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Dr. Gunther von Hagens' Plädoyer für Gestaltplastinate wider die anatomische Zerstückelung

Geschrieben am 08-09-2009

Heidelberg (ots) - Die Stadt Augsburg hat mir Pornografie
vorgeworfen, mit der ich angeblich auf die Sensationsgier nekrophil
veranlagter Menschen abziele. Diesen abwegigen Vorwürfen folgte das
Verwaltungsgericht nicht. Es machte unmissverständlich deutlich, was
aus seiner Sicht einer öffentlich erlaubten Präsentation
entgegensteht. Es nimmt Anstoß sowohl an der Körperhaltung als auch
an den Gesichtsausdrücken des "Schwebenden Akts", weil sie die mit
dem Geschlechtsakt einhergehenden Gefühle vermitteln würden. Es
stellt aber nicht die Wissenschaftlichkeit und
Ausstellungsberechtigung des Plastinats grundsätzlich in Zweifel.
Daraus zog ich den Schluss, dass nach Beseitigung dieser Hindernisse
das Plastinat seine Berechtigung in der Ausstellung hat.

Deshalb wurde der "Schwebende Akt" gemäß den Auflagen des Gerichts
auf seine Kernaussage reduziert und damit die Voraussetzung
geschaffen, den Sexualakt dennoch zeigen zu können. Der Sexualakt
sollte lediglich an zwei plastinierten Becken von Mann und Frau zu
sehen sein. Hierfür habe ich - äußerst widerwillig - den "Schwebenden
Akt" zersägt und daraus zwei Plastinate gefertigt, um so den Bürgern
dennoch die Anatomie des Sexuellen, die zur anerkannten Anatomie des
Menschen gehört, nicht gänzlich vorenthalten zu müssen. Die Auflagen
des Gerichts zwangen mich zu solchen drastischen Maßnahmen, wenn dem
Ausstellungsbesucher trotzdem ein gewisser Einblick in die Anatomie
des Sexuellen gewährt werden soll. So gesehen habe nicht ich, sondern
das Gericht die Zerstückelung des "Schwebenden Aktes" in die zwei
neuen Plastinate zu verantworten:

(1) Plastinat "Akt ohne Akteure"

Hierbei handelt es sich um das männliche und weibliche Becken beim
Geschlechtsakt, der ohne Gesichter, Extremitäten und Rückenmuskeln
keine "Emotionen" - wie vom Gericht gefordert - mehr zeigt.

(2) Plastinat "Paar ohne Unterleib" "

Dabei handelt es sich um das Restpräparat, bestehend aus den
Oberkörpern von Mann und Frau des Geschlechtsaktes sowie deren
abgeschnittenen Extremitäten. Dieses Präparat wird nunmehr in ein
Plastinat verwandelt, das wie aus einem Stein herausgemeißelt wirkt.

Mit großer Verwunderung nehme ich inzwischen zur Kenntnis, dass
die Stadt Augsburg weiter auf dem ausgesprochenen Verbot beharrt,
obgleich die Auflagen des Gerichts erfüllt wurden. Ich bin
entschlossen, wenn es künftig notwendig sein sollte, weiter für das
Recht der Bürger zu kämpfen, sich auch mit der Anatomie des Sexuellen
über Körperwelten vertraut machen zu können. Der Einzelne hat das
Recht, selbst zu entscheiden, was er anschauen möchte oder nicht,
wenn das Dargestellte nicht Menschen verachtend ist, sondern ganz im
Gegenteil auf sozialverträgliche Weise etwas Allzumenschliches in
einer seiner schönsten Ausdrucksformen zeigt. Jedoch lässt sich für
Augsburg die Durchsetzung dieses Rechts wegen des nahenden
Ausstellungsendes nicht mehr realisieren.

Urteil des Verwaltungsgerichts

Das Verwaltungsgericht Augsburg erklärt in einem Beschluss vom 4.
September 2009 (Aktenzeichen: AU 7 S09.1266), dass dem von der Stadt
Augsburg verbotenen "Schwebenden Akt" zwar der wissenschaftliche
Zweck nicht abgesprochen werden kann. Das Gericht kritisiert aber,
dass mit dem "Schwebenden Akt" auch die emotionale Seite des
Geschlechtsaktes dargestellt werde. Die Darstellung von Emotionen
würde den "erlaubten" Rahmen einer sachlich-wissenschaftlichen
Präsentation der beim Geschlechtsakt ablaufenden anatomischen
Vorgänge überschreiten.

Hierzu führt das Gericht auf Seite 14 aa aus):

"Das streitgegenständliche Exponat stellt nicht lediglich die
anatomischen oder biologischen Vorgänge beim Geschlechtsakt dar,
vielmehr tritt in den Vordergrund der Versuch des Plastinators, auch
die "emotionale Seite" des Geschlechtsaktes darzustellen. ... , was
jedoch den erlaubten Rahmen einer sachlich-wissenschaftlichen
Darstellung der beim Geschlechtsakt ablaufenden anatomischen Vorgänge
überschreitet. Beim durchgeführten Ortstermin ließ sich dies zum
Beispiel an der Körperhaltung der Präparate, an der Haltung ihrer
Köpfe, ihrer Arme und daran erkennen, dass das weibliche Plastinat
mit Ohrringen geschmückt war. Dies und insbesondere der geformte,
eindeutig Gefühle zeigende Gesichtausdruck der Plastinate stellen
allesamt Ausdrucksformen dar, die zu einer Erfassung der anatomischen
Vorgänge bei Geschlechtsverkehr in keiner Weise beitragen, sondern an
die freie, künstlerische Ausdrucksweise anknüpfen."

Weiter heißt es auf Seite 15 cc:

"Ein didaktisches Anliegen, das für das bessere Verständnis des
Geschlechtsverkehrs und dessen wissenschaftliche Aufklärung die
Abspreizung der Rückenmuskulatur ... erfordern, ist ... nicht
erkennbar."

Trotz besagter Zugeständnisse teile ich die Kritik der Richter
allerdings nicht. Ich bin sogar gegenteiliger Meinung. Die emotionale
Seite des Geschlechtsaktes, die Haltung des Körpers, der Köpfe und
Arme sowie die gefühlvolle Mimik der Plastinate eingeschlossen,
gehören aus folgenden Gründen zur Anatomie des Geschlechtsaktes:

1. Pose und Mimik - Sensationsdrang oder Sachzwang?

Die ästhetische Instruktion von Ganzkörperexponaten ist
unvermeidlich. Wenn das mit Silikonkautschuk durchtränkte Plastinat
dem Silikonbad entnommen wird, ähnelt es einer Leiche, wie sie
Studenten im fortgeschrittenen Anatomiekurs antreffen. Leitungsbahnen
wie Nerven, Arterien und Venen mit den abgelösten Muskeln liegen
ungeordnet durcheinander. Sie müssen erst anatomisch korrekt und dann
entsprechend der gewählten Thematik positioniert werden. Beim
Skelett, dem "traditionellen" Ganzkörperplastinat, ist dies einfach.
Man stellt es aufrecht hin. Doch werden außer Knochen auch noch
Muskeln, Nerven, Gefäße und Organe gezeigt, dann steigen die
Anforderungen, wenn das Plastinat dem Betrachter einen optimalen
Einblick in die Innenseite des Körpers ermöglichen soll. So muss etwa
der Arm zur Darstellung der Achselhöhle abgespreizt oder
oberflächliche Muskeln abgehoben werden, um tiefer liegende
Strukturen darzustellen. Dieses Vorgehen ist mit der seit langer Zeit
üblichen Herstellung sogenannter Sprengschädel vergleichbar, bei
denen die oberflächlichen Schädelknochen auf Abstand gehalten werden,
damit man die tiefer liegenden besser sehen kann. Dementsprechend
wurden die abgespreizten Rückenmuskeln (großer Trapezmuskel) des
weiblichen Plastinats nicht, wie das Gericht irrtümlicherweise
annimmt, abgespreizt, um an Flügel zu erinnern, sondern um mit der
oberflächlichen Muskelschicht zugleich auch die darunter liegenden
Muskeln demonstrieren zu können.

Auch die Gesichtsmuskulatur muss der gewählten Thematik
entsprechen, denn ein Plastinat ist erst stimmig, wenn Pose und Mimik
miteinander harmonieren und damit den üblichen Sehgewohnheiten des
Betrachters entsprechen. Andernfalls kann ein Ganzkörperplastinat
nicht überzeugen, sondern wirkt eher irritierend. Einem Hürdenläufer
beispielsweise darf man durchaus die Anspannung ansehen bei seinem
Versuch zu gewinnen. Ein Hürdenläufer mit schläfrigem Gesicht ist
dagegen nicht glaubwürdig; das Auseinanderfallen von Bewegungsablauf
und Gesichtsausdruck würde das Plastinat widersprüchlich, ja
unrealistisch machen und die Wahrnehmung stören.

Dem entsprechend sollte auch ein Sexplastinat ein der Situation
gemäßes Gesicht haben. Es ist mithin Aufgabe des Plastinators die für
eine optimale anatomische Aussage beste Pose und Mimik zu gestalten.
Dabei bewegt sich die Anatomie stets im Grenzbereich zwischen
symbolischen Schauobjekten und anatomischen Lehrpräparaten. Jedoch
ist es unmöglich, ein Ganzkörperplastinat ohne Pose und Mimik
darzustellen. Diese Alternative besteht nicht. Die Gestaltung eines
Ganzkörperplastinats ist immer auch die Gesaltung einer Pose, zu der
auch die Mimik passen sollte.

2. Ganzkörperplastinate statt Teilpräparate

Die Zerstückelung eines Körpers in Teilpräparate, wie für die
Erstellung universitärer Sammlungen weltweit üblich, ist ein weit
schwer wiegenderer Eingriff in den Leichnam als dessen Transformation
in ein Ganzkörperplastinat. Denn hierfür sind eine Säge und eine
robuste psychische Konstitution erforderlich. Jedenfalls ist unter
anderem aus diesem Grund der Zutritt von Laien und Angehörigen zu
universitären Präpariersälen verboten. Während zu Beginn eines
Präparierkurses hin und wieder noch eine Ausnahme gemacht wird, ist
spätestens nach dem Zersägen der Leiche (in üblicherweise vier große
Leichenstücke, nämlich 2 x Beckenhälften mit Bein, 1 x Kopf mit Hals
und 1. Rippe, 2 x Arm mit Schulterblatt und Schlüsselbein) der
Präpariersaal für jeden Nichtmediziner tabu.

Doch sowohl Mediziner, als auch Laien sind an der Anatomie des
ganzen Körpers interessiert, den man bis zu meiner Erfindung der
Plastination im Jahre 1977 nicht trocken konservieren konnte. Seither
bemühe ich mich aus den oben angesprochenen Gründen, Teilpräparate
nur dann zu zeigen, wenn sich eine solche Präsentation didaktisch in
besonderer Weise anbietet, zum Beispiel als Vergleiche von gesunden
mit kranken Organen wie etwa normaler Lunge mit Raucherlunge oder
normaler Leber und Schrumpfleber.

Zusammengefasst formuliert, sollte die Zerstückelung des Körpers
insbesondere für die Laienanatomie weitgehend vermieden werden.

3. Der sexual aufgeklärte Bürger als kulturpolitischer Pflegefall
Jeder soll die Anatomie des Sexuellen in der Ausstellung sehen
dürfen, wenn er es möchte, und die Moraltherapeuten unserer Zeit
sollten aufhören, die Bürger durch fürsorgliche Entmündigung zu
kulturpolitischen Pflegefällen machen zu wollen.

--------

Bilder des Plastinats "Schwebender Akt", der Zersägung und der neu
entstandenen Plastinate "Sexualakt Reduziert" und "Anatomie
Herausgemeißelt" finden Sie in der KÖRPERWELTEN-Bilddatenbank unter
http://www.bodyworlds.com/de/presse/presse_bilddatenbank.html in der
Kategorie "Schwebender Akt".

Originaltext: Institut für Plastination
Digitale Pressemappe: http://www.presseportal.de/pm/61788
Pressemappe via RSS : http://www.presseportal.de/rss/pm_61788.rss2

Pressekontakt:
Pressestelle
Institut für Plastination
Rathausstr. 11
69126 Heidelberg
hd.presseoffice@plastination.com


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