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Landeszeitung Lüneburg: OECD-Direktor Stefan Tangermann: Biosprit ist ökonomisch und ökologisch ein Irrweg

Geschrieben am 10-04-2008

Lüneburg (ots) - Die Biosprit-Verordnung ist gescheitert, weil
Millionen von Fahrzeugen auf Deutschlands Straßen die geplante
Erhöhung des Ethanolanteils im Benzin nicht vertragen. Umweltschützer
warnen seit langem vor dem Treibstoff vom Acker, sprechen gar von
einem "Klimakiller". Professor Dr. Stefan Tangermann, OECD-Direktor
für Handel und Landwirtschaft, fordert einen Politikwechsel.

Als Autofahrer kennen wir Benzin, Super und Diesel -- was genau
ist Ethanol?

Professor Dr. Stefan Tangermann: Ethanol ist ein alkoholähnlicher
Treibstoff, der durch Umwandlung von Stärke gewonnen wird, die zum
Beispiel im Mais enthalten ist, der aber auch durch Umwandlung von
Zucker gewonnen werden kann, wie er in Zuckerrüben oder in Brasilien
in Zuckerrohr vorkommt.

Wie viel Kohlendioxid (CO2) kann mit Bio-Ethanol im Vergleich zur
Verbrennung von herkömmlichem Treibstoff eingespart werden?

Tangermann: Das kommt sehr darauf an, wo und wie das Ethanol
erzeugt wird. Wenn es etwa aus Mais in den USA hergestellt wird, kann
man damit nicht sehr viel CO2 einsparen, denn wenn die Bauern den
Mais anbauen, müssen sie zunächst mal mit ihren Maschinen auf den
Feldern herumfahren. Zudem wird Energie verbraucht, um den Mais
anschließend in Ethanol umzuwandeln. Auf diese Weise lassen sich
vielleicht 10 bis 20 Prozent CO2 einsparen.
Wenn es sich dagegen um Ethanol handelt, der aus Zucker in Brasilien
gewonnen wird, lässt sich deutlich mehr einsparen. Vorausgesetzt,
dass das Zuckerrohr dort keinen Regenwald verdrängt. Denn wenn Wald
abgeholzt wird, geht nicht nur die Möglichkeit verloren, dass die
Bäume weiterhin CO2 aufnehmen, sondern es wird auch beim Roden und
Verbrennen eine Menge CO2 freigesetzt.
Mit anderen Worten: Es ist eine ziemlich komplexer Sachverhalt und
man kann leider gar nicht davon ausgehen, dass Biosprit insgesamt
sehr stark zur CO2-Reduzierung beiträgt.

Wenn der Aufwand an fossiler Energie für die Produktion von
Ethanol derart hoch ist, bedeutet das, dass die Herstellung von
Biokraftstoffen mit steigendem Ölpreis auch ökonomisch immer
unsinniger wird?

Tangermann: Sie ist ohnehin nicht ökonomisch, ausgenommen
Bioethanol aus Brasilien, der einen Ausnahmefall darstellt. Nirgendwo
sonst auf der Welt kann man bisher ohne staatliche Subventionen oder
ohne staatlichen Druck auf die Autofahrer, diesen zu tanken,
Biotreibstoff rentabel erzeugen. Wenn die Ölpreise steigen, lohnt es
sich ein bisschen mehr. Aber man darf nicht vergessen, dass mit
steigenden Ölpreisen auch die Kosten der Erzeugung zunehmen. Deshalb
ist Biosprit nicht unbedingt rentabler, wenn das Öl teurer wird.

Wo liegt die Schwelle der Rentabilität?

Tangermann: Aufgrund der Analysen, die wir gemacht haben, müsste
der Ölpreis noch erheblich steigen, vermutlich bis jenseits von 150
Dollar pro Barrel, bis es auch außerhalb Brasiliens anfängt, wirklich
lukrativ zu werden.

Ist die sogenannte 2. Generation von Biokraftstoffen, bei der
landwirtschaftliche Abfälle, Holzschnitzel und ganze Pflanzen statt
nur der Samen genutzt werden, die Lösung aller Probleme?

Tangermann: Diese Verfahren könnte eines Tages, wenn die Forschung
weit genug vorangeschritten ist, bei höheren Ölpreisen rentabel sein,
aber davon sind wir leider noch mehrere Jahre entfernt.

Ist die Beimischung von Alkohol zum Benzin also eine Schnapsidee,
die noch nicht einmal das Gewissen beim Autofahren beruhigen kann?

Tangermann: Ich muss leider sagen, dass es eine ziemlich
fragwürdige Politik ist, wenn man die Autofahrer dazu zwingt,
Biotreibstoff zu verwenden. Der Beitrag zum Klimaschutz ist nur sehr
gering. Man vernichtet volkswirtschaftliche Werte, weil es zu
Marktpreisen nicht wirklich funktioniert. Der Rat der OECD an die
Regierungen unserer Mitgliedsländer ist, noch einmal gründlich
nachzudenken, ob sie diese Politik wirklich beibehalten wollen.

Ein Argument für den Biotreibstoffe ist auch die
Energiesicherheit. Kann der Sprit vom Acker langfristig das Öl
ersetzen?

Tangermann: Dass wir auf diesem Weg unabhängig werden von den
nicht immer stabilen Regimes in den Ländern, aus denen das Erdöl
kommt, ist unmöglich, denn der Anteil am Gesamtenergieverbrauch, der
durch Biosprit ersetzt werden kann, wird sehr begrenzt bleiben.
Einfach deshalb, weil uns nicht unendlich große landwirtschaftliche
Flächen zur Verfügung stehen. Zudem wird auf diesen Flächen ja etwas
produziert, das wir für unsere Nahrungsmittel brauchen.

In welchem Umfang macht die Ethanolherstellung im großen Stil
Nahrungsmittel knapp und teuer?

Tangermann: Man kann zwar die im Augenblick extrem hohen
Nahrungsmittelpreise im internationalen Handel nicht vollkommen den
Biotreibstoffen anlasten. Aber ein nicht unerheblicher Anteil dieser
Preissteigerungen ist darauf zurückzuführen, dass es auf den
internationalen Märkten in verhältnismäßig kurzer Zeit eine große
zusätzliche Nachfrage nach Rohstoffen für die Biokraftstofferzeugung
gegeben hat. Und diese Nachfrage haben auch die Preissteigerungen
nicht bremsen können, denn die Regierungen wollen absolut, dass
Biosprit verwendet wird. Entsprechend konkurrieren die Biotreibstoffe
ziemlich radikal mit Nahrungsmitteln.

Brasilien und die USA setzen seit Jahren auf Schnaps im Tank,
Schweden, Frankreich und Großbritannien forcieren den Ethanoleinsatz.
Sind diese Länder auf einem Irrweg oder herrschen dort andere
Bedingungen?

Tangermann: Wir müssen Brasilien auf der einen und die übrigen
Länder auf der anderen Seite klar unterscheiden. In Brasilien kann
Ethanol aus Zuckerrohr tatsächlich profitabel hergestellt werden. Das
liegt einfach daran, dass dort die Bedingungen, also das Klima und
die Wasservorräte, für den Zuckerrohranbau extrem günstig sind. Aber
in wirtschaftlicher Hinsicht auch deshalb, weil die Löhne niedrig
sind. In Brasilien wird Ethanol ohne staatliche Subventionen
hergestellt und von der Autofahrern freiwillig getankt. Aber in allen
anderen Ländern geht das nur mit Subventionen oder Zwang.
War Bundesumweltminister Gabriel bei seiner Biosprit-Verordnung
schlecht beraten oder ist die Macht der Auto-Lobby einfach größer als
die der Umweltschutzverbände, die schon länger vor der
Beimischungspflicht warnen?

Tangermann: Der Einsatz von Biosprit war zunächst ein gut
gemeintes Vorhaben von Regierungen, die gedacht haben, dass man einen
Kreislaufgedanken realisieren kann: Pflanzen nehmen aus der Luft CO2
auf, dann wird daraus Treibstoff produziert, das Kohlendioxid wird
bei der Verbrennung in den Motoren wieder freigesetzt und
anschließend von den Pflanzen wieder aufgenommen. Das klingt zunächst
gut. Zumal man gemeint hat, gleichzeitig einen Beitrag zur
Energiesicherheit zu leisten. Zudem hat sicher auch der Gedanke eine
Rolle gespielt, dass man Landwirten eine neue Zukunftsperspektive
eröffnen kann.
Welche Nachteile damit einhergehen, ist erst im Laufe der Zeit
deutlich geworden. Die Politik hat bisher vielleicht die Warnzeichen,
die jetzt von verschiedenen Seiten kommen, auch von der OECD, noch
nicht hinreichend wahrgenommen.

Der Vorstoß war doch aber wissenschaftlich nicht sauber
aufgearbeitet, denn so neu sind die Zusammenhänge nicht...

Tangermann: Politik orientiert sich nicht immer nur an
wissenschaftlichen Kriterien, sondern sucht auch möglichst breite
Zustimmung. Und das hat beim Biosprit zunächst ja auch funktioniert.

Die 10-Prozent-Vorgabe der EU für Biokraftstoffe ist ohne Importe
kaum zu erreichen. Sind die ökologischen und sozialen
Nachhaltigkeitskriterien der Brüsseler Kommission vor diesem
Hintergrund zu schwammig und überhaupt zu kontrollieren?

Tangermann: Man kann sicher kontrollieren, wo und unter welchen
Bedingungen importierte Biotreibstoffe produziert werden. Wirklich
kompliziert wird es aber, wenn man berücksichtigen muss, ob
Flächenverschiebungen stattfinden. Beispiel Brasilien: Dort wird der
Zuckerrohranbau ausgedehnt und verdrängt den Anbau von Soja. Der
Sojaanbau wiederum verlagert sich in Bereiche, in denen bisher Rinder
gehalten wurden. Und um für die Rinder neue Flächen zu schaffen, wird
dann möglicherweise Regenwald gerodet. Auch wenn das Zuckerrohr auf
ökologisch und sozial verträgliche Art und Weise angebaut worden ist,
sind solche Flächenverschiebungen nicht ganz einfach nachweisbar.
Ich muss leider davor warnen, dem Glauben anzuhängen, dass man durch
die Formulierung sozialer und ökologischer Verträglichkeitskriterien
die ganze Kette wirklich gut im Griff hat.

Neuen Prognosen zufolge könnte sich der Lkw-Verkehr in Deutschland
bis zum Jahr 2025 fast verdoppeln. Sind bei einem solchen Szenario
nicht sämtliche Klimaschutzziele Makulatur?

Tangermann: Das ist in der Tat problematisch. Nicht nur in
Deutschland, sondern auch in anderen Ländern muss eine Menge getan
werden, um den Güterverkehr stärker auf die Schiene zu verlagern. Im
Augenblick muss die Energieeinsparung an erster Stelle stehen, weil
man so wesentlich mehr erreicht als durch neue Energiequellen wie
etwa den Biosprit. Aber es führt kein Weg daran vorbei, völlig neue
Technologien zu entwickeln, die vor allem die Sonnenenergie
unmittelbar nutzbar machen. Aber auch da gibt es bisher nichts, was
wirtschaftlich voll tragfähig wäre.

Originaltext: Landeszeitung Lüneburg
Digitale Pressemappe: http://www.presseportal.de/pm/65442
Pressemappe via RSS : http://www.presseportal.de/rss/pm_65442.rss2

Pressekontakt:
Landeszeitung Lüneburg
Werner Kolbe
Telefon: +49 (04131) 740-282
werner.kolbe@landeszeitung.de


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