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Turn-Olympiasiegerin Karin Büttner-Janz: "Ich frage mich, ob das bundesdeutsche Sportsystem wirklich für den Hochleistungssport und somit für medaillenreife Leistungen geeignet ist"

Geschrieben am 16-10-2015

Frankfurt am Main (ots) - Die zweifache Turn-Olympiasiegerin Karin
Büttner-Janz, seit 2011 Mitglied der "Hall of Fame des deutschen
Sports", war nicht nur im Sport erfinderisch - so turnte sie den
Janz-Salto als weltweit neues Element -, sondern ihr ganzes Leben ist
geprägt von Erfindungen. Sie ist Mitentwicklerin der ersten
künstlichen Bandscheibe, zahlreiche medizinische Patente sind unter
ihrem Namen eingetragen, jetzt entwirft die einstige Präsidentin der
internationalen Gesellschaft der Wirbelsäulen-Chirurgen und
Professorin der Berliner Charité das erste Krankenhaus mit Schutz vor
Infektionen. Dem Sport und dem Turnen ist sie nach wie vor eng
verbunden, beobachtet mit großer Freude das Comeback von Elisabeth
Seitz, hoffnungsvolle Starterin bei den
Kunstturn-Weltmeisterschaften, die am 23. Oktober in Glasgow
beginnen.

Wann haben Sie zuletzt geturnt?

Karin Büttner-Janz: Umschwünge am Reck habe ich vor drei Wochen
gemacht, auf einem Spielplatz, nachdem Sohn und Enkel mich motiviert
haben, es zu probieren. In allerleichtester Ausführung. Einen
Flickflack würde ich mir heute nicht mehr zutrauen.

Erinnern Sie sich noch an Ihre Stufenbarrenübung bei der WM 1970
in Ljubljana, mit der Sie die Goldmedaille gewannen?

Karin Büttner-Janz: Ja, ein wenig: Anlauf mit Griff zum unteren
Holm, Überhocken, oben anfassen, Strecken, mit einer Grätsche wieder
zurück, Kippen und Umschwünge am unteren und oberen Holm, den Abgang
vom oberen Holm mit einer Drehung um die Körperlängsachse.

Den Janz-Salto, den nach ihnen benannten Grätschsalto in der
Holmengasse, haben Sie damals noch nicht geturnt.

Karin Büttner-Janz: Nein, der kam erst bei den Olympischen Spielen
1972 in München.

Sie haben mit ihrem Trainer eine eigene Figur kreiert, dann als
Medizinerin die künstliche Bandscheibe miterfunden - sind Sie ein
kreativer Mensch?

Karin Büttner-Janz: Ja, vielleicht manchmal zu kreativ. Um es
bildlich darzustellen: Ich werfe den Ball weit weg und wundere mich,
wie schwer der Weg ist, ihn wieder zu holen.

Und wohin werfen Sie den nächsten Ball?

Karin Büttner-Janz: Ich habe mir ein neues Krankenhaus ausgedacht
für mehr Patientensicherheit.

Was soll das Besondere dieser Klink sein?

Karin Büttner-Janz: Das Wichtigste ist der Schutz vor Infektionen.
Ein Großteil passiert bei Operationen. Ich war 22 Jahre in Berlin
Chefärztin in mehreren Krankenhäusern und habe in diversen Sälen
operiert. Mich hat jede Infektion eines Patienten persönlich
getroffen. Oft tritt sie erst Monate später zu Tage und stets bleibt
die Frage: Wo kommt das her? Da muss es doch einen Ausweg geben! Ich
habe mir Gedanken gemacht, herausgekommen ist ein völlig neues
Krankenhaus. Um zu schauen, ob sich das wirtschaftlich trägt, habe
ich mit der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft PwC zusammengearbeitet,
dann mit zwei Architekturbüros, die sich mit Krankenhäusern
auskennen, und schließlich mit einer Anwaltssozietät, die meine Ideen
in einen Antrag an den Berliner Senat übertragen hat. Für den Antrag
wurde eine Gesellschaft gegründet. Das Interdisziplinäre
Wirbelsäulen-Endoklinikum, IWE, ist vom Grundprinzip her für mehrere
medizinische Fachgebiete und nicht nur für Berlin geeignet. Die
bundesweit agierende Sana Kliniken AG ist am IWE interessiert.

Wie wollen Sie mehr Schutz vor Infektionen bieten?

Karin Büttner-Janz: Oft werden in Kliniken mit Keimen infizierte
und nicht infizierte Patienten im gleichen OP-Saal operiert. Ich
finde das unmöglich. Viele Gerätschaften können zwischen den
Operationen nicht desinfiziert werden, beispielweise der
Anästhesieturm, der Röntgenbildwandler, die OP-Lampen oder
Nahtmaterialkästen aus Pappe. Im IWE wären alle Räumlichkeiten und
die komplette Funktionslogistik jeweils separat vorhanden.

Um bei Ihrem Beispiel zu bleiben: Ist der Weg schwer, sich diesen
Ball wieder zu holen?

Karin Büttner-Janz: Viele scheuen sich, das Thema anzusprechen.
Das hat auch mit Kosten zu tun. Wir wünschen uns zum Geburtstag alle
einander Gesundheit. Doch was wird dafür getan? Im Berliner
Landeskrankenhausgesetz steht, dass Krankenhäuser zur Verhütung von
Infektionen verpflichtet sind, sich ständig dem Stand der Technik
anzupassen. Dazu gehört bei Operationen eine bestimmte
Raumlufttechnik. Dieser Standard ist lange nicht in allen
Krankenhäusern vorhanden, dennoch wird operiert. Dabei ist die
Sanierung einer Infektion, etwa entstanden nach dem Einsetzen eines
künstlichen Gelenks, viermal teurer als eine komplikationsfreie
Operation, und das Patientenschicksal ist oft dramatisch.

Ihr Steckenpferd ist die Wirbelsäule. Sie betreuen über Ihre
Wirbelsäulenstiftung unter Mithilfe der Deutschen Sporthilfe die
Doktorarbeit einer Promotionsstudentin der Charité und fanden heraus,
dass der Rücken vielen Hochleistungssportlern Probleme bereitet. Wie
kann das sein? Wir hören doch von Fitnessexperten: "Ein starker
Rücken kennt keinen Schmerz!"

Karin Büttner-Janz: Wir haben Antworten von mehr als 900 Athleten
erhalten. Etwa 55 Prozent hatten in den zwölf Monaten vor der
anonymen Online-Befragung tatsächlich Rückenschmerzen, hauptsächlich
im Bereich der Lendenwirbelsäule. Insgesamt leidet etwa jeder zehnte
Hochleistungssportler zeitweise an so starken Schmerzen, die
möglicherweise nur durch eine Operation behoben werden könnten. Daher
ist Physiotherapie so wichtig. Die Sportler mit viel
rückenbelastendem Training hatten interessanterweise weniger
Schmerzen als diejenigen mit wenig Rückentraining, das deckt sich mit
Ihrer Frage. Dennoch hat jeder Mensch, auch der
Hochleistungssportler, seine Grenzen. Werden sie überschritten,
entstehen Schmerzen. Vielleicht helfen hier trainingsmethodische
Ansätze?

Am 23. Oktober beginnen in Glasgow die Turn-Weltmeisterschaften.
Wie schätzen Sie die Chancen der deutschen Mannschaft ein?

Karin Büttner-Janz: Für ein abschließendes Urteil bin ich nicht
gut genug informiert. Ich freue mich, dass Elisabeth Seitz nach ihren
Verletzungen wieder voll dabei ist, sie war für mich in den
vergangenen Jahren immer ein Highlight im deutschen Turnen. Ich
drücke ihr fest die Daumen, und den anderen Deutschen natürlich auch.
Ich habe ein Weilchen darüber nachgedacht, selbst nach Glasgow zu
reisen, doch mein MBA-Studium nimmt mich zu sehr in Anspruch.

Die Professorin studiert noch einmal?

Karin Büttner-Janz: Es ist ein berufsbegleitendes Studium an der
HTW Berlin, ich bin jetzt im vierten Semester und weitere Klausuren
stehen an. Ich lerne mit im Schnitt halb so jungen und noch jüngeren
Kommilitonen und habe viele Déjà-vu-Erlebnisse. Studentenzeit ist
eben doch die schönste Zeit im Leben. Aber mal im Ernst: Ich habe das
MBA General Management Studium begonnen, um die wirtschaftlichen und
rechtlichen Zusammenhänge rund um das IWE-Vorhaben besser verstehen
zu können.

Auch viele Spitzensportler studieren, versuchen sich an der Dualen
Karriere. Wie sehen Sie die heutige Spitzensportförderung?

Karin Büttner-Janz: Die Duale Karriere sehe ich als sehr wichtig
an, denn nach dem Sport geht das Leben weiter. Ich durfte im
vergangenen Jahr beim Sporthilfe Elite-Forum Diskussionen zwischen
Athleten und Verbandsfunktionären miterleben. Sie haben mich zum
Nachdenken angeregt: Ist das bundesdeutsche Sportsystem mit seinen
vielen Einzelverbänden und deren Möglichkeit, selbst über alles und
jedes bestimmen zu können, wirklich für den Hochleistungssport und
somit für medaillenreife Leistungen geeignet? Wodurch können die
Leitungen der vielen Verbände zur Höchstleistung motiviert werden?
Denn ich bin fest überzeugt, ohne Höchstleistung auf allen
involvierten Ebenen sind internationale Medaillen kaum zu erringen,
die Leistungsdichte ist sehr hoch. Und Finanzierung ist nur ein
Baustein.

Zur Person:

Prof. Dr. Karin Büttner-Janz (*17. Februar 1952 in
Hartmannsdorf/Lübben)

Bei den Olympischen Spielen 1972 in München war Karin Büttner-Janz
die erfolgreichste Kunstturnerin und DDR-Sportlerin. Mit zwei
Goldmedaillen am Stufenbarren und im Pferdsprung ist sie bis heute
die einzige deutsche Doppel-Olympiasiegerin im Turnen. Zudem holte
die Athletin vom SC Dynamo Berlin in München sowie 1968 in
Mexiko-Stadt fünf weitere Olympiamedaillen. Bei der EM 1969 erturnte
sie im schwedischen Landskrona vier von fünf möglichen Titeln: im
Mehrkampf, im Pferdsprung, am Stufenbarren sowie am Schwebebalken.
1970 gewann sie in Ljubljana den WM-Titel am Stufenbarren und zwei
Silbermedaillen. An ihrem Lieblingsgerät zeigte sie 1972 den nach ihr
benannten Grätschsalto. Anfang 1973 trat sie vom Leistungssport
zurück, studierte Medizin, promovierte und habilitierte sich 1989 zum
Thema des künstlichen Bandscheibenersatzes. Büttner-Janz gelang auch
in der Medizin ein "Olympiasieg": Sie ist Miterfinderin der weltweit
ersten Prothese für den Komplettersatz einer Bandscheibe, der so
genannten Charité-Disc. Nach vielen Jahren der Tätigkeit als
Chefärztin in Berliner Krankenhäusern gründete die einstige
Präsidentin der internationalen Gesellschaft der
Wirbelsäulen-Chirurgen im Jahr 2012 die Büttner-Janz
Wirbelsäulenstiftung. Die Professorin der Berliner Charité wurde 2011
in die "Hall of Fame des deutschen Sports" aufgenommen. Zum
ausführlichen Portrait auf hall-of-fame-sport.de:
http://bit.ly/1LcrhGJ

Die Fragen stellte Oliver Kauer-Berk.

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Fax: 069-67803 - 599
E-Mail: heike.schoenharting@sporthilfe.de
Internet: www.sporthilfe.de und www.hall-of-fame-sport.de


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