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Rheinische Post: Sanierungsfall Merkel

Geschrieben am 23-06-2006

Düsseldorf (ots) - Leitartikel von Sven Gösmann

Hinter der Bundeskanzlerin liegt eine politische Woche, die sie
gewiss schnell vergessen möchte, an die sich das Wahlvolk und ihre
Partei aber noch länger erinnern werden.
Drei Aspekte spielten eine Rolle. Der offensichtlichste ist das
Fehlen einer Kommunikationsstrategie. Das jüngste Beispiel dafür
lieferte die Debatte um das Familiensplitting. Der durch die Kritik,
er sei mehr Sekretär als General, verunsicherte CDU-Chefstratege
Ronald Pofalla trat eine zu diesem Zeitpunkt unnötige Debatte über
das Familiensplitting los. Dieser Vorstoß, wird aus der CDU-Spitze
glaubhaft versichert, war weder mit den Granden der Partei noch mit
der CSU abgestimmt. Trotzdem glaubte die Kanzlerin, dieses
wünschenswerte, allerdings unbezahlbare Vorhaben unterstützen zu
müssen. Das Ende vom Lied: Fraktionschef Kauder stoppte im Namen der
genervten Basis die Diskussion.
Dann redete die Kanzlerin ihr Land als Sanierungsfall schlecht.
Deshalb öffentlich unter Druck geraten, hielt sie die Argumentation
nicht aufrecht. Nun soll alles ein "Missverständnis" sein.
Zum zweiten fehlt der Merkel-Regierung die politische Strategie.
Bisher hatte die Kanzlerin auf die Wirkung ihrer außenpolitischen
Auftritte vertraut und darüber die Innenpolitik vernachlässigt.
Programmatisch hat die Vorsitzende der CDU keinen Anhalt gegeben,
wohin die Reise gehen soll. Wahrscheinlich vermag Merkel das allein
auch nicht. Sie hat aber, um ihre brüchige Machtbasis nicht zu
gefährden, auch keine parteiinterne Debatte um den künftigen Kurs
zugelassen.
Die Christdemokraten erleben so zähneknirschend die
Sozialdemokratisierung der Regierungspolitik, ja, sogar der
Diskussion darüber: mehr Steuern, mehr Staat, die Einführung einer
Bürgerversicherung durch die Hintertür und als Tüpfelchen auf dem i
das Antidiskriminierungsgesetz in rot-grüner Tradition. Der
bürgerliche Gegenentwurf wird nicht aufgemacht. Erschwerend kommt
hinzu, dass die Unions-Minister farblos oder im Fall von
Innenminister Schäuble wie unoriginelle Wiedergänger ihrer
sozialdemokratischen Vorläufer wirken.
Der dritte Aspekt ist die Bunkermentalität, die im Merkel-Lager Platz
greift. Zu ihrem Beraterkreis gehört keiner der einflussreichen
Unions-Ministerpräsidenten. Die sind irritiert, behalten ihren Ärger
aber noch für sich. Das musste Merkel bei ihrem Aufstieg weniger
interessieren, weil sie weite Teile der Parteibasis auch in NRW
hinter sich wusste. Doch dort bröckelt, siehe oben, die
Unterstützung.
So kommt die Kanzlerin deutlich schwächer aus dieser Woche, als sie
hineingegangen ist. Man ist geneigt, das System Merkel für einen
Sanierungsfall zu halten. Im Interesse des Landes, das eine starke
Regierung braucht, sollte sich das als Missverständnis entpuppen.
Bericht: Missverstanden, Titelseite

Originaltext: Rheinische Post
Digitale Pressemappe: http://presseportal.de/story.htx?firmaid=30621
Pressemappe via RSS : feed://presseportal.de/rss/pm_30621.rss2

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Rheinische Post
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Telefon: (0211) 505-2304


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