem den meist aufgerufenen Artikel in dieser Rubrik.

Sie suche nach weiteren Pressenachrichten?
Mehr zu diesem Thema finden Sie auf folgender Übersichtsseite. Desweiteren finden Sie dort auch Nachrichten aus anderen Genres.

http://www.bankkaufmann.com/topics.html

Weitere Informationen erhalten Sie per E-Mail unter der Adresse: info@bankkaufmann.com.

@-symbol Internet Media UG (haftungsbeschränkt)
Schulstr. 18
D-91245 Simmelsdorf

E-Mail: media(at)at-symbol.de

227416

weitere Artikel:
  • Seehofer: Deutschland muss soziales Land bleiben Bonn (ots) - Bonn/Berlin, 27. September 2009 - Der bayerische Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) hält trotz der CSU-Verluste und des starken Abschneidens der FDP bei der Bundestagswahl seine Kritik an FDP-Positionen zur Sozialpolitik aufrecht. Im PHOENIX-Interview sagte Seehofer: "Das habe ich einfach als Überzeugung, vom Kündigungsschutz bis zur Privatisierung der Krankenversicherung, und das werde ich auch weiterhin vertreten." Er sei überzeugt, dass Deutschland in diesen Bereichen ein soziales Land bleiben müsse. Seehofer zeigte mehr...

  • Weser-Kurier: Zum Ergebnis der Bundestagswahl Bremen (ots) - Die Sozialdemokraten stehen nach elf Jahren Regierungsbeteiligung vor einem inhaltlichen und personellen Umbruch. Einen Vorgeschmack, wie dramatisch dieser sein wird, konnte gestern schon erleben, wer Berlins Regierendem Bürgermeister Klaus Wowereit genau zuhörte: Er und all die anderen Genossen, die die kurze Ära Müntefering/Steinmeier eher vom Rand der SPD miterlebt haben, werden jetzt aufbegehren, mehr Einfluss und vor allem Posten fordern. Kaum vorstellbar, dass Müntefering wirklich noch lange Vorsitzender bleibt oder mehr...

  • Ostsee-Zeitung: OSTSEE-ZEITUNG zur Bundestagswahl Rostock (ots) - Die Große Koalition ist Geschichte, und die CDU hat den Ausstieg wesentlich besser hinbekommen als die SPD. Die Union hatte es auch leichter, denn sie hatte zwei Optionen zum Machterhalt: mit der SPD und mit der FDP. Für die SPD gab es quasi nur die Fortsetzung der Großen Koaltion, weil sie einen linken Block mit Grünen und Linken von vornherein ausgeschlossen hatte. Die Ausgrenzung der Linken, die in Brandenburg zweitstärkste Kraft geworden sind und in Schleswig-Holstein den Sprung in den Landtag geschafft haben, ist den mehr...

  • Der Tagesspiegel: Kurt Beck, Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz: "Ich hoffe, dass wir das idiotische Lagerdenken überwinden" Berlin (ots) - Berlin - Nach der bitteren Niederlage der SPD bei den Bundestagswahlen hat der rheinland-pfälzische SPD-Chef und frühere Bundesvorsitzende, Kurt Beck, dafür plädiert, einen Vorschlag für einen neuen Parteivorsitzenden zu erarbeiten. Auf die Frage "Sollte Steinmeier jetzt Parteichef werden", sagte Beck dem Berliner "Tagesspiegel" (Montagausgabe): "Ich bin dafür, dass wir miteinander einen Vorschlag erarbeiten." Beck sagte, er wolle sich bei allen Fragen "konstruktiv einbringen". Zur Bündnisfrage mit der Linken sagte Beck: mehr...

  • Niebel bekräftigt FDP-Forderung nach Steuerreform Bonn (ots) - Bonn/Berlin, 27. September 2009 - FDP-Generalsekretär Dirk Niebel hat die Forderungen seiner Partei nach einer Steuerreform bekräftigt. Im PHOENIX-Interview sagte Niebel, die Menschen erwarteten, dass man nach der Wahl mache, was man vor der Wahl angekündigt habe. "Wir haben immer nur eine einzige Bedingung gemacht im Wahlkampf: Wir brauchen eine echte Steuerstrukturreform, eine Vereinfachung und Entlastung im Steuersystem", so Niebel weiter. Originaltext: PHOENIX Digitale Pressemappe: http://www.presseportal.de/pm/6511 mehr...

Mehr zu dem Thema Aktuelle Politiknachrichten

Der meistgelesene Artikel zu dem Thema:

LVZ: Leipziger Volkszeitung zur BND-Affäre

durchschnittliche Punktzahl: 0
Stimmen: 0

Bitte nehmen Sie sich einen Augenblick Zeit, diesen Artikel zu bewerten:

Exzellent
Sehr gut
gut
normal
schlecht