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Mittelbayerische Zeitung: Kommentar zu den Domspatzen: Das Schweigen brechen, von Christine Straßer

Geschrieben am 31-01-2016

Regensburg (ots) - Es bräuchte mindestens 20 verschiedene Wörter
für das Wort "Schweigen". Wer einmal einen Vortrag von Pater Klaus
Mertes gehört hat, kennt diesen Satz. Mit seinen Untersuchungen am
Canisius-Kolleg fing alles an. Vor sechs Jahren wurde Deutschland vom
Missbrauchsskandal in der katholischen Kirche überrollt. Mertes hat
gelernt, dass es viele Varianten des Nicht-Sagens gibt - bei Tätern
und Mitwissern genauso wie bei Opfern. Er zählt das hörende Schweigen
auf, das schützende Schweigen, die Schweigepflicht des Arztes oder
des Seelsorgers. Es gibt aber auch andere Arten von Schweigen. Das
steinerne Schweigen, das verordnete, ängstliche Schweigen, das
Schweigen der Verleugnung, das Totschweigen, das Schweigen, hinter
dem sich nackte Aggression verbirgt. Kindesmissbrauch ist das
Unerträglichste, das passieren kann. Ein unsagbares Verbrechen.
Missbrauchsopfer sprechen das Unsagbare aus. Ihr Sprechen überwindet
Sprachlosigkeit. Deshalb ist die öffentliche Aufarbeitung des
Missbrauchsskandals bedeutsam. Sie gibt Sprache. Heute können
Jugendliche sexuellen Missbrauch benennen, leichter aussprechen. Zu
ihrem Schutz ist das wichtig. Die katholische Kirche hat viel in
Präventionsarbeit investiert. Beispielsweise gab es für alle
hauptamtlichen pastoralen Mitarbeiter, Priester und Diakone
Pflicht-Fortbildungen. In Regensburg steht jedoch noch ein langer
Aufarbeitungsprozess an. Das ist die Erkenntnis aus den Enthüllungen
zum Ausmaß der Misshandlungen und des Missbrauchs bei den Domspatzen.
Dass Regensburg wieder für Schlagzeilen sorgt, hat mit den Reaktionen
auf den Skandal seit 2010 zu tun. Unter dem damaligen Bischof Gerhard
Ludwig Müller wurde die Aufklärung verschleppt. Es war viel die Rede
von Medienkampagnen und Einzeltätern, kaum von systematischen
Ursachen. Der heutige Bischof Rudolf Voderholzer räumte vor einer
Woche Versäumnisse ein. Er lobte die Arbeit des unabhängigen
Aufklärers Ulrich Weber. Doch bis heute gibt es Stimmen aus dem
Bistum, die eine Aufarbeitung als überflüssig bezeichnen. Von
Nestbeschmutzern ist die Rede. Anrufer bitten die Redaktion um
Telefonnummern von Opfern. Sie sagen, sie möchten diejenigen fragen,
ob sie nicht besonders renitente Schüler gewesen seien und eine
Züchtigung daher verdient hätten. Es gibt auch Anrufer, die sich als
ehemalige Domspatzen zu erkennen geben und bitterböse Worte über die
Opfer verlieren. Es wird Unverständnis geäußert darüber, dass sich
Opfer erst jetzt melden. Sie sollten Ruhe geben. Schließlich sei
alles längst strafrechtlich verjährt. Für die Opfer müssen derlei
Aussagen unerträglich sein. Man kann sich die inneren Qualen, die sie
durchgemacht haben, bevor sie nach außen traten, nur ausmalen.
Verständlich, dass zahlreiche Opfer nicht genügend Vertrauen hatten,
sich direkt an das Bistum zu wenden. Mitunter wird eingeworfen, dass
Ohrfeigen in jener Zeit üblich gewesen seien. Die einen hätten das
besser verkraftet, die anderen schlechter. Es ist richtig, dass die
Prügelstrafe an Schulen erst 1980 abgeschafft wurde. Doch auch in
Zeiten der Prügelstrafe gab es keine Pflicht, zu prügeln. Die
Freiheit, sich gegen Prügel zu entscheiden, gab es für Lehrer jedoch
sehr wohl. Abgesehen davon geht es auch gar nicht um Ohrfeigen,
sondern um regelrechte Prügelattacken, denen Schüler bei den
Domspatzen ausgesetzt waren. In Webers Bericht heißt es: "Selbst wenn
man den Einsatz von Körperstrafen im zeitlichen Kontext der damals
herrschenden, legalen Erziehungsmethoden sieht - Körperstrafen als
Vergeltung für oder Verhinderung von Ungehorsam- zeigt sich eine
grobe Unverhältnismäßigkeit, da 'Ungehorsam' in den untersuchten
Fällen gar nicht bis kaum vorhanden war." Noch eine Anmerkung zum
sexuellen Missbrauch: Was es mit Meldungen aus neuerer Zeit auf sich
hat, ist weiter offen. Weber listet drei Meldungen wegen sexuellen
Missbrauchs aus den 90er Jahren und den 2000ern auf. Und: "Zwei
Einzelmeldungen nach dieser Zeit bedürfen noch weiterer
Untersuchungen", schreibt er. Auf dem Katholikentag sprach Pater
Mertes vom Einüben des Zuhörens. Wenn Missbrauchsopfer über
Verbrechen berichten, fällt Zuhören schwer. Auch weil die Verbrechen
von Menschen begangen wurden, die bekannt waren, die gemocht und
geschätzt wurden. Wer das Schweigen bricht, geht das Risiko ein, dass
offen ist, was herauskommt. Viel Unangenehmes kommt zum Vorschein.
Womöglich kirchliche Personalverantwortliche, die um Dinge gewusst
haben und Täter einfach versetzt haben. Menschen, die Symptome nicht
richtig gedeutet haben. Das kann aber kein Grund sein, um im
Schweigen zu verharren.



Pressekontakt:
Mittelbayerische Zeitung
Redaktion
Telefon: +49 941 / 207 6023
nachrichten@mittelbayerische.de


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