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Rheinische Post: Deutschland driftet nach links

Geschrieben am 27-01-2008

Düsseldorf (ots) - Von Sven Gösmann

Was für ein Wahlabend! Ein erster Erklärungsversuch in fünf
Thesen.
Erste These: Deutschland driftet nach links. Der wahre Gewinner der
Wahlen heißt Oskar Lafontaine.
Wir werden uns dauerhaft auf Fünf-Parteien-Parlamente einstellen
müssen. Die Linkspartei wird gesellschaftsfähig. In einer Zeit, in
der Banken und Manager vieles tun, ihre Leitfunktion zu zerstören,
findet der begnadete Demagoge Lafontaine mit seiner Beschwörung der
angeblich besseren Vergangenheit einen positiven Resonanzboden. Die
anderen Parteien tragen dazu bei, die Linkspartei hoffähig,
möglicherweise auch bald im Westen koalitionsfähig zu machen. Die SPD
hat viele der Lafontainschen Positionen übernommen, ob beim
Mindestlohn oder bei der Aufweichung von Hartz IV. Für die Grünen
gehört der etatistische Politikansatz ohnehin zum genetischen Code.
Die Union hat außerhalb von Sonntagsreden noch keine einheitliche
Strategie gegen die linken Verheißungen entwickelt. Vielmehr gibt es
auch aus ihren Reihen die Rufe nach einer Generalrevision der
Arbeitsmarktreformen, wird bei einzelnen Führungsfiguren ein
schwammiges Verhältnis zum Leistungsgedanken offensichtlich, der eben
auch Teil der sozialen Marktwirtschaft ist. In komplizierten Zeiten
ist die Sehnsucht nach einfachen Antworten groß. Bis zur
Bundestagswahl 2009 wird es eine Renaissance des Sozialen geben,
einen Überbietungswettbewerb im Versprechen von Wohltaten.

Zweite These: Wir haben in Hessen und Niedersachsen typische
Regionalwahlen erlebt.
Roland Koch und die hessische CDU haben ihr Debakel zu weiten Teilen
selbst verursacht, besonders durch ihre in der bundesweiten Debatte
zu wenig beachtete verkorkste Bildungspolitik. Die Debatte um das
Turbo-Abitur in zwölf Jahren und unerfüllte Versprechen für Schulen
und Hochschulen war laut Umfragen ein entscheidendes Motiv für die
Wahlentscheidung eines Viertels der Hessen. In Niedersachsen dagegen
legte Wulff eine solide Bilanz vor: Wenig versprochen, kein Wort
gebrochen.

Dritte These: Wir haben in Hessen mehr als eine Regionalwahl
erlebt.
Hessen war immer ein "knappes Land". Kochs Ausnahme-Ergebnis von 2003
war nicht zu wiederholen. Mit ihm stellte sich in Hessen der letzte
ausgewiesene konservative Unionspolitiker zur Wahl. Hier lag der
Grund für die geballte Attacke der Linken. Sie inszenierte
erfolgreich einen Kulturkampf gegen Koch. Zudem verfing der
Mindestlohnwahlkampf der SPD als eine Kampagne, die einer
auseinanderdriftenden Gesellschaft Harmonie versprach im Gegensatz
dazu wurde Kochs Feldzug gegen die Jugendkriminalität von Ausländern
als spalterisch empfunden. Dass Reden und Handeln Kochs auf diesem
Feld nicht immer deckungsgleich waren, lenkte zusätzlich Wasser auf
die Mühlen derer, die Koch mangelnde Glaubwürdigkeit vorhalten.

Vierte These: Angela Merkel ist gestärkt und geschwächt zugleich.
Die Kanzlerin kann aus dem Wahlsieg Wulffs ableiten, dass dessen
moderierender Regierungsstil vom Wahlvolk geschätzt wird und damit
auch ihre Art, die Bundes-CDU und die Bundesregierung zu führen.
Allerdings wird der konservative Flügel ihrer Partei durch die Art
und Weise, wie sie Koch nur halbherzig unterstützte, in seiner Kritik
an Merkel bestärkt. Und ihr alter Widersacher Koch ist als
angeschossener, aber noch nicht erlegter Löwe besonders gefährlich.

Fünfte These: SPD-Chef Kurt Beck ist gestärkt und geschwächt
zugleich.
Beck wertet das hessische Ergebnis als Bestätigung seines Linkskurses
auf Bundesebene, Niedersachsen als Betriebsunfall der Marke
"schwacher Kandidat gegen starken Amtsinhaber". Doch die SPD erlebt
auch das Erstarken der Linkspartei im Westen Fleisch von ihrem
Fleische. Nun steht Beck vor der Frage, seine Glaubwürdigkeit durch
Bündnisse mit der Linken zu verlieren oder aber auf längere Sicht mit
der SPD nicht mehrheitsfähig zu sein. Die Zahl seiner strategischen
Optionen ist begrenzt. Er kann zudem aus dem von Sondereffekten
geprägten Ergebnis im einst immer "roten" Hessen noch keine
dauerhafte Morgenröte seiner Partei ableiten. Beck bleibt ein
Getriebener, kein Antreiber.

Originaltext: Rheinische Post
Digitale Pressemappe: http://www.presseportal.de/pm/30621
Pressemappe via RSS : http://www.presseportal.de/rss/pm_30621.rss2

Pressekontakt:
Rheinische Post
Redaktion

Telefon: (0211) 505-2303


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