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Westerwelle zu Opel: Steuerzahler sollten auf Hab-Acht-Stellung gehen

Geschrieben am 29-05-2009

Berlin (ots) - Berlin. Der FDP-Partei- und -Fraktionsvorsitzende
DR. GUIDO WESTERWELLE gab dem "WDR 5" heute das "Interview des
Monats" für das Format "Platz der Republik". Die Fragen stellten DR.
GERD DEPENBROCK und RÜDIGER BECKER:

Frage: Herr Westerwelle, man kann natürlich ein Interview heute
Abend nicht ohne das Thema Opel beginnen. Sie haben sich immer etwas
distanziert geäußert und zum Beispiel gesagt, man habe den Eindruck,
nicht Opel solle gerettet werden, sondern Opel solle die
Regierungskoalition retten. Nun ist es immer leicht, aus der
Opposition heraus die reine Lehre zu verteidigen. Wenn Sie jetzt aber
in der Regierungsverantwortung gestanden wären, müssten Sie da nicht
auch pragmatisch handeln?

WESTERWELLE: Wir würden mit Sicherheit auch pragmatisch handeln
und alles tun, um Arbeitsplätze zu sichern, aber nicht um den Preis,
dass die kleineren und mittleren Betriebe alle über die Wupper gehen.
Alle schauen im Augenblick auf die großen Betriebe, schauen hin zu
Opel. Da muss man auch hinschauen. Aber dass man dabei die kleinen
und mittleren Betriebe - und das ist das Rückgrat der Wirtschaft und
das ist das Rückgrat der Arbeitsplätze - vernachlässigt, das
akzeptieren wir auf keinen Fall.

Frage: Und was für Opel gilt, das gilt auch für Arcandor?

WESTERWELLE: Das ist ja genau das Thema. Natürlich kann man jetzt
ein großes Unternehmen nach dem anderen, das mächtig genug ist, auch
Medienaufmerksamkeit auf sich zu ziehen, mit Steuer-Schecks
unterstützen. Aber das muss ja jemand erwirtschaften. Das muss ja
jemand bezahlen. Und am Schluss ist es der Mittelstand, wo mit zu
hoher Steuer- und Abgabenlast gedrückt wird. Am Schluss werden auch
die gesunden Unternehmen durch Wettbewerbsverzerrungen auch noch
krank. Und wenn wir Arcandor nehmen, da höre ich, dass mehr als die
Hälfte dieses Betriebes einen Umsatzanteil hat aus dem Reisegeschäft.
Warum werden da nicht Teile veräußert, bevor man beim Steuerzahler
die Hand aufhält? Es kann doch nicht die Aufgabe von Politikern sein,
auch einer wohlhabenden Eigentümerfamilie ihr Vermögen zu sichern. Es
geht doch um Arbeitsplätze und nicht darum, dass beispielsweise auch
Eigentümerwechsel

verhindert werden sollten. Ich meine, nehmen wir mal das Kaufhaus
des Westens hier in Berlin. Das hat doch nicht immer diesem
Eigentümer gehört. Das hat schon verschiedene Eigentümer gehabt. Und
wenn der Eigentümer wechselt, dann wechselt er eben. Davon geht doch
noch kein einziger Arbeitsplatz verloren.

Frage: Der Staat soll Schiedsrichter sein, aber selber nicht
mitspielen. Das ist, glaube ich, so in etwa die Position der FDP.
Aber wo sind da die Kriterien? Wann ist es angebracht, dass der Staat
eingreift und wann nicht?

WESTERWELLE: Man soll auch Brücken bauen. Und das, was für den
Mittelstand gilt, dass es auch Bürgschaftsprogramme gibt, das will
ich auch Anderen nicht verweigern. Aber ich mache mir schon Sorgen
darüber, wenn jetzt ein privater Investor nach dem anderen sich bei
Opel zurückzieht, offensichtlich weil General Motors sehr teure
Tretminen noch vergraben hat. Dann sollten auch die Steuerzahler
wirklich auf Hab-Acht-Stellung gehen. Dann sollten auch die Politiker
sehr vorsichtig mit den Steuergeldern umgehen. Denn wir wollen mal
nicht vergessen: Das ist ein gigantisches Geschäft. Und wenn sich
nicht mal mehr ein privater Investor findet, weil General Motors
täuscht, trickst, tarnt, dann sollte auch der deutsche Steuerzahler
geschützt werden. Es darf kein Steuergeld verplempert werden, was in
Wahrheit nichts Anderes zur Folge hätte: Die Arbeitsplätze in
Deutschland werden nicht sicherer. Aber in Amerika machen sich dann
einige die Taschen voll mit unseren Geldern. Das wollen wir
verhindern als FDP.

Frage: Herr Westerwelle, am Samstag vor einer Woche feierten Union
und FDP die Wiederwahl Horst Köhlers wie einen vorweggenommen Sieg
bei der Bundestagswahl. Aber in Wahrheit hatten Union und FDP keine
eigene Mehrheit. Sie brauchten nicht nur die Freien Wähler, sondern
sogar Stimmen von den Grünen. Sind die Grünen also doch - entgegen
üblicher liberaler Lesart - konservativ und könnten für Koalitionen
in Frage kommen?

WESTERWELLE: Ich weiß nicht, wie die Anderen abgestimmt haben. Ich
weiß nur, dass die FDP einstimmig unseren Bundespräsidenten
wiedergewählt hat. Und wir haben nicht einen schwarz-gelben Sieg
gefeiert, sondern wir haben uns aufrichtig darüber gefreut, dass der
Versuch von SPD, von Linkspartei und von Grünen gescheitert ist,
einen hochangesehenen Bundespräsidenten aus dem Amt zu bringen.

Frage: Wir wissen, dass Sie Fragen nach anderen Koalitionen gerne
ausweichen. Aber die Wähler wollen durchaus wissen: Was wird, wenn es
nicht zur Zweisamkeit reicht?

WESTERWELLE: Wir setzen auf Schwarz-Gelb. Ich ärgere mich über den
Linksrutsch der Union. Wenn ich allein an die Gesundheitspolitik und
die Planwirtschaft denke, dann kann ich dafür nicht nur Ulla Schmidt
verantwortlich machen, sondern muss leider auch sehen: Das hat die
Union mit verbrockt. Aber gleichzeitig stellen wir fest: Die größten
Gemeinsamkeiten sind immer noch mit der Union. Ich habe die Programme
von SPD und Grünen gelesen und komme zu dem Ergebnis: Das sind
Programme, die zur Linkspartei passen, aber nicht zur FDP.

Frage: Aber Sie haben oft genug gesagt: Es wird keine Ampel geben.
Und Sie haben das analysiert: Wenn es keine bürgerliche Mehrheit
gibt, dann bekommen wir ein Linksbündnis - nicht sofort, aber mit
einer Schamfrist von ein oder zwei Jahren großer
Koalition. Wäre es da nicht gerade das Gebot für die FDP, dies durch
eine Ampel zu verhindern?

WESTERWELLE: Wir werden das auf unserem Bundesparteitag dann
entscheiden, der ja vor der Bundestagswahl noch stattfinden wird. Wir
machen es also genauso wie 2005. Dass wir jetzt erst mal für unser
eigenes Regierungsprogramm werben, dass wir sagen: Macht die FDP
stark, damit wir von der Steuer über die Bildung bis hin zu
Bürgerrechten mehr von unserem Programm durchsetzen können. Das
versteht sich von selbst. Und dass wir die Koalitionsaussage auf
einem eigenen Parteitag beschließen, das habe ich bereits
angekündigt.

Frage: Wenn man die Akteure der großen Koalition beobachtet, dann
sagen sie das zwar nicht offen, aber man hat doch das Gefühl, einige
rechnen damit, ihre Arbeit können sie nach der Wahl fortsetzen. Wie
hoch ist denn die Chance für Schwarz-Gelb insgesamt in Ihren Augen?
Und was können Sie selber dafür noch tun?

WESTERWELLE: Die Chancen für Schwarz-Gelb stehen 50:50. Das Rennen
ist noch lange nicht gelaufen. Wir haben sehr gute Chancen, mit einer
starken FDP Schwarz-Gelb zu ermöglichen. Es wird ein
Kopf-an-Kopf-Rennen geben. Und dass es auf jede Stimme ankommt, das
hat man bei der Wahl zum Bundespräsidenten gerade gesehen. Wer linke
Mehrheiten verhindern will und wer dafür sorgen will, dass diese
große Koalition nicht fortgesetzt werden kann, der hat ja nur noch
als Alternative die FDP.

Frage: Trotzdem hat man den Eindruck, Ihr Verhältnis zu Angela
Merkel, das ja eigentlich sehr freundschaftlich ist, wirkt irgendwie
abgekühlt.

WESTERWELLE: Ich bin natürlich politisch unzufrieden mit dem, was
die Regierung getan hat - und übrigens auch die Bundeskanzlerin zu
verantworten hat. Denn wir schauen jetzt zurück auf vier Jahre große
Koalition. Das heißt, es war die größte Steuererhöhung in der
Geschichte der Republik. Die Bürokratie ist mehr geworden. Selbst in
Zeiten des Aufschwungs wurden noch Schulden gemacht. Und jetzt werden
Schulden gemacht wie noch nie zuvor. Gleichzeitig ist die
Planwirtschaft im Gesundheitswesen eingeführt worden. Dieser
Kassen-Sozialismus macht alles teurer, nichts besser. Und ich kann
von dieser Kritik nicht die Kanzlerin ausnehmen, sondern dafür haftet
die ganze Regierung, Rot und Schwarz.

Frage: Dass die Kanzlerin in der großen Koalition nicht die
Wünsche der FDP erfüllen konnte, geschenkt. Aber Merkel war nun mal
eben eine Präsidentin der großen Koalition, ihr Spielraum minimal.
Nicht doch etwas Verständnis für die Kanzlerin in ihrer Situation?

WESTERWELLE: Sehen Sie, deswegen gilt der Satz von früher ja nicht
mehr: Auf den Kanzler kommt es an. Sondern heute kann man sagen: Auf
den Partner kommt es an. Um etwas frotzelig auf Ihre Frage zu
antworten: Dann gebt doch Angela Merkel endlich den richtigen
Partner, nämlich die FDP.

Frage: Dann frotzeln wir jetzt mal weiter: Selbstbewusstsein ist
ja ein Markenzeichen von Ihnen. Wenn ich Sie jetzt als künftigen
Juniorpartner der Union bezeichnen würde, bekäme ich aber schon
wieder Ärger, nicht?

WESTERWELLE: Das stimmt, weil es ja ungalant wäre. Denn nur weil
Angela Merkel wenige Jahre älter ist, sollten Sie mich nicht als
Junior bezeichnen.

Frage: Nun sind sich ja die Berliner Beobachter einig: Sie müssten
eigentlich das Ziel haben, die FDP wieder in Regierungsverantwortung
zu bringen, dass das nicht zum vierten Mal hintereinander
schiefgehen. Das könnte dann auch das Scheitern des
Parteivorsitzenden Westerwelle sein. Wie antworten Sie darauf?

WESTERWELLE: Dass ich jetzt 47 Jahre alt bin und dass ich
persönlich finde: Es ist ein bisschen früh, dass Sie mir schon mein
Ende voraussagen.

Frage: Sie wollen also nicht um jeden Preis mitregieren?

WESTERWELLE: Wir wollen regieren, aber doch nicht um einfach nur
regieren zu können. Das hätte ich doch schon machen können. Am
Wahlabend 2005 hat Herr Schröder uns im Fernsehen eine Koalition in
der Ampel angeboten. Ich habe gesagt: Wir bleiben bei dem, was wir
unseren Wählern versprochen haben, nämlich dass wir Rot-Grün beenden
wollen, dass wir es nicht verlängern werden. Wir haben Wort gehalten.
Also wenn es nur darum ginge, einen Ministerposten zu bekommen, den
hätten wir längst haben können. Es geht darum, dass man dem Land eine
bessere Politik ermöglicht und dass man vor alle Dingen dafür sorgt,
dass die Mittelschicht durch immer höhere Steuern und Abgaben nicht
immer weiter belastet und ausgedünnt wird. Die Mittelschicht
verhindert doch die Spaltung unserer Gesellschaft. Und die
Mittelschicht ist doch auch in Wahrheit der Zusammenhalt und auch die
Wohlstandschance unserer Gesellschaft. Und dass die Mittelschicht vor
zehn Jahren noch zwei Drittel der Bevölkerung war und jetzt noch
etwas mehr als die Hälfte, zeigt doch nur: Die Ungerechtigkeit
wächst, weil die Mittelschicht schrumpft. Und das wollen wir ändern.
Deswegen werde ich auch einen Koalitionsvertrag nur unterzeichnen,
wenn darin ein neues, faires Steuersystem vereinbart worden ist.

Frage: Glauben Sie denn, die Mittelschicht ist nicht genügend bei
der Union aufgehoben? Oder vielleicht anders gefragt: Gibt es
Bedingungen, die, würden sie nicht erfüllt, Sie dazu bringen würden,
den Handschlag mit der Union zu verweigern?

WESTERWELLE: Sehen Sie, das ist ja der große Streit nicht nur mit
der Regierungspartei SPD, sondern auch mit der Union, zwischen uns
und der Union. Die Union kann sich ja noch nicht so richtig
entscheiden, ob sie wieder auf eine Erneuerung der sozialen
Marktwirtschaft setzt oder ob sie so heimlich still und leise die
soziale Marktwirtschaft in Richtung Staatswirtschaft abwickelt. Und
das irritiert uns. Und das muss ich auch nicht verschweigen. Da
wollen wir etwas Anderes. Und ich will auch hinzufügen, dass die
Union derzeit mit sich selbst streitet, ob man überhaupt das Projekt
einer Steuerreform auf die Agenda setzt, ist aussagekräftig genug.
Und schließlich: Selbst diejenigen, die mittlerweile auf Drängen der
FDP in Richtung Steuerstrukturreform gehen, sagen: Bestenfalls als
Ergebnis eines Aufschwungs, als Belohnung, als Aufschwungs-Dividende.
Und das ist das falsche Denken. Wir brauchen ein faires Steuersystem
als Bedingung für einen Aufschwung, als Mittel gegen den Abschwung.
Und das macht doch die Staatsfinanzen wieder gesund.

Frage: Aus der CDU hört man da immer wieder von einflussreichen
Ministerpräsidenten zum Beispiel: Sowas kann der Guido Westerwelle
nur versprechen, nämlich Steuersenkungen, ein einfaches Steuersystem,
weil er ganz genau weiß, dass er es nicht einlösen muss, sprich:
sicher sein kann, da zieht die Union nicht mit, zumindest nicht in
dieser Radikalität.

WESTERWELLE: Na ja, dann werden die Wähler entscheiden müssen, wer
mehr Muskeln in Koalitionsverhandlungen hat. Wer will, dass wir ein
faires Steuersystem bekommen, wer die Zustände, wie sie heute im
Steuersystem sind, nicht akzeptieren will, muss die FDP stark machen,
damit wir gegen dieser Bremser auch bei der Union in
Koalitionsverhandlungen was durchsetzen können.

Frage: Und woher wollen Sie das Geld nehmen für Steuersenkungen?

WESTERWELLE: Wir haben ja als einzige Partei jedes Jahr eine Liste
vorgelegt mit 400 Ausgabenkürzungen. Und nehmen Sie allein nur mal
die Frage der Schwarzarbeit. Das ist mittlerweile ein Volumen in
Deutschland von ungefähr 350 Milliarden Euro jedes Jahr. Wenn es uns
also nur gelingen würde, durch ein faires Steuersystem ungefähr 20
Prozent aus der Schwarzarbeit zurückzuholen in die normale
Volkswirtschaft, wären die Staatsfinanzen prall gefüllt.

Frage: Die FDP fordert ja nun wirklich sehr eingängig ein
einfacheres und gerechteres Steuersystem. Aber manchmal hat man den
Eindruck, das ist wirklich die einzige Botschaft, die die FDP in den
Wahlkampf bringt. Reicht es denn, die politischen Aussagen auf so
wenige Kernbotschaften zu reduzieren?

WESTERWELLE: Dass in Zeiten, wo die Menschen Angst haben, ihren
Arbeitsplatz zu verlieren, wir uns über das unterhalten und das in
den Vordergrund stellen, was geeignet ist, Aufschwung zu schaffen,
Arbeitsplätze zu schaffen, auch den Sozialstaat finanzierbar zu
machen, indem beispielsweise wieder mehr Arbeitsplätze für mehr
Steuerzahler sorgen, das ist in meinen Augen selbstverständlich. Wir
sind aber gleichzeitig eine Partei, die ist sehr bekannt für ihre
Bildungspolitik, auch sehr anerkannt für ihre Bildungspolitik. Ich
glaube, es wird Sie verwundern, dass der Wettbewerb Deutschlands mit
dem Rest der Welt in den nächsten 20 Jahren nicht mal zuerst durch
den Wettbewerb der Steuersysteme, sondern zuallererst durch den
Wettbewerb der Bildungssysteme entschieden wird. Bildung als
Bürgerrecht, Aufstiegschancen, dass der junge Mensch, der einsteigt,
auch Chancen vorfindet, dass Bildung nicht abhängig wird vom
Geldbeutel der Eltern, das ist etwas, was wieder in dieser Republik
Realität werden muss. Ich selbst war bis zur mittleren Reife auf der
Realschule. Und ich habe diese Bildung als Bürgerrecht als großes
Glück meines Lebens empfunden. Ich durfte dann weiter aufs Gymnasium
gehen. Das war in den siebziger Jahren keine Selbstverständlichkeit.
Und ich finde, der Staat kann nicht garantieren, dass ein junger
Mensch, der sich nicht anstrengt, es am Schluss schafft, aber er muss
garantieren, dass jeder, der sich anstrengt, es schaffen kann.

Frage: Es gibt ja viele, die sich anstrengen, trotzdem reicht es
nicht. Die FDP ist die Interessenvertretung der Leistungsträger und
des Mittelstandes, sagen Sie immer. Aber es gibt ja viele, die bieten
Leistung an, aber die Leistung wird nicht mehr nachgefragt.

WESTERWELLE: Und um genau die kümmern wir uns ja. Bei der letzten
Bundestagswahl haben ungefähr acht Prozent der Arbeitslosen FDP
gewählt. Das ist ja auf den ersten Blick, wenn man manches Vorurteil
glauben mag, sehr überraschend. Es hängt damit zusammen, dass wir als
FDP gerade denen, die Arbeit suchen, Wege zeigen, wie sie Arbeit
finden. Die anderen Parteien sagen: Wir geben euch Steuergelder, das
soll euch ruhigstellen, damit ihr zufrieden seid. Wir sagen: Wir
sorgen auch dafür, dass keiner durchs Rost fällt. Aber gleichzeitig
bauen wir euch Brücken zurück ins Berufsleben. Und wir erwarten auch
von jungen Menschen, die jung sind, die gesund sind, dass sie die
angebotenen Brücken auch beschreiten, zurück ins Berufsleben gehen.
Mit anderen Worten: Wir sind der Überzeugung, dass Leistung nichts
Negatives ist, sondern die Leistungsbereitschaft des Einzelnen, und
dafür muss der Staat Rahmenbedingungen setzen, ist auch zugleich die
Voraussetzung dafür, dass Soziale Gerechtigkeit überhaupt
erwirtschaftet werden kann. Diejenigen, die da hinter roten Fahnen
hertrotteln, wissen ja gar nicht, woher das Geld kommen soll. Wir
sagen: Wir haben ein Herz für diejenigen, die kein Glück im Leben
hatten, aber wir haben gleichzeitig den Verstand, unsere
Wirtschaftsordnung so aufzustellen, dass das erwirtschaftet werden
kann, was verteilt werden soll.

Frage: Herr Westerwelle, das zweite Standbein einer Partei, die
den Staat soweit wie möglich raushalten will, war immer das
Engagement für Bürgerrechte. Sie haben in Ihrer Parteitagsrede diesem
Thema soviel Raum gegeben wie schon lange nicht mehr. Ist das eine
Rückbesinnung darauf, den linken Flügel wieder stärker einzubinden?

WESTERWELLE: Ich denke nicht in diesen Links-Rechts-Kategorien.
Denn wer für Freiheit ist, gilt, wenn er für wirtschaftliche Freiheit
und gegen Bürokratie eintritt, leicht als rechts. Wenn er für
gesellschaftliche Freiheit eintritt und gegen Entmündigung und gegen
Bespitzelung, dann sagt man gleich, das sei links. Freiheit ist ja
dieselbe Idee, nämlich die Freiheit zur Verantwortung. Und die
Bürgerrechte werden in Deutschland von der Regierung nicht mehr
ausreichend respektiert. Der Datenschutz kommt unter die Räder. Und
jetzt sieht man es, wie notwendig es gewesen wäre, der FDP für einen
besseren Datenschutz zu folgen. Dass Arbeiterinnen bis in die
Umkleidekabinen gefilmt werden, dass Arbeitnehmer am Arbeitsplatz
abgehört, durchleuchtet werden bis in die privatesten
Kontenbewegungen hinein, das ist doch absolut unanständig und das
gehört auch entsprechend politisch und rechtlich bekämpft. Und
dementsprechend sind wir die Bürgerrechtspartei. Und Eines kann man
nun wirklich auch mal anerkennen, selbst wenn man anders denkt als
vielleicht die FDP es tut. Aber dass wir das Thema Bürgerrechte auch
schon zur Zeit, als noch Rot-Grün regiert hat mit Herrn Schily an der
Spitze vertreten haben, daran kann sich eigentlich noch Mancher
erinnern. Manche tun ja so, als wäre der mangelnde Respekt vor der
Verfassung, der Abbau der Bürgerrechte erst unter Herrn Schäuble so
gekommen. Damit hat Rot-Grün angefangen mit Herrn Schily. Da nehmen
sich die beiden Herren - Herr Schily, Herr Schäuble - gar nichts in
ihrer historischen Verantwortung. Und es wird Zeit, dass wir wieder
eine Regierung bekommen, die Respekt vor den Bürgerrechten hat.

Frage: Sie haben das schon angedeutet in einigen Punkten: In
zentralen Fragen der inneren Sicherheit wie Online-Durchsuchung,
Vorratsdatenspeicherung, Strafbarkeit von Terrortraining ist die FDP
mit der Union und dem amtierenden Innenminister Schäuble über Kreuz.
Wie soll das ab September zusammenpassen?

WESTERWELLE: Auch das hängt davon ab, wie stark wir gemacht
werden, je nachdem können wir eben auch wirklich die Achse einer
politischen Entscheidung verschieben. Und das ist ja unser Ehrgeiz.
Wir wollen doch auch Sicherheit. Wir wissen doch auch, dass ein
Mensch nur dann frei ist, wenn er nicht damit rechnen muss, permanent
in irgendwelchen Vierteln seiner Stadt überfallen zu werden, wenn er
sich sicher fühlt vor Kriminalität, wenn er weiß, dass man alles
gegen terroristische Anschläge auch tut, wenn man weiß, dass man
Privateigentum, Freiheit, körperliche Unversehrtheit, dass man das
alles Ernst nimmt. Kriminalität muss man bekämpfen. Aber man schützt
die Freiheit von Menschen nicht, indem man sie aufgibt. Maß und Mitte
ist wieder gefragt. Und die Verfassung, die wir am letzten Wochenende
groß gefeiert haben für 60 Jahre Großartiges, was sie als Grundlage
für unser Land geleistet hat, diese Verfassung wird immer mehr zum
Steinbruch der Regierenden. Und das wollen wir verändern. Da wollen
wir zurückfinden zu einem Verfassungspatriotismus. Denn die
Verfassung ist wirklich eine Freiheits-Statue in der Welt.

Frage: Bei einer Regierungsbeteiligung streben Sie das Amt des
Außenministers an. Das werden Sie natürlich jetzt abwehren. Aber
egal, was sind denn die Kernbotschaften liberaler Außen- und
Sicherheitspolitik?

WESTERWELLE: Erst einmal werde ich es in der Tat abwehren, weil es
nicht darum geht, was aus Guido Westerwelle wird. Es geht übrigens
auch nicht darum, was aus Angela Merkel oder Herrn Steinmeier wird.
Ich glaube, um uns muss man sich keine Sorgen machen. Wir werden
schon irgendwie durchkommen. Es geht ums Land. Sorgen Sie sich gar
nicht sosehr um mich. Sorgen Sie sich mal mehr um das Land, um die
Familien im Land, um die Deutschen. Und was die Außen- und
Sicherheitspolitik angeht, da kann ich Ihnen sagen: Ich bedaure, dass
es zwei Fehlentwicklungen gegeben hat neben vielem, was sehr gut
gelaufen ist. Der Grundkurs der deutschen Außen- und
Sicherheitspolitik stimmt, und zwar seit Gründung der Republik. Und
er stimmte auch ausdrücklich jetzt bei der Regierung Merkel und
Steinmeier. Zwei Dinge ärgern mich. Erstens die Respektlosigkeit
gegenüber den kleineren Ländern in Europa. Man darf die Kleineren
eben nicht schlechter behandeln als die Größeren, denn eines Tages
fällt das auf uns zurück. Man begegnet sich im Leben und auch in der
Politik mindestens zweimal, dreimal, viermal. Und es kommt noch mal
die Stunde, da sind wir auch auf unsere kleineren Nachbarn
angewiesen. Also unseren kleineren Nachbarländern mit Kavallerie und
Peitsche zu drohen, nur weil sie klein sind, das finde ich
inakzeptabel.

Frage: Das wollen Sie als Außenminister nicht später ausbaden.

WESTERWELLE: Nein, ich will es auf keinen Fall akzeptieren. Ich
kritisiere, dass der Finanzminister unsere kleineren befreundeten
Nachbarländern mit der Kavallerie und der Peitsche droht und dass der
Außenminister und übrigens auch die Kanzlerin dazu schweigen. Ich
meine, wenn in Luxemburg mittlerweile einstimmige
Parlamentsbeschlüsse gegen Deutschland und gegen diese Kritik
richten, dann mag man sagen "Ach Gott, Luxemburg ist klein", nur
erstens ist in der Europapolitik Luxemburg überhaupt nicht kleiner
als Frankreich. Und zweitens möchte ich mal sehen, wie wir Deutsche
uns aufregen würden, wenn in der Welt die großen Länder wie China,
wie Russland, wie die Vereinigten Staaten von Amerika uns mit der
Kavallerie und der Peitsche amtlich drohen wollten, da wäre auch was
los. Also was Du nicht willst, dass Dir man tut, das füge auch keinem
Anderen zu. Das sind beste Freunde von uns Deutschen. Und die darf
man nicht so schlecht behandeln.

Frage: Wir haben in einer Woche Europa-Wahl. Geht die nicht etwas
unter in den Wahlen dieses Jahres? Welche Bedeutung messen die
Liberalen der Europa-Wahl zu?

WESTERWELLE: Ich glaube, die Europa-Wahl ist wirklich eine
wichtige Wahl. Das sage ich nicht aus parteipolitischem Interesse,
sondern mir ist es lieber, man geht überhaupt zur Wahl und wählt eine
andere demokratische Partei, bevor man gar nicht zur Wahl geht,
obgleich ich natürlich dazu aufrufe, dass man der FDP seine Stimme
gibt. Und in der Europa-Politik geht es ja noch um etwas Anderes. Es
geht nicht nur um das, worüber wir uns ärgern. Natürlich ärgert man
sich, wenn Brüssel die Glühbirnen verbieten will. Und ich spotte da
immer: Da kann man ja wirklich die Fassung verlieren. Das geht die
auch nichts an. Aber auf der anderen Seite: Wenn uns Europa nicht
mehr gebracht hätte als jahrzehntelangen Frieden, es hätte sich doch
schon gelohnt. Frieden ist erstmalig Normalität auf unserem
Kontinent. Es war in den früheren Jahrhunderten der gesamten
deutschen Geschichte die Ausnahme. Und meine Eltern sind noch zur
Schule gegangen, und denen hat man einbläuen wollen: Frankreich ist
Dein Erzfeind. Mein Gott, das haben wir alles schon vergessen. Mit
der Freiheit und dem Frieden ist es so wie mit der Gesundheit: Das
weiß man erst zu schätzen, wenn sie weg ist.

Frage: Ich habe auf dem Parteitag in Hannover eine FDP erlebt, die
so geschlossen war wie, glaube ich, noch nie. Das hat eher an die CSU
zu Zeiten der Strauß-Ära erinnert. Kein böses Wort, auch nicht hinter
vorgehaltener Hand über Sie. Man hat aber auch den Eindruck: Die FDP
ist ein bisschen starr geworden. Es gibt keine Kontroversen,
lebendigen Diskussionen mehr in der Partei.

WESTERWELLE: Es gab sogar in der Umweltpolitik regelrechte
Kampfabstimmungen bei unseren Programmen. Nur gucken Sie da nicht so
genau hin. Das verstehe ich auch. Journalisten gucken erst dann hin,
wenn der Parteivorsitzende richtig kräftig Prügel kriegt. Das ist
stark, das ist spektakulär. Aber wenn eine Partei zwei Stunden lang
über eine moderne Umwelt- und Energiepolitik miteinander ringt, wo
auch die Ökologie und Ökonomie miteinander vereinbart werden, dann
schaut man da natürlich nicht so gerne hin, weil das nicht so
spektakulär ist. Und jetzt möchte ich mir eine freche Bemerkung in
Richtung Ihrer beruflichen Innung, der Journalisten, erlauben: Sie
suchen den Streit in einer Partei. Und die Wähler suchen die
Geschlossenheit. Ich entscheide mich da doch sehr eindeutig für die
Bürgerinnen und Bürger.

Frage: Eine letzte persönliche Frage: Hat Ihnen Ihr Coming-Out
geholfen, authentischer, selbstbewusster aufzutreten?

WESTERWELLE: Ich bin ja nie in irgendeinem Schrank gewesen,
sondern seit vielen Jahren weiß jeder, der es wissen wollte, wie ich
lebe und wie mein Privatleben aussieht. Daraus habe ich ja nie ein
Hehl gemacht. Aber dass ich seit jetzt nunmehr fast sechs Jahren in
einer festen Beziehung bin, das ist ja dann der Anlass gewesen für
manchen,
darüber zu schreiben. Bei uns bleibt es dabei: Das ist Privatleben.
Wir bringen das nicht auf die Bühne, stellen das nicht ins
Schaufenster. Wir leben unser Leben und erwarten auch - so wie wir
uns nicht darüber beklagen, wenn Andere anders sind -, wollen wir
auch, dass wir in vollem Umfange respektiert werden können. Erlaubt
ist, was gefällt und keinem Anderen schadet.

Originaltext: FDP
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Thomas-Dehler-Haus
Pressestelle
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