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Landeszeitung Lüneburg: "Da kommt noch einiges ans Licht" / Interview mit Datenschützer Prof. Dr. Gerhard Kongehl

Geschrieben am 05-06-2008

Lüneburg (ots) - Für die Telekom ist die Spitzel-Affäre ein
Super-GAU, für Datenschützer ein weiterer Beleg dafür, dass die
maßlose Speicherungswut von Staat und Wirtschaft gravierende
Sicherheitsrisiken birgt und die Parteien streiten über schärfere
Gesetze. Der Ulmer Datenschützer Professor Dr. Gerhard Kongehl
fordert mehr Personal für Kontrollen und warnt vor einem Werteverfall
bei den Managern.

Viele ohnehin unzufriedene Kunden werden lediglich ihre Vorbehalte
gegenüber der Telekom bestätigt sehen... Hat Sie der Datenmissbrauch
durch das Unternehmen wirklich überrascht?

Professor Dr. Gerhard Kongehl: Ich bin sehr überrascht, weil ich
die Datenschützer der Deutschen Telekom sehr gut kenne. In der
Abteilung sind mehr als 100 Leute beschäftigt, die wir fast alle hier
bei "udis" ausgebildet haben. Ein motiviertes und professionelles
Team. Das erklärt auch, warum diejenigen, die den Datenmissbrauch
betrieben haben, dies ganz bewusst über den Kopf der Datenschützer
hinweg getan haben. Ich weiß, nach welchen Kriterien diese
Datenschützer vorgehen und halte deshalb das Datenschutzkonzept der
Telekom für wasserdicht.

Neigen Sicherheitsabteilungen großer Unternehmen dazu, sich ohne
Wissen der Führungsspitze zu verselbstständigen?

Kongehl: Ich gehe davon aus, dass es eine Anweisung von oben
gegeben hat. Ob dann Leute in vorauseilendem Gehorsam weiter gegangen
sind als sie sollten, ist schwer zu sagen. Aber Sicherheitsleute
haben natürlich ihre eigene Sichtweise, bei der Persönlichkeitsrechte
nicht unbedingt im Vordergrund stehen.

Erfahrungsgemäß vergessen die Verbraucher solche Skandale schnell,
sobald andere Schlagzeilen die Medien beherrschen. Ist der
Imageschaden für die Telekom tatsächlich so immens?

Kongehl: Der Imageschaden für die Telekom ist sehr groß. Der
Konzern hat ja große Anstrengungen gerade im Datenschutz unternommen,
um genau dies zu verhindern. Das Ansehen eines Unternehmens ist ein
ganz entscheidender Faktor. Strafandrohungen werden dagegen nicht
besonders ernst genommen, weil die Strafen meist sehr gering sind.
Wie immens der Imageschaden ist, sieht man auch daran, dass
Telekom-Chef René Obermann jetzt den Ex-Bundesrichter Gerhard Schäfer
als Berater engagiert hat. Die Aufklärung selbst könnte man mit
internen Leuten genauso gut machen.

Lidl, Burger King, IKEA, Porsche, jetzt Telekom und Bahn -- es
scheint eine regelrechte Bespitzelungskultur zu geben in der
Wirtschaft. Sind diese Fälle nur die Spitze eines Eisberges?

Kongehl: Das ist schwer zu sagen. Solche Dinge passieren
jedenfalls immer dann, wenn das Wertesystem in der Chef"etage nicht
stimmt. Nicht ohne Grund haben wir derzeit in der Wirtschaft eine
intensive Diskussion über Compliance, also die Selbstverpflichtung
von Unternehmen, sich an Gesetze und ethische Verhaltensregeln zu
halten. Ich kann mir vorstellen, dass da noch einiges ans Tageslicht
kommt.

Der Protest gegen die Volkszählung 1987 war lautstark. Heute
durchleuchtet der Staat seine Bürger viel intensiver -- im
Wesentlichen ohne vergleichbaren Widerstand. Sind die wirklich
gefährlichen Datenkraken inzwischen vor allem im
privatwirtschaftlichen Bereich aktiv?

Kongehl: Man muss beide Bereiche berücksichtigen. Unter
Innenminister Schily und auch unter Schäuble war der Blickwinkel der
Öffentlichkeit lange vor allem auf den Konflikt Bürger/Staat
gerichtet, auf die Balance zwischen Freiheit und Sicherheit. Die
Privatwirtschaft ist da ein bisschen aus dem Blickfeld geraten,
obwohl die Probleme hier mindestens genauso groß sind. Stichworte
sind Kundenkarten oder Adresshandel. Anders als in der
Privatwirtschaft steht im öffentlichen Bereich aber am Ende immer das
Bundesverfassungsgericht, das die schlimmsten Auswüchse kassiert.

Wer überwacht in privaten Unternehmen den Datenschutz?

Kongehl: Das genau ist einer der Schwachpunkte. Die Kontrolle des
nicht öffentlichen Bereiches ist auf Länderebene angesiedelt. Hier in
Baden-Württemberg ist das eine Abteilung im Innenministerium mit
vielleicht einem halben Dutzend Mitarbeitern, die für die Kontrolle
sämtlicher Betriebe im Land verantwortlich sind. In anderen Ländern
ist es ähnlich. Schleswig-Holstein zum Beispiel hat die Behörde des
Landesdatenschutzbeauftragten und die Kontrollbehörde für die
Privatwirtschaft zusammengelegt und dadurch eine sehr viel
effektivere Kontrolle erreicht. Ziemlich verheerend ist es dagegen in
Niedersachsen gelaufen: Da ist eine solche Zusammenführung gerade
wieder rückgängig gemacht worden. Das hat man bestimmt nicht getan,
um den Datenschutz zu stärken.

Sind die Datenschutzbeauftragten in Bund und Ländern der am 1.
Januar eingeführten Vorratsdatenspeicherung personell gewachsen?

Kongehl: Nein. Eine Konsequenz, die man aus der Telekom-Affäre
sicher ziehen müsste, ist, dass man den Kontrollbehörden entschieden
mehr Personal gibt. Wichtig wäre auch, dass das Ergebnis von
Kontrollen unmittelbar in die Öffentlichkeit transportiert wird, und
nicht erst zwei Jahre später über einen Tätigkeitsbericht. Und nicht
zuletzt müssen wir die Position der betrieblichen
Datenschutzbeauftragten in der Privatwirtschaft stärken, denn das
sind oft Einzelkämpfer, die Angst haben vor Konflikten mit ihrem
Chef. Da muss -- wie beim Betriebsrat -- ein Kündigungsschutz her.

Welche Konsequenzen muss die Politik aus der Spitzel-Affäre
ziehen? Brauchen wir schärfere Gesetze, höhere Strafen? Gibt es
überhaupt wirksame Maßnahmen?

Kongehl: Notwendig ist ein Datenschutzgesetz, das sich am Stand
der Technik orientiert. Das geltende Gesetz ist ein Provisorium aus
der Zeit der rot-grünen Koalition. 1998 hat die Regierung Schröder
mit heißer Nadel eine EU-Richtlinie umgesetzt, weil ein Bußgeld
drohte. Die Koalition wollte anschließend ein modernes und
handhabbares Datenschutzrecht entwickeln. Der Entwurf sollte kurz
nach dem 11. September 2001 vorgestellt werden. Zuvor griffen
Terroristen aber das World Trade Center in New York an: Der Termin
wurde abgesagt, weil man damals andere Sorgen hatte, und bis auf ein
paar kleine Änderungen ist dann bis heute nicht viel passiert. Wir
brauchen außerdem ein besseres Datenschutzauditgesetz als das jetzt
vorgesehene und endlich ein Arbeitnehmerdatenschutzrecht. Vor dem
Hintergrund der Telekom-Affäre müsste man am Bundesdatenschutzgesetz
nicht unbedingt etwas ändern. Ein Signal wäre aber eine Erhöhung der
Bußgelder auf ein Niveau, das den Verantwortlichen wirklich wehtut.

Sollte der Datenschutz, wie der Grünen-Bundestagsabgeordnete Hans
Christian Ströbele fordert, ins Grundgesetz aufgenommen werden?

Kongehl: Das wäre sicher sinnvoll, ist aber nicht ganz so
dringend, weil es Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts zum
informationellen Selbstbestimmungsrecht und zum Recht auf
Vertraulichkeit und Integrität gibt, die dem Datenschutz
Verfassungsrang einräumen.

Der Schutz von Geschäftsgeheimnissen ist ein berechtigtes
Anliegen. Wie sollen Firmen mit dem Verdacht auf undichte Stellen
umgehen?

Kongehl: Auf klassischem Wege funktioniert das doch ganz gut: Man
bringt Papiere mit gezielten Fehlinformationen in Umlauf und guckt,
wie die in die Öffentlichkeit kommen. Wenn man das sauber
dokumentiert, findet man eine undichte Stelle auch ohne einen solch
verheerenden Eingriff in die Verbindungsdaten.

Vor allem Jugendliche haben kein Problem damit, persönlichste
Daten ins Internet zu stellen. Mangelt es der Gesellschaft allgemein
am Bewusstsein für den Wert der Privatsphäre?

Kongehl: Das ist ein ganz wichtiges Thema. Es wäre sinnvoll, mit
dem Thema Datenschutz in den Schulen anzufangen. Wer als Jugendlicher
Daten über sich im Internet veröffentlicht, macht sich meist wenig
Gedanken darüber, welche Folgen das später etwa bei einer Bewerbung
haben kann. Der Fall des hessischen Junge-Union-Vizes Thomas Müller
ist ein gutes Beispiel dafür. Das muss man den Kids klar machen. Den
Älteren natürlich genauso. Es ist aber wahnsinnig schwer, dieses
Thema in die Schulen zu bringen, weil die Lehrer nicht die nötige
Vorbildung haben.

Der Zukunftsforscher und Medienwissenschaftler Bernd Flessner
meint, die massenhafte Datensammlung sei eine unvermeidliche Folge
der technologischen Evolution, den Datenschutz nennt er antiquiert,
wir müssten lernen, mit der Überwachung zu leben, da sie immer
weniger kontrollierbar sei. Ist ihre Zunft ein Auslaufmodell?

Kongehl: Im Gegenteil. Professioneller Datenschutz wird immer
wichtiger. Je professioneller der Datenschutz wird, um sehr mehr
profitiert die Gesellschaft davon und viele Unternehmen haben noch
gar nicht erkannt, welches Potential zur Kosteneinsparung gerade in
einem professionellen -- ich betone ausdrücklich: professionellen --
Datenschutz liegt. Das größte Problem, das man mit dem Datenschutz
hat, ist, dass er Datenschutz heißt. Damit werden Bürokratie und
Ärmelschoner assoziiert, aber nicht das Dynamische, was da"rin
steckt. Datenschutz ist Identitäts-Management. Jeder muss das Recht
haben, selbst zu bestimmen, wie er sich in der Öffentlichkeit
darstellt. In der Art und Weise, wie wir uns anderen gegenüber
darstellen, definieren wir auch unsere Beziehung zu anderen Menschen.
Damit strukturieren wir unsere Gesellschaft. Wenn über jeden Menschen
alles in Erfahrung zu bringen ist, wird das Besondere unbedeutend.
Damit wird die Menschheit unglücklich.

Originaltext: Landeszeitung Lüneburg
Digitale Pressemappe: http://www.presseportal.de/pm/65442
Pressemappe via RSS : http://www.presseportal.de/rss/pm_65442.rss2

Pressekontakt:
Landeszeitung Lüneburg
Werner Kolbe
Telefon: +49 (04131) 740-282
werner.kolbe@landeszeitung.de


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