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Landeszeitung Lüneburg: Prof. Günther Maihold im Interview: Militär kann Piratenplage nicht auf Dauer beenden

Geschrieben am 16-04-2009

Lüneburg (ots) - Somalische Piraten haben derzeit mindestens 18
Schiffe in ihrer Gewalt. Kaum ein Tag vergeht, ohne Attacke auf
Frachter, Tanker oder Yachten. In den Händen der Freibeuter ist auch
der deutsche Frachter "Hansa Stavanger" mit fünf deutschen und 19
weiteren Besatzungsmitgliedern. Welche Mittel hat die internationale
Gemeinschaft gegen die gut organisierten Kriminellen, deren Anführer
in Prachtvillen am Strand residieren? "Die Lösung liegt nicht auf
See, sondern an Land", sagt Experte Prof. Günther Maihold,
stellvertretender Direktor der Stiftung Wissenschaft und Politik.

Die USA feiern das geglückte Kommandounternehmen zur Befreiung von
Kapitän Phillips. Ist Militär das geeignete Mittel gegen Piraten?

Prof. Dr. Günther Maihold: Im ersten Eindruck scheint es so zu
sein. Allerdings wird sehr schnell deutlich, dass wie bei vielen
anderen gewalttätigen Konflikten die militärische Option keine
dauerhafte Lösung sein kann. Dafür muss man sich mit den
grundlegenden Problemen auseinandersetzen. Insofern ist Militär ein
Mittel zur Eindämmung, aber nicht zur Lösung.

Die Piraterie ist eine Wachstumsbranche, am Horn von Afrika wie in
der Straße von Malakka. Unterschätzt die Weltgemeinschaft das
Problem?

Prof. Maihold: Man hat es vor allem in der Breite unterschätzt, in
der es derzeit am Horn von Afrika auftritt. Hier können die positiven
Erfahrungen ursächlich sein, die in den vergangenen Jahren bei der
Eindämmung der Piraterie etwa in der Straße von Malakka gemacht
worden sind. Die Hoffnung, Ähnliches am Horn von Afrika bewirken zu
können, zerschlug sich allerdings, weil wir es in dieser Region mit
zerfallenden staatlichen Strukturen zu tun haben.

Man braucht an Land einen Staat, der das Gewaltmonopol ausübt, um
Piraterie auf hoher See eindämmen zu können?

Prof. Maihold: Genau.

Auch deutsche Seeleute sind in der Hand von Freibeutern. Derweil
streitet Berlin, ob Bundesmarine oder Bundespolizei gegen die Piraten
vorgehen darf. Wer ist zuständig?

Prof. Maihold: Die Aufgabe liegt eigentlich ganz eindeutig im
Bereich des Küstenschutzes. Das heißt, es wäre eigentlich die
Bundespolizei zuständig. Aufgrund der Distanz zu den Grenzen
Deutschlands besteht natürlich keine Chance für einen Einsatz des
Bundesgrenzschutzes bzw. der Küstenwache. Zwischen den
Einsatzmöglichkeiten der Küstenwache und der Bundesmarine besteht ein
Regelungsloch. Und genau in dieser Zone bewegt sich die Debatte über
eventuelle Einsätze etwa von Spezialeinheiten wie der KSK (Kommando
Einsatzkräfte) gegen Piraten.

Spricht die starke Bewaffnung der Piraten nicht ohnehin eher
dafür, Militär zu schicken statt Küstenwache?

Prof. Maihold: Die bisher festgesetzten Piraten waren eher mit
leichten als mit schweren Waffen ausgerüstet. Aber die Frage der
Einsatzart kann nicht nur vom Bewaffnungsgrad der Piraten beantwortet
werden. Das Entscheidende ist eher, dass wir es mit einem riesigen
Seegebiet zu tun haben -- allein die Küstenlinie von Somalia ist mehr
als 3000 Kilometer lang --, das von den zur Verfügung stehenden
Schiffen gar nicht effektiv überwacht werden kann.

Ähnliche rechtliche Probleme bei der Abgrenzung zwischen Coast
Guard und Marine hatten auch die USA. Wie löste Washington diese?

Prof. Maihold: Man hat sie gelöst, indem Küstenwachen-Personal an
Bord der Kriegsschiffe mit dabei ist. Durch Umflaggen der Schiffe
können diese ihre jeweils spezifischen Aufgaben wahrnehmen. Etwas
Vergleichbares macht die Bundesmarine, indem sie Schiffe, die
eigentlich im Anti-Terror-Einsatz unterwegs sind, kurzfristig unter
die ,,Atalanta"-Mission der EU zur Piratenbekämpfung umflaggt. Solche
Hilfskonstruktionen haben aber eher nur einen legitimatorischen
Effekt.

Das heißt, hier harrt ein Problem der grundsätzlichen Lösung, das
noch durch die Beschränkung des Marineeinsatzes durch das Grundgesetz
verschärft wird?

Prof. Maihold: Ganz klar, hier setzt das Grundgesetz Grenzen. Im
Bundestag besteht eine breite Mehrheit gegen eine Änderung des
Grundgesetzes für die "Atalanta"-Mission.

Ist das Mandat der Marine robust genug für ein Land, das als
Exportweltmeister ein legitimes Interesse an sicheren Handelswegen
hat?

Prof. Maihold: Es ist robust genug in der Hinsicht, dass es alle
notwendigen Einsatzmöglichkeiten einräumt. Das entscheidende Manko
dürfte aber die fehlende Verfügbarkeit einer hinreichenden Zahl von
Schiffen sein. Hochgerechnet müsste die internationale Gemeinschaft
rund 200 Schiffe in das Seegebiet senden. Das ist von den Kosten her
nicht zu realisieren. So bleibt eine effektive Überwachung ein
unerreichbares Ziel.

Bringt die Marine aber dennoch ein Piratenschiff auf, hat sie ein
Problem mit den Gefangenen. Die Deutschen übergaben diese an Kenia,
obwohl die EU die Menschenrechtslage in dem Land rügt. Wäre ein
internationales Gericht für Piraten sinnvoll?

Prof. Maihold: Es hat bereits einen Vorschlag gegeben, einen
Piratengerichtshof zu gründen. Natürlich könnte man sich auch
vorstellen, dass dies beim Internationalen Strafgerichtshof
angesiedelt wird. Aber hier fehlt es noch an den Grundlagen, so dass
jedes Land, das Piraten gefangensetzt, selbst entscheiden muss, nach
welchen gesetzlichen Grundlagen es verfährt.

Ist es legitim, dass die Bundesregierung die Gefangenen an Kenia
übergibt?

Prof. Maihold: Die Frage, die vorab beantwortet werden muss, ist,
ob ein deutsches Schiff attackiert worden ist. Die Antwort fällt
nicht leicht. Ist es ein deutsches Schiff, weil es einen deutschen
Eigentümer hat, unter deutscher Flagge fährt oder weil deutsche
Besatzungsmitglieder an Bord sind? Angesichts dieser verzwickten
juristischen Lage ist die Lösung, die man mit Kenia als einem
"sicheren Drittland" gefunden hat, eine salomonische.

Hat der Ruf deutscher Reeder nach militärischem Beistand ein
Geschmäckle angesichts ihrer Politik der Ausflaggung?

Prof. Maihold: Mir erscheint es durchaus fragwürdig, dass deutsche
Reeder ihre Schiffe ausflaggen, dadurch dem deutschen Staat
Steuergelder entziehen, aber gleichzeitig eine Schutzfunktion eben
dieses Staates einklagen. Hier befinden sie sich in einem
Rechtfertigungsdilemma.

Nach ihrer Machtübernahme 2006 drängten die Islamis"ten die
Piraten in Somalia zurück. Jetzt feierten sie jüngst die
Piratenüberfälle als Schlag gegen den Westen. Droht eine unheilige
Verbrüderung?

Prof. Maihold: Diese Tendenz wurde besonders verstärkt durch die
erhöhte Präsenz US-amerikanischer Streitkräfte in der Region. Man
sieht eine neue Front, an der man den Kampf des Islamismus gegen die
westliche Vormacht aufziehen kann. Ich glaube, Washington ist gut
beraten, sein militärisches Engagement nicht auszuweiten. Dann würde
das ideologische Argument entkräftet. Letztlich ist die Kontrollmacht
der Islamischen Gerichtshöfe doch sehr beschränkt, so dass sie keine
umfassende Allianzbildung mit den Piraten durchsetzen können.

Ein US-amerikanischer Militäreinsatz zu Lande wäre demnach ein
sinnloses Abenteuer?

Prof. Maihold: Eine entsprechende Erfahrung mussten die Amerikaner
bereits machen. Derzeit ist nicht erkennbar, wer jenseits der
Afrikanischen Union den Willen und zudem die Ressourcen haben könnte,
dort eine Rolle als Ordnungsmacht zu übernehmen.

Wo Staaten taumeln, blüht Kriminalität auf. Muss
Entwicklungspolitik neu konzipiert werden: als präventive
Sicherheitspolitik?

Prof. Maihold: Sicher ist die Aufgabe des state building eine, die
für die Entwicklungspolitik künftig zentral sein wird. Das gilt nicht
nur bezogen auf Piraterie, das gilt für alle Formen organisierter
Kriminalität. Das bedeutet aber auch eine nachhaltige Bindung solcher
Mittel, da solche Maßnahmen mittelfristiger Natur sind. Tragfähige
Institutionen entstehen nicht schnell, können indes aber -- wie wir
in vielen Ländern gesehen haben -- auch wieder schnell
zusammenbrechen. Kurzfristige Erfolge sind da nicht zu erwarten.

Originaltext: Landeszeitung Lüneburg
Digitale Pressemappe: http://www.presseportal.de/pm/65442
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Pressekontakt:
Landeszeitung Lüneburg
Werner Kolbe
Telefon: +49 (04131) 740-282
werner.kolbe@landeszeitung.de


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