(Registrieren)

Thüringische Landeszeitung: "Diese Fußballer-Generation muss endlich etwas abliefern"

Geschrieben am 11-06-2014

Weimar (ots) - Weimar. Für Marcel Reif, einen der bekanntesten und
beliebtesten Sportkommentatoren Deutschlands, zählt das deutsche Team
neben Brasilien und Spanien mit zu den Top-Favoriten der
Weltmeisterschaft. Im Interview mit der Thüringischen Landeszeitung
(Weimar, Donnerstag-Ausgabe) äußert sich Reif auch zum Gigantismus
des Turniers, zur Situation in Brasilien und fordert, über das
Scheichtum Katar als Austragungsort der WM 2022 noch einmal neu zu
entscheiden.

Ihr Sender Sky hat keine Rechte an der Ausstrahlung der
Fußball-WM. Ein Marcel Reif bei einer Weltmeisterschaft zu Hause, wie
muss ich mir das denn vorstellen? Das muss ich auch noch lernen. Seit
1986 ist das meine erste Weltmeisterschaft, bei der ich nicht vor Ort
bin.

Und Sie haben auch nicht vor, nach Brasilien zu fahren? Nein. Ich
habe mich für etwas anderes entschieden. Mit meiner Frau mache ich
eine Schiffsreise. Und auf dem Schiff werde ich etwas zur Fußball-WM
erzählen.

So ganz vom Kommentatoren-Job können Sie sich also nicht trennen?
Nein. Natürlich interessiert mich die WM. Wenn das nicht so wäre,
könnte ich meinen Job bald an den Nagel hängen.

Lassen Sie uns über die deutsche Nationalelf reden. Nur knapp ein
Viertel der Deutschen glaubt derzeit an einen Titelgewinn. Zählen Sie
eher zu den Skeptikern oder zu den Optimisten? Natürlich waren mit
Neuer, Schweinsteiger, Lahm und Khedira in der Vorbereitung genau die
Spieler verletzt, die die Schlüsselpositionen inne haben -- unsere
Führungsspieler, auf die es besonders ankommt. Entscheidend ist, wie
fit sie beim Start der WM sind. Wenn sie fit sind, bleibe ich bei
meinem Spruch: Ich wette nicht auf die deutsche Nationalmannschaft,
ich wette aber auch keinen Groschen gegen sie.

Wann würden Sie sich auf eine Prognose festlegen? Nach dem Spiel
gegen Portugal wissen wir, wohin die Reise gehen kann. Von der
Leistungsstärke her zählt die deutsche Mannschaft sicher zu den
Top-Favoriten, direkt nach Brasilien. Die Gastgeber sind vielleicht
noch ein wenig brillanter, sind aber natürlich zu Hause einem
gewaltigen Erwartungsdruck ausgesetzt.

Dem Fußball von Jogi Löw wird oft vorgeworfen, er lehre ein
schönes Spiel, das am Ende aber wenig effektiv sei. Teilen Sie diese
Meinung? Es gab schon sehr effektive Spiele. Ich habe manchmal den
Eindruck, dass der Bundestrainer durch zu vorsichtiges Taktieren und
zu viel Verkopftem der Mannschaft selbst den Zahn zieht. Dieses Team
ist in der Lage, jeden Gegner dieser WM zu schlagen und nicht nur
schön zu spielen. Ein Problem sehe ich bei den Stürmern. Natürlich
sind auch einige verletzt. Aber dass der Bundestrainer nur Miro Klose
mitnimmt - darüber runzele ich mit Verlaub die Stirn. Ich frage mich,
ob das System des falschen Neuners, das Pep Guardiola in Barcelona
erfunden hat, wirklich das Alleinseligmachende sein kann.

Ein bisschen Zweifel an der Taktik höre ich da heraus? Ja. Bei
allen Turnieren seit 2006 war Löw der Taktiker hinter dem Spiel der
Mannschaft. Für mich waren die Spiele teilweise zu vorsichtig, es
wurde zu viel über Taktik nachgedacht statt die Mannschaft einfach
ihre Möglichkeiten ausspielen zu lassen.

Das meinen Sie mit zu verkopft? Ja, es wird bei den taktischen
Überlegungen zu viel um die Ecke gedacht. Es muss doch darum gehen,
dass die deutsche Mannschaft ihr Potenzial entfalten kann und nicht
darum, wie man die anderen hindern kann, zu ihrem Spiel zu kommen.

Lassen Sie uns mal auf Brasilien schauen. Ist eigentlich ein
eigenes Dorf für die deutsche Nationalelf notwendig oder ist das
nicht alles übertrieben? Fragen Sie mich am Abend des Finales noch
einmal... Wenn Deutschland den Titel holt, muss man sicher alles toll
finden, was bis dahin gelaufen ist. Nach dem jetzigen Stand frage ich
mich aber schon: Wer braucht das? Muss das wirklich sein? Ist das
Abschotten leistungsfördernd? Die anderen Mannschaften machen das
nicht, haben das auch bislang nicht so gemacht - und haben trotzdem
Titel gewonnen. Jogi Löw hat mit dieser Mannschaft noch keinen Titel
gewonnen.

Das ist sein Problem.

Das ist kein Problem, das ist eine Tatsache. Über Fußball kann man
herrlich streiten, aber über Tatsachen streite ich nicht.

Setzt aber dieser fehlende Titel Mannschaft und Trainer nicht
unter einen gehörigen Druck? Selbstverständlich. Irgendwann muss
diese Fußballergeneration etwas abliefern. Jetzt muss diese
Mannschaft, nach allem was man theoretisch sagen kann, auf dem
Höhepunkt ihres Schaffens sein. Wenn das so ist, ist das deutsche
Team einer der Top-Favoriten für diese WM. Jetzt ist es Zeit, endlich
mal ein Turnier zu gewinnen.

Welche Mannschaft kann noch von sich behaupten, Top-Favorit zu
sein? Die Brasilianer wollen natürlich den Titel im eigenen Land.
Alles andere wäre für sie ein sportliches Desaster. Spanien, weil die
Mannschaft der notorische Favorit ist und weil sie in den letzten
Monaten heftig kritisiert worden sind, sie seien zu satt und über
ihren Zenit schon hinaus. Die Franzosen und Holländer haben etwas gut
zu machen, die Italiener sind immer gut dafür, bis zum Schluss dabei
zu sein. Oder nehmen Sie die Belgier: Die Mannschaft hat viel drauf,
sie sind aber keinem Erfolgsdruck ausgesetzt. Für die ist es nur eine
Spaßreise.

Legen Sie sich auf eine Rangfolge fest? Brasilien, Deutschland,
Spanien.

Sie haben bei den Belgiern gesagt, der Mannschaft mache es einfach
Spaß. Ist dieser Faktor Spaß einer verbissenen deutschen Mannschaft
abhanden gekommen? Ich glaube nicht, dass man von Verbissenheit reden
kann. Die deutsche Mannschaft zeigt im Spiel eine gewisse
Leichtigkeit, keinen verbissenen deutschen Kraftfußball. Wir haben
sie lange genug gefeiert, gelobt und auch genossen. Aber Fußball wird
auf diesem Niveau gespielt, um am Ende etwas zu gewinnen. Deswegen
kann man diesen Druck nicht leugnen.

Mal über den Fußball hinausgeblickt: In Brasilien gibt es Proteste
wegen der Milliarden, die diese WM gekostet hat. Würden Sie sich
manchmal mehr Bescheidenheit bei solchen Turnieren wünschen?
Bescheidenheit ist mir zu hoch gegriffen. Was wir verlangen können,
ist gesunder Menschenverstand. Natürlich ist das in den letzten
Jahren alles aus dem Ruder gelaufen. Zu Katar muss man eigentlich gar
nichts mehr sagen. Aber auch in Japan und Südkorea wurden Stadien
gebaut, die heute kein Mensch mehr braucht. Das gleiche ist in
Südafrika passiert.

Wo liegt die Gefahr? Darin, dass sich diesen Gigantismus nur noch
wenige leisten können. Und dann läuft es wieder auf Deutschland,
Frankreich, England, Spanien, Brasilien, Argentinien hinaus. Die
Proteste in Brasilien zeigen den ganzen Irrsinn. Es werden neue
Stadien gebaut - und nach der WM spielt dort nicht mal mehr ein
Zweitligist. Das finde ich frivol bis obszön und absolut
unerträglich. Aber diese Entwicklung gibt es schon länger. Ich
erzähle Ihnen mal ein Beispiel aus Südafrika. Dort gibt es in Durban
ein Rugby-Stadion mit einer Kapazität für mehr als 60 000
Zuschauer. Es hätte nur einen geringen Aufwand gekostet, dieses
Stadion WM-tauglich zu machen. Aber Rugby- und Fußballverband konnten
sich nicht einigen. Also wurde auf der gegenüberliegenden
Straßenseite ein neues Fußballstadion für 60 000 Menschen
gebaut. Das Stadion wird heute kaum noch gebraucht. Aber mit dem
Geld, das dort verbaut wurde, hätte man 300 000 Menschen Strom,
Wasser und ein Dach über dem Kopf geben können.   Das
 ist   unverantwortlich.

Muss man über den Austragungsort Katar noch einmal neu nachdenken?
Aber selbstverständlich. Da ist gelogen, betrogen und geschmiert
worden. Wir halten uns so viel zugute auf unsere demokratischen
Standards. Und dann können wir das doch nicht so einfach hinnehmen.
Darf denn die Fifa alles machen?

Braucht auch die Fifa eine Generalsanierung? Spätestens jetzt
müssen sie sich Gedanken machen, wie man so etwas ein für alle mal
verhindert. Sonst ist das bestenfalls ein Schmierentheater. Nein,
mehr. Denn Korruption ist kriminell.

Ist Fifa-Boss Sepp Blatter noch tragbar? Unter seiner Ägide ist
dies so gelaufen. Er zeigt hier alles andere als Führungsstärke.

Zum Schluss möchte ich noch einmal persönlich fragen: Wenn Sie
schon nicht selbst kommentieren können, gibt es einen
Lieblingskommentator unter Ihren Kollegen? Selbst wenn es so wäre,
würde ich das nicht sagen.

Mit dieser Antwort hatte ich, ehrlich gesagt, gerechnet. Weil Sie
glauben, dass ich anständig erzogen bin...

Sie kommentieren live. Und es gibt immer wieder Überraschungen,
beispielsweise vor vielen Jahren das legendäre umgefallene Tor. Macht
genau das den Reiz von Live-Sendungen aus? Sicher ist das reizvoll.
Aber es kann auch grandios danebengehen. Damals ist es nicht
danebengegangen. Live macht mir am meisten Spaß.

Um an das umgefallene Tor anzuknüpfen: Sie haben damals im Duett
mit Günther Jauch öfter gesagt: Was wir jetzt brauchen, ist ein Tor.
Wann fällt denn das erste Tor bei der WM? Ganz sicher im
Eröffnungsspiel.

Minute? 15. Minute. Und wenn das stimmt, spielen wir beide ab
jetzt Lotto...



Pressekontakt:
Thüringische Landeszeitung
Chef vom Dienst
Norbert Block
Telefon: 03643 206 420
Fax: 03643 206 422
E-Mail: cvd@tlz.de oder n.block@tlz.de
Internet: www.tlz.de


Kontaktinformationen:

Leider liegen uns zu diesem Artikel keine separaten Kontaktinformationen gespeichert vor.
Am Ende der Pressemitteilung finden Sie meist die Kontaktdaten des Verfassers.

Neu! Bewerten Sie unsere Artikel in der rechten Navigationsleiste und finden
Sie außerdem den meist aufgerufenen Artikel in dieser Rubrik.

Sie suche nach weiteren Pressenachrichten?
Mehr zu diesem Thema finden Sie auf folgender Übersichtsseite. Desweiteren finden Sie dort auch Nachrichten aus anderen Genres.

http://www.bankkaufmann.com/topics.html

Weitere Informationen erhalten Sie per E-Mail unter der Adresse: info@bankkaufmann.com.

@-symbol Internet Media UG (haftungsbeschränkt)
Schulstr. 18
D-91245 Simmelsdorf

E-Mail: media(at)at-symbol.de

532384

weitere Artikel:
  • Sportschau FIFA WM-Angebot der ARD Mediathek auf der roten Taste / Mit HbbTV die Fußball-Weltmeisterschaft 2014 in Brasilien jederzeit am Fernseher genießen Hamburg (ots) - Verpasste Spiele durch späte Anfangszeiten sind bei dieser Fußball-Weltmeisterschaft für Zuschauerinnen und Zuschauer der ARD kein Problem. Das Sportschau FIFA WM-Angebot der ARD Mediathek bietet ab 12. Juni 2014 Videos aller Spiele sowie Ergebnisse und Spielinformationen zur komfortablen Ansicht am Fernseher - wann immer es der Zuschauer will. Erstmals zur WM 2014 präsentiert die ARD ein Angebot für HbbTV-fähige Fernseher, in der alle relevanten Informationen zum wichtigsten Fußballturnier der Welt abrufbar sind. mehr...

  • Brasilien wird Fußball-Weltmeister / fußballmathe.de sieht den Gastgeber vorn / Stiftung Rechnen ist Partner der Prognose-Website zur WM 2014 Hamburg (ots) - Wer holt den WM-Pokal nach Hause? Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, dass Deutschland es zum vierten Mal schafft? Oder werden Jogis Jungs wieder gegen Italien ausscheiden? Wie steht es um die Chancen vermeintlicher Außenseiter wie Honduras oder Iran? Den Antworten auf diese Fragen nähert sich fußballmathe.de. Auf der Prognose-Website zur Fußball-WM 2014 gibt es Berechnungen und mathematische Informationen rund um das Turnier. "Fußball hat eine ganze Menge mit Mathematik zu tun", sagt Professor Matthias Ludwig mehr...

  • Lakeside Labs und Toni Polster: Selbstorganisierendes WM Orakel Klagenfurt (ots) - Zum FIFA World Cup in Brasilien entwickelten Lakeside Labs ein WM Orakel. Selbstorganisation und Evolution sind die Grundlagen für das Orakel des Forschungsverbundes aus Klagenfurt. Anhand vergangener Spielverhalten hinsichtlich Technik und Taktik werden den simulierten Nationalteams verschiedene Spielstile gegeben. Diese Stile werden dann in aufwendigen Simulationsprozessen evolutioniert und das "Spiel" mit der gegnerischen Mannschaft dann virtuell ausgetragen. Ähnlich wie das Orakel von 2010 mit Paul dem Kraken mehr...

  • Vier Gewinnaktionen beim Deutschen Sportabzeichen / Schulen und Sportvereine, Familien und Gesundheit im Fokus Frankfurt/Main (ots) - Wenn die Temperaturen steigen und die langen Tage Lust auf Bewegung im Freien machen, dann hat das Deutsche Sportabzeichen Hochsaison. Seit über 100 Jahren ist das Deutsche Sportabzeichen ein umfassender Test für die eigene Fitness. Mit seinen nach Alter und Geschlecht gestaffelten Prüfungsanforderungen in den Bereichen Ausdauer, Kraft, Schnelligkeit, Koordination und dem Nachweis der Schwimmfähigkeit gilt es unter anderem als Einstellungsvoraussetzung für angehende Polizistinnen und Polizisten. Aber auch für mehr...

  • Samba, Fußball, Mainzelmännchen (FOTO) Mainz (ots) - Endlich ist es soweit! In der Arena de São Paulo wird die FIFA Fußball-Weltmeisterschaft Brasilien[TM] angepfiffen. Vom ersten Tag an mischen im ZDF die Mainzelmännchen mit. Während der Fußball-WM werden alle Mainzelmännchen-Spots, sowohl im Umfeld der Fußballspiele, als auch im regulären Werberahmenprogramm von König Fußball regiert. Vom 12. Juni bis zum 12. Juli werden kampagnenartig nur Fußball-Mainzelmännchen gesendet. "Damit tragen unsere ältesten Mitarbeiter dazu bei, dass der Fußball und all die positiven mehr...

Mehr zu dem Thema Aktuelle Sport-News

Der meistgelesene Artikel zu dem Thema:

HSV-Presseservice: Neue Ausrüstung für die Saison 2006/2007 - HSV und PUMA stellen neue HSV-Trikots vor

durchschnittliche Punktzahl: 0
Stimmen: 0

Bitte nehmen Sie sich einen Augenblick Zeit, diesen Artikel zu bewerten:

Exzellent
Sehr gut
gut
normal
schlecht