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LVZ: Die Leipziger Volkszeitung zu Karadzic -

Geschrieben am 22-07-2008

Leipzig (ots) - Von Kostas Kipuros. Was für ein Zufall! Zwölf
Jahre suchen Ermittler und Fahnder fieberhaft nach Radovan Karadzic.
Vergeblich! Der bosnische Serbenführer und mutmaßliche
Kriegsverbrecher bleibt unauffindbar. Wie anders als durch Zufall
lässt sich die Verhaftung Karadzics durch die gerade einmal seit zwei
Wochen im Amt befindliche Regierung Belgrads erklären?
Der Eindruck täuscht: Dass sich einer der am meisten gesuchten
Kriegsverbrecher so lange seiner Verhaftung entziehen konnte, lässt
sich ebenso wenig durch Zufall erklären wie seine jetzige Verhaftung.
Seit seinem Abtauchen 1995 konnte sich Karadzic stets auf getreue
Kumpane verlassen. Es entbehrt deshalb nicht einer gewissen Ironie,
wenn Karadzics Festsetzung ausgerechnet unter einem Regierungsbündnis
erfolgt, an dem Milosevics Sozialistische Partei beteiligt ist - jene
Partei also, die ähnliche Verbrechen zu verantworten hat, wie sie
Karadzic zur Last gelegt werden.
Aber die Zeiten ändern sich und mit ihnen der Wert einstiger
Rattenfänger. Karadzic ist für die Sozialisten entbehrlich geworden.
Seine Verhaftung und mögliche Auslieferung an das
Kriegsverbrechertribunal von Den Haag macht den Weg für ein
lukratives Geschäft frei, denn die Belgrader Koalition des Vergessens
darf nun auf den Segen einer baldigen EU-Mitgliedschaft hoffen.
Hauptsache, Belgrad liefert nach Karadzic noch Mladic aus und
schluckt die Kröte der kosovarischen Unabhängigkeit. Dafür
rehabilitiert Brüssel Milosevics Erben als willkommene Proeuropäer -
wenn nur Milosevics scheingewendete Sozialisten den prowestlichen
Präsidenten Tadic stützen. Deren Teilhabe an der Regierungsmacht
garantiert jedoch, dass es auch nach der Verhaftung Karadzics zu
keiner Aufarbeitung der Verantwortung für Völkermord und
Vertreibungen kommt. Wer will sich in Belgrad noch dieser Mühe und
Pein unterziehen, wenn Brüssel letztlich mit dem Zugang Serbiens zu
Entwicklungsfonds, zum EU-Markt und Investitionen in Milliardenhöhe
alimentiert?
Erstaunlich, wie kurzsichtig die Europäische Union agiert, denn keine
noch so lukrative Wirtschaftshilfe ersetzt die Auseinandersetzung
einer Gesellschaft mit der eigenen Geschichte. Das gilt auch für die
anderen Nachfolgerepubliken Jugoslawiens, in denen ehemalige
Kriegsverbrecher im Rang von Nationalhelden stehen. Nationalismus
funktioniert auf dem Balkan offensichtlich auch ohne Milosevic und
Karadzic. Im Kosovo darf der Chauvinist Karadzic gar seine Politik
der ethnischen Vertreibungen - diesmal von Serben und Roma durch
Albaner - vollendet sehen - mit Hilfe der so genannten
internationalen Gemeinschaft, die statt die Lehren aus dem Debakel
der Sezessionen zu ziehen, einen "guten", weil antiserbischen
Nationalismus mit Eigenstaatlichkeit belohnt hat. Die Verhaftung
Karadzics erweist sich so auch als eine Gelegenheit, von der eigenen
Verantwortung Europas für die Entwicklung in Jugoslawien abzulenken.
Auch davon, dass der Serbenführer dem Westen lange als
Verhandlungspartner galt und erst fallengelassen wurde, als sich
Milosevic von ihm abwandte.
Den überlebenden Opfern von Karadzic wird dies verständlicherweise
egal sein. Für sie zählt vor allem, dass einer der schlimmsten
Kriegstreiber des Balkans endlich in Haft kommt.

Originaltext: Leipziger Volkszeitung
Digitale Pressemappe: http://www.presseportal.de/pm/6351
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Pressekontakt:
Leipziger Volkszeitung
Redaktion

Telefon: 0341/218 11558


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