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Verstopfung im Reaktorsumpf

Geschrieben am 02-07-2009

Berlin (ots) - Seit 17 Jahren fürchten Experten, dass zerstörtes
Dichtungs- und Dämmmaterial nach einem Leck im Kühlkreislauf eines
Atomkraftwerks die zuverlässige Kühlung des Reaktors verhindert - Das
Problem hat das Potenzial zum Supergau - Aktuell eskaliert sowohl
zwischen den Atomaufsichtsbehörden von Bund und Ländern als auch mit
den AKW-Betreibern der Streit über die Konsequenzen - die
Öffentlichkeit erfuhr vom aktuellen Streit bisher praktisch nichts

Zerstörtes Dichtungs- und Dämmmaterial kann nach einem Leck im
Kühlkreislauf von Atomkraftwerken dazu führen, dass der Reaktorkern
nicht mehr ausreichend gekühlt wird. Für das Sicherheitsproblem, das
die brisantesten Atomunfälle überhaupt betrifft, suchen
Reaktorexperten im In- und Ausland seit mehr als einer Dekade
vergeblich nach einer Lösung. Simulationsexperimente ergaben in den
vergangenen Jahren, dass die bisher ergriffenen Maßnahmen zur Abhilfe
nicht greifen, sondern eher geeignet sind, das Problem aus der
Peripherie des Atomkraftwerks in das Herz des Reaktors, den
Reaktorkern, zu verlagern. Das berichtet das von der Deutschen
Umwelthilfe e. V. (DUH) herausgegebene Umweltmagazin zeo2 in seiner
jüngsten Ausgabe.

Von dem Problem, dem Reaktorexperten das Potenzial zum Supergau
zuschreiben, können grundsätzlich sowohl Druck- als auch
Siedewasserreaktoren betroffen sein. Auslöser für seit nunmehr 17
Jahren andauernde nationale wie internationale Versuche, die drohende
Verstopfung der Reaktorkühlung im Falle eines Lecks durch
Veränderungen im Reaktordesign und im so genannten Notfallmanagement
sicher zu vermeiden, war ein Unfall im schwedischen
Siedewasserreaktor Barsebäck am 28. Juli 1992. Damals hatte der aus
einem Leck regelrecht herausschießende Wasserdampf binnen kurzer
Frist rund 200 Kilogramm Dämm- und Fasermaterial von umgebenden
Rohrsystemen geschossen. Die zerstörten groß- und kleinteiligen
Dämmreste verstopften anschließend die Siebe, über die das am
Reaktorboden (Fachjargon "Reaktorsumpf") zusammenfließende Wasser
wieder in den Reaktorkern zurückgepumpt werden muss.

Länderabhängig wurden vor allem seit etwa Mitte der neunziger
Jahre in vielen Atomkraftwerken unterschiedliche Maßnahmen -
Vergrößerung der Ansaugfläche, Verkleinerung der Siebmaschenweiten,
Veränderung des Dämmmaterials - ergriffen, um dem Risiko einer
Kernverstopfung nach einem Leck im Kühlkreislauf zu begegnen. Der
Kenntnisstand vergrößerte sich ständig, so dass nach einer
entsprechenden Stellungnahme der Reaktorsicherheitskommission (RSK)
der Bundesregierung im Sommer 2004 weitere Nachrüstungen,
insbesondere Verkleinerungen der Siebmaschenweiten, durchgeführt
wurden.

Anschließende Simulationsversuche durch den deutsch-französischen
Reaktorbauer Areva am früheren Siemens-Standort Erlangen sollten aus
Sicht der AKW-Betreiber den endgültigen Nachweis der Beherrschbarkeit
des Problems liefern. Doch es geschah das Gegenteil: Die Versuche
zeigten, dass (möglicherweise gerade infolge von Nachrüstungen) das
Problem aus dem Reaktorsumpf in den Reaktor selbst verlagert werden
würde. Dort, so das Ergebnis, würde sich aus feinem Fasermaterial und
Korrosionsprodukten im Kühlkreislauf ein immer dichterer Filz auf
bestimmten Strukturen im Reaktorkern bilden und eine ausreichende
Kernkühlung verhindern.

"Die neueren Erkenntnisse sind hoch brisant und zwingen die
Atomaufsicht unverzüglich zu handeln. Der gesamte Vorgang beweist
einmal mehr, dass hyperkomplexe Maschinen wie Atomkraftwerke nicht
absolut sicher betrieben werden können", sagte
DUH-Bundesgeschäftsführer Rainer Baake. Selbst wenn man, wie in
diesem Fall, glaubt, das Problem gelöst zu haben, könne sich dies "im
Ernstfall als katastrophaler Irrtum erweisen". Ganz ähnlich äußerte
sich gegenüber zeo2 auch der Reaktorexperte und frühere
Verantwortliche für den Schnellen Brüter in Kalkar, Klaus Traube:
"Absolute Sicherheit ist unmöglich".

In der zeo2-Titelgeschichte - Autor ist Gerd Rosenkranz, der
Leiter Politik und Presse der DUH und frühere Spiegel-Redakteur -
zitiert das Blatt aus teilweise vertraulichen Unterlagen und
Protokollen. Danach stellte die Reaktorsicherheitskommission (RSK)
nach einer Sitzung mit allen Beteiligten im Dezember letzten Jahres
fest, "dass der vereinbarte und (von den Betreibern, DUH) zugesagte
geschlossene Nachweis", dass die Kernkühlung bei einem Leck im
Kühlkreislauf sichergestellt sei, nicht erbracht wurde. Die von den
Betreibern vorgelegten Unterlagen und Simulationsergebnisse seien
"nicht in allen Aspekten nachvollziehbar". Auch die Gesellschaft für
Anlagen- und Reaktorsicherheit (GRS) in Köln bestätigte im März
diesen Jahren den Befund: Der Sicherheitsnachweis sei nicht gelungen,
heißt es in einer Stellungnahme.

Die AKW-Betreiber wollten weitere Simulationsversuche nun nicht
mehr durchführen. Stattdessen kündigten sie an, den
Länderaufsichtsbehörden Unterlagen über einzelne Reaktoren vorlegen
zu wollen. Seither eskaliert der Konflikt, sowohl zwischen den
unionsgeführten Länderaufsichtsbehörden (in Bayern,
Baden-Württemberg, Hessen und Niedersachsen - in Schleswig-Holstein
führt SPD-Sozialministerin Gitta Trauernicht (SPD) die Atomaufsicht
in einer großen Koalition) und der Bundesatomaufsicht, als auch mit
den Reaktorbetreibern. Am 10. März erklärte das
Bundesumweltministerium die bisherigen Versuche "zur Klärung der
offenen Fragen bei der Nachweisführung" in einem Schreiben an die
fünf zuständigen Länderministerien für gescheitert. Es bestehe
"keine ausreichende Gewissheit über die Störfallbeherrschung".
Deshalb müssten die Länderbehörden die AKW-Betreiber nun zwingen, den
Nachweis binnen drei Monaten zu führen.

Seither spielen die Länder auf Zeit. Keines verpflichtete die
Betreiber, den Nachweis binnen der vom BMU geforderten
Drei-Monats-Frist zu führen. Vier von fünf Ländern ließen die
gesetzte Frist zur Reaktion verstreichen und schickten schließlich
nach Informationen der DUH Berichte sehr "unterschiedlicher Qualität"
über die AKW in ihrer jeweiligen Zuständigkeit. "Wenn richtig ist,
was mehrere mit der Materie befasste Personen der DUH in den letzten
Tagen berichtet haben, dann ist klar ersichtlich, dass die Länder
versuchen, das rettende Ufer der Bundestagswahl zu erreichen", sagte
der Autor des zeo2-Berichts Gerd Rosenkranz. Eine solche Haltung sei
unverantwortlich und zeige, wie weit sich manche Behörden von ihrem
Auftrag, größtmögliche Sicherheit der Bevölkerung vor den Gefahren
der Atomkraftnutzung zu gewährleisten, entfernt hätten. "Die
Atomaufsicht muss jetzt klare Kante zeigen. Wenn Sicherheitsnachweise
für realistische Störfallabläufe mit Supergau-Potenzial nicht geführt
werden können, dann gibt es nur eins: Abschalten!"

zeo2-Redakteur Marcus Franken sagte, Bürgerinnen und Bürger sei
nicht vermittelbar, dass "ein erkennbar ebenso brisantes wie
ungeklärtes Sicherheitsproblem zwischen Expertengremien und Behörden
hin- und hergewälzt werden kann, ohne dass die Öffentlichkeit davon
erfährt". Bis heute sei kein Betreiber auf die Idee gekommen, die
Öffentlichkeit aktiv über die neueren Erkenntnisse zu informieren.
Ebenso wenig äußerten sich mit der Materie befasste Atomexperten. Es
bestehe der Verdacht, dass angesichts hochkomplexer Technologien wie
der Atomenergie, "Realität und Medienrealität mehr und mehr
auseinanderfallen." Das noch junge Umweltmagazin zeo2 sehe seine
Aufgabe auch darin, einer solchen Entwicklung gegenzusteuern. Es sei
erstaunlich, dass viele - wenn auch nicht alle - Unterlagen, die dem
zeo2-Bericht zugrunde liegen, über das Internet zugänglich gewesen
seien. "Wir haben uns vorgenommen, nicht aufzuhören zu berichten,
wenn es kompliziert wird - das sind wir unsern Leserinnen und Lesern
schuldig", sagte Franken.

Originaltext: Deutsche Umwelthilfe e.V.
Digitale Pressemappe: http://www.presseportal.de/pm/22521
Pressemappe via RSS : http://www.presseportal.de/rss/pm_22521.rss2

Pressekontakt:
Marcus Franken, zeo2-Chefredaktion, Mobil: 01711270808,
franken@zeozwei.de
Rainer Baake, Bundesgeschäftsführer, Hackescher Markt 4, 10178
Berlin; Mobil: 0151 55 01 69 43, Tel.: 0302400867-0, Fax:
0302400867-19, E-Mail: baake@duh.de
Dr. Gerd Rosenkranz, Leiter Politik und Presse, Hackescher Markt 4,
10178 Berlin, Mobil: 01715660577, Tel.: 0302400867-21, Fax:
0302400867-19, E-Mail: rosenkranz@duh.de


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