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Südwest Presse: Leitartikel zu Finanzkrise, Ausgabe vom 22.9.08

Geschrieben am 21-09-2008

Ulm (ots) - Es gibt keinen Anlass zur Schadenfreude. Genugtuung
aber kann man angesichts der nicht endenwollenden
Katastrophenmeldungen von den Finanzmärkten durchaus empfinden.
Genugtuung darüber, dass sich der gierige Raubtierkapitalismus nun
vor aller Augen selbst verschlingt.
Das also ist das Ergebnis, wenn man den Kräften des Marktes freien
Lauf lässt: ein rapider Verfall der Moral, der Zusammenbruch riesiger
Finanzhäuser, ein Beben an den Börsen, drohende Rezession rund um den
Globus, blanke Panik und schrille Zukunftsszenarien. Letztere gipfeln
in der Prognose diverser Ökonomen, die USA könnten, falls weitere
Geldinstitute wanken und die Regierung erneut eingreifen müsste,
"selbst an die Grenze ihrer Zahlungsfähigkeit geraten".
Absurd? Keineswegs. Weil plötzlich alles denkbar scheint, erschüttert
die Krise nicht nur die Finanzmärkte, sondern auch das Vertrauen in
das System. Umso mehr, als der ungehemmten Geldgier der Ruf nach dem
Staat folgt und die Folgen des Desasters allein dem Steuerzahler
aufgebürdet werden - welch eine Bankrotterklärung.
Das wird einen Prozess beschleunigen, der bereits vor Jahren begonnen
hat. Die Mehrheit der Menschen in Europa, vielleicht sogar in den USA
mag nicht mehr glauben, was ihr vor allem wirtschaftsliberale und
konservative Politiker über die Segnungen der Globalisierung erzählt
haben: Je weniger Regulierung, desto blühender die Wirtschaft und
Kapitalmärkte, desto größer der Nutzen - erst für die ganz oben,
später auch für die da unten. Es bleibt ein leeres Versprechen, dass
der freie Markt eine gerechte Gesellschaft hervorbringt. Auch eher
wirtschaftsgläubige Wähler ahnen das inzwischen.
Kein Wunder, dass die Kanzlerin jetzt mehr Transparenz fordert.
Selbst CDU-Vize Roland Koch ließ verlauten, die Union müsse "über
Regulierung neu nachdenken". Und der finanzpolitische Sprecher der
Union, Otto Bernhardt, wird zitiert, in seiner Partei wachse die
Überzeugung, "dass es der Markt allein nicht richten kann".
Das sind ganz neue Töne, nachdem viele Jahre hinter derartigen
Ansichten stets der Gutmensch gewittert wurde, der wirtschafts- und
wachstumsfeindliche Ideologe, der nicht begreifen wollte, in welcher
Welt wir leben und welchen Zwängen wir uns zu unterwerfen haben.
Ursache dieser Krise ist kein Exzess, sondern ein ungezügeltes
System. Der Markt hat kein Gewissen, und Teile der ökonomisch
Mächtigen kommen ebenfalls ganz gut ohne aus. Daher muss die
Konsequenz sein, ihren Spielraum zu begrenzen. Bisher konnten sie ihn
weidlich nutzen, weil viele Politiker, darunter auch ein nach
Anerkennung gierender Sozialdemokrat namens Gerhard Schröder, allzu
willfährig waren. Auch deshalb ist das Vertrauen in die
Gestaltungsfähigkeit und Integrität der politischen Klasse verloren
gegangen.
Nationale Politik kann dieser Herausforderung nicht wirkungsvoll
begegnen. Alle Industriestaaten sind aufgerufen, gemeinsam ihre
Finanz- und Wirtschaftssysteme neu zu gestalten und dabei mehr
Kontrolle auszuüben. Absurde Anreize auf der Jagd nach
abenteuerlichen Renditen sind ebenso zu beseitigen wie wuchernde
Ungerechtigkeiten der Globalisierung, die entstehen, weil
wirtschaftlich Starke sich sozialer Verantwortung entziehen.
Nötig sind Sanktionen gegen Steueroasen wie Liechtenstein, die
britischen Kanal- oder die Kaimaninseln zu verhängen, Steuern auf
alle Spekulationsgewinne zu erheben, Banken zu verpflichten, einen
Fonds einzurichten, um für die Kosten derartiger Finanzkrisen
aufzukommen, und eine internationale unabhängige Bankenaufsicht zu
installieren. Ein Mammutprojekt, wohl wahr, aber eines mit besonders
guter Rendite.

Originaltext: Südwest Presse
Digitale Pressemappe: http://www.presseportal.de/pm/59110
Pressemappe via RSS : http://www.presseportal.de/rss/pm_59110.rss2

Pressekontakt:
Südwest Presse
Lothar Tolks
Telefon: 0731/156218


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