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Schwimm-Weltmeister Mark Warnecke im Interview: "Olympiasieger dürfen keine Hartz-IV-Empfänger werden" (FOTO)

Geschrieben am 05-08-2016

Frankfurt am Main (ots) -

Mark Warnecke, Bronzemedaillengewinner über 100 Meter Brust bei
den Olympischen Spielen 1996 in Atlanta, spricht im
Sporthilfe-Interview über die Gold-Chancen von Marco Koch, über die
schwierige IOC-Entscheidung hinsichtlich eines Komplettausschlusses
von Russland, über Medaillenprämien in Millionenhöhe und seine Sicht
auf die frühere und aktuelle Sporthilfe-Förderung. Seit 2016 ist er
Mitglied im Gutachterausschuss der Deutschen Sporthilfe.

Heute Nacht beginnen die Olympischen Spiele in Rio de Janeiro.
Kribbelt es schon bei Ihnen?

Absolut. Ich bin schon jetzt sehr nervös, ich fiebere den
Schwimmwettkämpfen regelrecht entgegen. Mehrere Sportler sind in Rio
vor Ort, die ich unmittelbar betreue - bzw. im Fall von Dorothea
Brandt bin ich ja auch der direkte Trainer im Kraftbereich, andere
Athleten berate ich bzgl. Ernährung und orthopädisch. Das ist eine
ganz neue Situation für mich. Als Sportler war ich ein absoluter
Wettkampftyp, da konnte ich alles persönlich steuern. Jetzt sitze ich
nur zuhause vor dem Fernseher und kann nichts tun. Ich kann nicht
mitschwimmen, nicht anschieben. Wenn ich es könnte, würde ich es tun.

Was erwarten Sie von den deutschen Schwimmern in Rio?

Der herausragende Athlet aus deutscher Sicht ist sicherlich Marco
Koch. Er ist aktuell weltweit der kompletteste und beste
Brustschwimmer. Aber auch für ihn wird es nicht leicht, eine Medaille
zu gewinnen. Er hat selbst gesagt, für Gold muss er wahrscheinlich
Weltrekord schwimmen. Und dafür braucht man einfach einen perfekten
Tag. Das wünsche ich ihm für Rio. Genauso gut kann er das perfekte
Rennen aber auch erst eine Woche später haben. Ein bisschen Glück
gehört auch dazu.

Gibt es weitere deutsche Medaillenkandidaten?

Die Entwicklung im deutschen Schwimmsport ist da, jedoch sind wir
international noch nicht ganz top vertreten. Aber mit vierten,
fünften, sechsten Plätzen können wir sehr zufrieden sein. Es wird ja
oft verkannt, was für sehr harte Arbeit dahinter steckt. Ich werte
eine Endlaufteilnahme auch als einen Sieg. Man darf nicht immer nur
die Medaille sehen. Der Einsatz, den ein Sportler für solch eine
Platzierung in all den Jahren vorher erbringt, die Entbehrungen und
die Zeit, die da rein gesteckt werden, sind ja identisch. Und
herausragend. Das geht leider beim Medaillenzählen oft unter. Wichtig
für mich ist, dass die Leistung sauber erbracht wird. Und in
Deutschland sind wir da sehr sauber. Für alle kann ich natürlich
meine Hand nicht ins Feuer legen, aber ich kenne viele, von denen ich
weiß, dass sie nichts Unerlaubtes tun. Und wenn man einen sauberen
Sport hat, muss man sich aktuell vielleicht damit abfinden, nur
wenige Medaillen zu gewinnen.

Wie empfinden Sie in dem Zusammenhang die Entscheidung des IOC,
Russland nicht komplett von den Spielen auszuschließen?

Bei dieser Frage tue ich mich extrem schwer mit einer Antwort. Es
war mit Sicherheit eine sehr schwierige Entscheidung - und ich bin
froh, hier nicht in der Verantwortung zu stehen. Inzwischen gibt es
ja zwei entgegengesetzte Lager. Sonst habe ich ja eigentlich zu allem
eine Meinung, insbesondere zum Thema Doping, und halte damit auch
nicht zurück. Aber das Thema jetzt ist in meinen Augen um einiges
komplexer. Ich kann diese Frage nicht auf den Sport reduzieren. Für
mich spielt hier auch die weltpolitische Situation eine Rolle. Die
Gesamtlage bedrückt mich sehr und das sportliche Problem rückt für
mich dabei deshalb in den Hintergrund. Zum ersten Mal nehme ich für
mich eine solche Entscheidung einfach hin. Ich kann sie aus Sicht des
Sports nicht befürworten, aus gesellschaftspolitischer Sicht aber
auch nicht kritisieren.

Eine Frage, die rund um Olympische Spiele immer wieder aufkommt,
ist, wie Medaillen prämiert werden sollten. Schwimm-Bundestrainer
Henning Lambertz hat aktuell seine Vorstellung wiederholt, einen
Olympiasieg mit 1 Million Euro zu honorieren.

Der Grundgedanke, den ich hier sehe, ist, für junge Menschen
Anreize zu schaffen, um sich auch in Zukunft überhaupt auf das
Abenteuer Leistungssport einzulassen. Insofern stimme ich Henning vom
Grundsatz her zu. Für mich kommt es hierbei jedoch auf das
dahinterstehende Konzept an. Sportler sollen durch einen Sieg bei
Olympia nicht reich werden und sich dann Porsche oder Ferraris kaufen
können. Aber sie sollen durch den Sport auch keinen Nachteil im
späteren Leben haben. Einerseits bringt der Sport dem einzelnen sehr
viele Vorteile, angefangen von der Persönlichkeitsentwicklung über
die Menschen und Länder, die man kennenlernt, bis hin zu den Werten,
die der Sport vermittelt, um nur einiges zu nennen. Es entstehen aber
auch Nachteile, wenn durch das viele Training und Wettkämpfe
beispielsweise das Studium länger dauert. Mir persönlich wäre zum
Beispiel eine Chefarzt-Karriere schwer gefallen, weil einfach ein
paar berufliche Jahre gefehlt hätten. Deswegen plädiere ich dafür,
dass die Gesellschaft für die Athleten, die den Staat bei
internationalen Großereignissen repräsentieren, Verantwortung
übernimmt, in der Art, dass eine Prämie - ob das 1 Million sein muss,
sei jetzt mal dahin gestellt - zweckgebunden eingesetzt wird. Mir
hätte es geholfen, nach der Karriere mit einer solchen finanziellen
Unterstützung meinen Facharzt machen und eine Praxis aufmachen zu
können. Ich habe es beruflich auch so geschafft, aber manche bleiben
eben auf der Strecke. Das Schlechteste, was uns passieren könnte,
ist, wenn unsere Olympiasieger später Hartz-IV-Empfänger werden. Denn
der Sport, und der Leistungssport dabei als Zugpferd, ist mit das
beste soziale Auffangbecken, das wir haben und eine sehr gute Schule.
Das dürfen wir bei der ganzen Diskussion nicht übersehen, sondern in
das Gesamtbild der Bedeutung des Sports in unserer Gesellschaft
einordnen.

Wie bewerten Sie diesbezüglich die Arbeit der Deutschen
Sporthilfe?

Mein Blick ist zweigeteilt. Zum einen sehe ich die Unterstützung
während meiner eigenen Karriere. Als junger Athlet wurde ich
finanziell insofern gut unterstützt, dass ich damit meine weiten
Trainingswege finanzieren konnte. Aber eine Optimal-Förderung habe
ich damals sicherlich nicht erhalten. Erst war ich zu jung, bei
meinen späteren Erfolgen dann schon wieder zu alt. Über meine gesamte
Karriere habe ich im Grunde das Gefühl, durch die Förderung
durchgefallen zu sein. Eine duale Karriere war damals weder bei den
Trainern noch bei der Deutschen Sporthilfe im Fokus. Ich habe auf
eigene Verantwortung hin studiert, habe Glück, dass ich alles
erfolgreich verbinden konnte. Seitdem ich im Gutachterausschuss
mitarbeite, hat sich mein Bild von der Deutschen Sporthilfe jedoch
sehr zum Positiven gewandelt.

Inwiefern?

Die Arbeit der Sporthilfe hat sich verändert. Es geht nicht mehr
nur um finanzielle Unterstützung, sondern die Duale Karriere ist in
den Mittelpunkt gerückt. Das ist ganz in meinem Sinne. Die Initiative
"Sprungbrett Zukunft" - von Kurzzeit-Praktika über Kennwort-Bewerbung
bis hin zum Mentorenprogramm - ist extrem wichtig. Das ist der
Anschub, den die Athleten brauchen. Das geht in die Richtung, die ich
eben beim Thema Prämien angesprochen habe. Es darf nicht nach dem
Gießkannenprinzip gefördert werden - die Besten sollen auch die beste
Förderung bekommen -, aber auch nicht nach dem Motto "aus der
Leistung aus dem Sinn". Die Sporthilfe übernimmt hier Verantwortung
für die Athleten, hilft ihnen beim Übergang in den Beruf. Das sollte
junge Talente bei der Entscheidung für den Leistungssport bestärken.
Und dann können wir uns hoffentlich auch in Zukunft an herausragenden
Leistungen deutscher Athleten bei Olympischen Spielen und anderen
Großereignissen freuen.

Zur Person:

Mark Warnecke (* 15. Februar 1970 in Bochum)

Mark Warnecke gewann 1996 bei den Olympischen Sommerspielen in
Atlanta im Schwimmen über 100 m Brust die Bronzemedaille. Ein Jahr
zuvor war er über die gleiche Strecke auf der Kurzbahn zum ersten Mal
Weltmeister geworden. Bei den Schwimm-Weltmeisterschaften 2005 in
Montréal gewann er die Goldmedaille über 50 m Brust und wurde damit
im Alter von 35 Jahren der älteste Weltmeister in der Geschichte des
Schwimmsports. Von der Deutschen Sporthilfe wurde der mehrfache
Europameister mit Unterbrechungen von 1985 bis zu seinem Karriereende
im Jahr 2007 gefördert, 2013 trat er emadeus - dem Club der
Sporthilfe-Athleten bei. Der heute 46-Jährige studierte parallel zum
Leistungssport Humanmedizin und eröffnete 2009 mit einem Kollegen in
Witten eine eigene Praxis. Vor seinem WM-Triumpf 2005 hatte er für
seine eigene Diät ein Aminosäurepräparat entwickelt, das in der
Folgezeit so nachgefragt wurde, dass Warnecke die
Sporternährungsmarke AMSPORT gründete. Heute ist der gebürtige
Bochumer zugleich Unternehmer, Arzt, Trainer und Ernährungsberater.
Seit 2016 ist er zudem Mitglied im Gutachterausschuss der Deutschen
Sporthilfe.

Sporthilfe-Gutachterausschuss

12 bis 15 Mal im Jahr kommen die ehrenamtlich arbeitenden
Mitglieder zusammen, um in Abstimmung mit dem Vorstand die
Förderungsmaßnahmen der Deutschen Sporthilfe zu beschließen - von der
C-Kader-Förderung über die Bezuschussung von Nachholunterricht bis
hin zu Leistungsprämien. Die Mitglieder: Dr. Christian Bassemir
(Hockey), Petra Behle (Biathlon), Olaf Heukrodt (Kanu), Alexander
Koch (Fechten), Steffi Nerius (Leichtathletik), Mark Warnecke
(Schwimmen), Frank Wieneke (Judo), Dirk Schimmelpfennig (Vertreter
des DOSB), Dr. Bernhard Flümann (ständiger Gast des BMI)

Abdruck honorarfrei.
Quelle: Deutsche Sporthilfe



Pressekontakt:
Stiftung Deutsche Sporthilfe
Heike Schönharting
Otto Fleck-Schneise 8
60528 Frankfurt am Main
Tel: 069-67803 - 511
Fax: 069-67803 - 599
E-Mail: heike.schoenharting@sporthilfe.de
Internet: www.sporthilfe.de


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