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Achtung! Es gilt das gesprochene Wort! Themenjahr "Reformation und Toleranz" in Worms eröffnet/ Landesbischof Jochen Bohl: "Toleranz ist für Kirchen Lerngeschichte

Geschrieben am 31-10-2012

Hannover (ots) -

Sperrfrist: 31.10.2012 18:00
Bitte beachten Sie, dass diese Meldung erst nach Ablauf der
Sperrfrist zur Veröffentlichung freigegeben ist.

Mit einem Gottesdienst und einer anschließenden Eröffnungsfeier
ist am heutigen Reformationstag das Themenjahr "Reformation und
Toleranz" eröffnet worden. Das Thema "Toleranz" sei auch für die
Kirchen der Reformation eine "Lerngeschichte", sagte Landesbischof
Jochen Bohl, der stellvertretende Vorsitzende des Rates der
Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), bei dem Festakt in der
Wormser Dreifaltigkeitskirche.

"Waren es zuerst die reformatorischen Kirchen, die verfolgt und
bedroht wurden, wurden diese später selbst zu Verfolgerinnen anderer
Überzeugungen, so der Leitende Geistliche der sächsischen
Landeskirche. Toleranz sei eben damals noch kein allgemeiner Wert
gewesen. Der Weg zum heutigen Verständnis von Religionsfreiheit war
lang und musste teilweise gegen den Widerstand der Kirchen erkämpft
werden. Auf der anderen Seite dürfe nicht übersehen werden, dass die
Ideale der Aufklärung sich auch aus biblischen Quellen speisten.

Heute seien die Kirchen in Deutschland mehr denn je
herausgefordert, nicht nur eine "interkonfessionelle", sondern auch
eine "interreligiöse" Toleranz zu üben. Die Gesellschaft erwarte zu
Recht eine "Vorreiterrolle" der Religionen in Blick auf ein
"friedliches und gerechtes Miteinander". Toleranz dürfe deshalb nicht
mit "Indifferenz", sondern mit "bewusst gelebter und akzeptierter
Differenz" einhergehen, so der stellvertretende Ratsvorsitzende
abschließend.

In ihrer Predigt im Gottesdienst über Galater 5, 1-5, hatte Margot
Käßmann zuvor Rolle und Funktion der christlichen Freiheit
beleuchtet. Die Botschafterin des Rates der EKD für das
Reformationsjubiläum 2017 betonte, dass der "Gedanke der Freiheit"
für die Kirche der Reformation von "zentraler Bedeutung" sei.

Käßmann nahm dabei Bezug auf Luthers berühmte Schrift "Von der
Freiheit eines Christenmenschen" aus dem Jahre 1520 und sagte: "Die
Freiheit eines Christenmenschen ist einerseits ganz ohne
Voraussetzung. Schlicht geschenkte Freiheit. Und doch ist sie nicht
ohne Folgen. Diese Freiheit berührt zuallererst Glaubensfragen, jeder
Zwang wird hier abgewehrt. Daraus entsteht die Freiheit des
Gewissens, die sich dann als verantwortliche Freiheit im persönlichen
und öffentlichen Leben umsetzt." Deshalb, so Käßmann weiter, sei
"Freiheit im evangelischen Sinne" nie der "Libertinismus", mit dem
Freiheit heute allzu oft verwechselt werde und "nie liberal im Sinne
von absoluter Individualität", denn recht verstandene Freiheit wisse
sich stets bezogen auf Gemeinschaft.

An dem Gottesdienst und dem Festakt in Worms nahmen neben dem
stellvertretenden Ratsvorsitzenden der EKD, Landesbischof Jochen
Bohl, und EKD-Botschafterin Margot Käßmann auch der Kirchenpräsident
der Evangelische Kirche in Hessen und Nassau, Volker Jung, sowie der
Mainzer Kardinal Karl Lehmann und Ministerpräsident Kurt Beck teil,
die beide ein Grußwort sprachen. Den Festvortrag unter dem Titel
"Entwicklung von Identität und Toleranz als ständige kulturelle
Herausforderung" hielt Bundesinnenminister Hans Peter Friedrich.

Hannover, 31. Oktober 2012

Pressestelle der EKD

Reinhard Mawick

SPERRFRIST: 31. Oktober 2012, 18:00 Uhr

Es gilt das gesprochene Wort!

Gottesdienst anlässlich des Reformationsfestes 2012 und zur
Eröffnung des "Jahres der Toleranz"

Predigt Prof. Dr. Dr. h.c. Margot Käßmann, Botschafterin des Rates
der EKD für das Reformationsjubiläum 2017 Predigttext Galater 5, 1-6
Dreifaltigkeitskirche Worms 31. Oktober 2012, 18:00 Uhr

Liebe Gemeinde,

vor zwei Jahren war ich in den USA zum Schabbat in eine
jüdisch-orthodoxe Gemeinde eingeladen. Im Gottesdienst wurde ein
kleiner Junge beschnitten. Männer und Frauen waren durch eine
Absperrung getrennt, wir schauten also aus der Ferne zu. Der kleine
Junge wurde vom Rabbiner auf den Schoß genommen. Der für das
Beschneiden ausgebildete Mann der Gemeinde öffnete die Windel,
entfernte die Vorhaut. Der Säugling schrie, alle klatschten und
freuten sich. Ein mir sehr fremdes Ritual. Als ich amerikanischen
Freunden am nächsten Abend davon erzählte, habe ich gelernt, dass es
in den USA üblich war, jeden Jungen zu beschneiden, das war schlicht
Routine in den Krankenhäusern. Jüdische und muslimische Eltern
mussten explizit darum bitten, das nicht zu tun, um das Ritual in der
Synagoge oder in der Moschee oder im Familienkreis durchzuführen,
heute werden die Eltern gefragt, ob sie zustimmen. Der
durchschnittliche Amerikaner meines Alters aber ist beschnitten. Das
war mir neu und überraschend, aber an den Apostel Paulus habe ich
dabei nicht gedacht, obwohl ich über die Verse aus dem Galaterbrief,
die heute Predigttext sind, schon oft gepredigt habe. Interessant,
wie das Thema Beschneidung durch ein einziges Gerichtsurteil auf
einmal ganz konkret relevant, ja brisant geworden ist. Insofern zeigt
sich erneut: die Texte der Bibel sind nie ausgelesen, sie erzeugen
immer wieder neue Relevanz und Aktualität. Aber schauen wir erst
einmal, in welcher Situation Paulus schreibt. Oja, es gab Streit in
derfrühen Kirche, der Galaterbrief stammt aus dem Jahr 55, wurde also
nur rund 22 Jahre nach dem Tod Jesu geschrieben. Keine lange Zeit
eigentlich, weniger als die Maueröffnung jetztzurückliegt. Aber wir
wissen ja sehr wohl, wie intensiv in so wenigen Jahren diskutiert
werden kann, allein schon die Erinnerung ist sehr verschieden. Von
Anfang an also wurde um den Glauben gerungen, gab es Differenzen und
Auseinandersetzung um den richtigen Weg. Fast schon beruhigend, denke
ich, der Streit um die Wahrheit ist offenbar Teil christlicher
Gemeinschaft. Es ging darum, ob jemand erst Jude werden müsse, um
Christ zu werden. Paulus war vehement dafür eingetreten, dass
Menschen aus allen Völkern durch Jesus Christus den Weg zu Gott
finden können. Sie müssen dafür keine Vorleistung bringen, auch nicht
erst zum Judentum konvertieren und das als Männer durch Beschneidung
dokumentieren. Auch die jüdischen Speisegebote müssen aus seiner
Sicht nicht befolgt werden. Paulus ist überzeugt: es gibt keine
gesetzlichen Vorleistungen für den Glauben. Einige aus der
Jerusalemer Gemeinde, darunter Jakobus und Petrus, waren offenbar
anderer Ansicht, obwohl man sich im so genannten "Apostelkonvent" im
Jahr 48 darauf geeinigt hatte, dass es keine Auflagen geben könne für
Menschen, die zum Christentum konvertieren. In dieser Situation
argumentiert Paulus vehement für die Freiheit. Drei reformatorische
Themen sind hier angesprochen: FREIHEIT Zuallererst geht es Paulus
darum, dass für den Glauben die Frage der Beschneidung absolut
zweitrangig ist. Für den christlichen Glauben wohlgemerkt, dies kann
kein Urteil darüber sein,wie Juden oder Muslime empfinden oder zu
empfinden haben. Paulus ist überzeugt, dass es keine Voraussetzungen
geben kann, zum Glauben zu finden. Niemand muss erst dies oder das
leisten, um vor Gott bestehen zu können. Gottes Lebenszusage gilt. Da
ist nicht der strafende alte Mann, der mit erhobenem Zeigefinger auf
die Menschen schaut und mit Höllenqualen droht dem Mann der versagt,
der Frau, die scheitert. Nein, auch im Scheitern, mit all unseren
Problemen und Fragen, auch mit Versagen und Schuld dürfen wir vor
Gott treten. Christlicher Glaube ist keine Leistungsreligion. Es geht
um die Lebenszusage, dass Gott mich ansieht und den Sinn meines
Lebens schon bestimmt, bevor ich irgendetwas tun kann. Das bezeichnen
wir als "Gnade". Darum beispielsweise taufen wir Säuglinge, weil so
deutlich wird: auch wenn ich noch gar nichts tun oder leisten
kann,bin ich von Gott in Liebe angenommen. Es war diese Erkenntnis,
die für das theologische Denken Martin Luthers den entscheidenden
Durchbruch anbahnte: Zur Freiheit hat uns Christus befreit! Freiheit
ist der Grundbegriff der Reformation. Luther hat eine ungeheure
innere Freiheit erfahren, als ihm klar wurde, dass weder Papst noch
Kaiser, weder Sünde noch Gesetze ihn von Gott trennen können. In
dieser Überzeugung konnte er hier in Worms vor den Reichstag treten.
Gott ist schon da. Gottes Hand ist schon ausgestreckt. Von der Bibel
her hat Luther dieses Gottesverständnis entwickelt. Deshalb ist für
uns als Evangelische das "sola scriptura", die Schrift allein, von so
zentraler Bedeutung. Es geht Luther darum, nicht einen von der Kirche
schon reflektierten, in Bahnen und Dogmen gelenkten Glauben zu
übernehmen, sondern die Menschen mündig werden zu lassen. Selbst
nachlesen dürfen sie, Schulen hat er gegründet, ein Bildungsvorgang
ungeheuren Ausmaßes wurde in Gang gesetzt. Der Gedanke der Freiheit
war und ist für die Kirche der Reformation von zentraler Bedeutung.
In seiner Schrift "Von der Freiheit eines Christenmenschen" hat
Martin Luther das bis heute auf bemerkenswerte und anregende Weise
ausgeführt. Die Spannung zwischen seinem Satz "Ein Christenmensch ist
ein freier Herr über alle Dinge und niemand untertan" und dem anderen
"Ein Christenmensch ist ein dienstbarer Knecht aller Dinge und
jedermann untertan" ist dabei wegweisend. Die Freiheit eines
Christenmenschen ist einerseits ganz ohne Voraussetzung. Schlicht
geschenkte Freiheit. Und doch ist sie nicht ohne Folgen. Diese
Freiheit berührt zuallererst Glaubensfragen, jeder Zwang wird hier
abgewehrt. Daraus entsteht die Freiheit des Gewissens, die sich dann
als verantwortliche Freiheit im persönlichen und öffentlichen Leben
umsetzt. Freiheit im evangelischen Sinne ist deshalb nie der
Libertinismus, mit dem Freiheit heute allzu oft verwechselt wird, sie
ist nie die Banalisierung und Trivialisierung von Werten und
Standpunkten. Nein, um Verantwortung geht es und um Bindung an Gottes
Wort. Freiheit im evangelischen Sinne ist deshalb auch nie liberal im
Sinne von absoluter Individualität, sondern sie weiß sich bezogen auf
Gemeinschaft. Luthers Freiheitsbegriff hat in der Tat zu mancher
Freiheit heute geführt. "Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit" als
Schlagwort der französischen Revolution haben im Gedanken der
Freiheit eines Christenmenschen durchaus Wurzeln. Selbst denken,
selbst urteilen, Meinungs-, Rede-, und Gewissensfreiheit - das sind
reformatorische Errungenschaften, die gerade in ihrer Entwicklung
durch die Aufklärung manches Mal durchaus gegen die Institution
Kirche erkämpft werden mussten. Was ein solches Gottesbild bedeutet,
begreifen schon Kinder. Es gibt die schöne Geschichte von einem
Pfarrer, der sich maßlos ärgert, wie ständig Äpfel vom Baum im
Pfarrgarten gestohlen werden. Er stellt ein Schild auf: "Gott sieht
alles!" Da ist er, der drohende, strafende Gott. Die Kinder hatten
offenbar guten Religionsunterricht. Sie schreiben darunter: "Aber
Gott petzt nicht!" Ein schönes Bild. Gott sieht alles, in der Tat.
Vor Gott können wir nicht verbergen, wer wir sind und was wir tun.
Aber Gott hält und trägt uns, auch da, wo wir Gebote überschreiten.
Nein, eine Aufforderung zum schlechten Tun ist das gewiss nicht. Aber
eine Ermutigung, hinzuschauen, wo wir scheitern und schuldig werden.
Und immer wieder neu anfangen dürfen. Wie schrieb Martin Luther in
einem Brief an Philipp Melanchthon 1521: "Esto peccator et pecca
fortiter, sed fortius fide et gaude in ChristoM!" - "Sei ein Sünder
und sündige kräftig, aber vertraue noch stärker und freue dich in
Christus"!" STREIT UMD DIE WAHRHEIT Beschneidung ja oder nein - es
geht ja in der Tat um eine Frage, die in der aktuellen Diskussion
nicht so leicht zu entscheiden ist! Hier ist das Kindeswohl, das wir
zu achten haben! Da die Religionsfreiheit, die bitter erkämpft wurde.
Hier die Aussagen von Kinderärzten, die Traumatisierungen
dokumentieren. Da die Frage, ob Juden und Muslime ihre Rituale nach
eigener Tradition praktizieren können. Es ist heikel, zu
argumentieren und sofort schlagen die Emotionen hoch. Wie urteilen?
Nein, diese Predigt wird keine Antwort liefern. Christliche Ethik
kennt diese Argumentationsdilemmata. Und der reformatorische Glaube
gibt in ethischen Fragen gerade nicht als Dogma vor, was der einzelne
Christ zu glauben hat, welche Position für eine einzelne Christin die
allein vertretbare wäre. Er hält vielmehr die Differenz aus! Das
führt zu einem Vorwurf, der den Evangelischen oft gemacht wird: nicht
eindeutig genug. Da klingt schon Thomas Müntzer im Ohr, der Luther
ein "Sanftleben aus Wittenberg" beschimpfte,weil er nicht klar genug
auf den Seiten der Bauern stand. Und das kennen wir doch auch in
unserer Zeit: Afghanistaneinsatz: Ja oder Nein? Homosexuelle
Lebenspartnerschaften im Pfarrhaus: Ja oder Nein?
Präimplantationsdiagnostik: Ja oder Nein? Oder, das wissen Sie Herr
Innenminister aktuell: Asyl für Sinti und Roma aus Südosteuropa: Ja
oder Nein? Kaum ist ein ethisches Thema auf dem Tisch, gibt es
heftigste, auch emotionale Debatten und unterschiedliche
Schlussfolgerungen, was denn für die Evangelischen eine Haltung sei.
Die Reformation legt die Entscheidung nicht in die Hand von Dogmen,
Kirche, Bischöfen oder einer Glaubensinstanz. Nein: das einzelne
Gewissen soll geschärft werden. Ich muss, ich soll selbst denken! Und
dann die Entscheidungen verantworten, die ich fälle. Luther
übersetzte die Bibel in die deutsche Sprache, damit Menschen selbst
lesen können. Im Brief an den christlichen Adel deutscher Nation
forderte er die Fürsten auf, Schulen für alle, Volksschulen zu
gründen, damit jeder Junge und jedes Mädchen lesen lerne. Die
Reformation war auch eine Bildungsinitiative. Und das gilt doch auch
heute: Du bist gefragt! Lass dir nichts vorsetzen! Oder wie das
Friedrich Siegmund Schultze ausgedrückt hat, lass dich nicht in die
Verantwortungslosigkeithinein schläfern! Den "Streit um die Wahrheit"
aushalten, das ist Bestandteil evangelischer Lehre. Und die
Verschiedenheit der Position zu ertragen, das ist Realität in den
evangelischen Kirchen der Welt. Es ist nicht immer leicht, damit
umzugehen. Einfacher ist es schon, wenn die Antwort mir vorgelegt
wird. Da muss ich nicht mehr viel fragen. Leichter ist es auch, wenn
ich mich nicht der Kritik anderer stellen muss, denn wer einen
Standpunkt vertritt, macht sich angreifbar. Da ist so manchem Ruhe
lieber und so manches kirchliche Statement wird so lange abgewogen,
bis es keine Angriffsfläche mehr zeigt. Reformatorischer Glaube heißt
auch, es wagen, eine Position zu beziehen. Und es wagen, sie
vielleicht verändern zu müssen, weil ich neue, andere Einsichten
gewinne. Unsere Kirchen werden daher manches Mal für allzu bunt und
vielfältig, gar wankelmütig gehalten. Das ist ein großes
Missverständnis! Vielfalt ist das größere Wagnis gegenüber
Vereinheitlichung. Es ist der Mut, zu erkennen, dass Glaube immer
wieder neu gelebt werden muss. Denn das zeigt uns doch die Bibel
selbst: diejenigen, die in ihr den Glauben bezeugen, haben durchaus
unterschiedliche Positionen. Aber es ist der eine Glaube. Und: gar
Gott selbst kann sich verändern, kann wie im Buch Jona den
Vernichtungswillen gegenüber Ninive zurücknehmen. Kann Ohnmacht
erfahren im Kreuzestod Jesu. Kann Menschen, die irren und zaghaft
sind, wie Petrus und auch Paulus, seine Botschaft anvertrauen.
TOLERANZ Tolerare heißt ertragen. Aber muss alles ertragen werden?
Müssten wir nicht manches Mal "auf den Putz hauen"? Luther hätte es
doch gewiss getanM Nein, für eine Position der Toleranz können wir
Martin Luther nicht heranziehen, die ersten Reformatoren insgesamt
nicht. Luther wetterte gegen die Papisten, die Juden, die Türken auf
eine uns heute unerträgliche Weise. "politically correct" war das
keinesfalls. Aber die Kirche der Reformation sollte sich ja ständig
weiter reformieren. Und so haben wir begriffen, dass allzu heftiges
Selbstbeharren nicht zum Frieden führt, dass Konfessionskriege gar
die biblische Botschaft verdunkeln. Die Reformatoren haben
beispielsweise die Täuferbewegung geradezu verraten. Und allzu lange
hat es gedauert, bis es endlich zu einer Versöhnung mit den
Mennoniten kam, die die Täuferbewegung als ihre geistlichen Vorfahren
sehen. 2010 bat der Lutherische Weltbund um Vergebung für die
Verfolgung der sogenannten Wiedertäufer im sechzehnten Jahrhundert,
auch dafür, dass das erlittene Leid später vergessen und ignoriert,
ja manches Mal auf geradezu verletzende Weise dargestellt wurde.
Diese Bitte um Vergebung wurde in einem Bußgottesdienst angenommen -
ein bewegender Akt der Versöhnung über die Geschichte der
Jahrhunderte hinweg. Toleranz heute aber ist die größte
Herausforderung mit Blick auf den Dialog der Konfessionen,der
Religionen und auch der Kulturen. Die Geschichte eines Baumes gibt da
Hoffnung. Letzten Monat war ich auf dem Gelände der Gedenkstätte für
die Opfer der Anschläge vom 11. September 2001 in New York. Wo einst
die Türme der Twin Towers standen, rauschen in die Grundrisse hinein
jetzt über neun Meter Wasserfälle - ein auf gute Weise ruhiges
Gedenken mitten in der tosenden Stadt. Dazu wurden hunderte Eichen
gepflanzt. Zwischen ihnen steht eine einzelne chinesische Wildbirne,
die als "Überlebensbaum" bezeichnet wird. Der Baum stand seit den
70er Jahren auf der Plaza des World Trade Centers, Arbeiter fanden
den Stumpf während der Aufräumungsarbeiten. Er wurde in einem Park
gesund gepflegt und steht heute auf dem Gelände des Gedenkens. Ein
Symbol der Hoffnung. An diesem Ort trauern Menschen aller Nationen,
verschiedenster Herkunft, unterschiedlicher Religion. Es ist ein Ort,
an dem wir studieren können: so einfach ist es nicht mit dem "DIE"
und "WIR". Toleranz meint zum einen nicht Gleichgültigkeit nach dem
Motto, jeder Mensch möge nach der eigenen Façon selig werden. Das
heißt: Toleranz bedeutet Interesse am anderen, am Gegenüber, etwa an
der anderen Religion oder auch am Nicht-Glauben. Und: Toleranz heißt
nicht Grenzenlosigkeit. Wahre Toleranz wird ihre Grenze an der
Intoleranz finden. Das heißt, Toleranz bezeichnet keine statische
Haltung, sondern sie meint ein dynamisches Geschehen auf
Gegenseitigkeit. Tolerare, Verschiedenheit ertragen, darum geht es
schon Paulus. Die Kirche der Reformation ist da in die Irre gegangen,
wo sie das aus den Augen verloren hat. Etwa in Luthers Judenschriften
- es ist schwer, sie heute zu lesen. Da ist er einen fatalen Irrweg
gegangen und hat die Kirche, die sich nach ihm benannt hat auf einen
entsetzlichen Pfad gelenkt. In der Zeit des Nationalsozialismus hat
sich das im Versagen mit Blick auf den Schutz der Menschen jüdischen
Glaubens in Deutschland auf entsetzliche Weise gerächt. So ist es
gut, wenn wir heute ein Themenjahr "Reformation und Toleranz"
eröffnen. Oja, das wird Streit und Auseinandersetzung geben. Zwischen
Konfessionen und Gemeinden, mit Blick auf Theologie und
Kirchengeschichte, gewiss auch mit Blick auf aktuelle Frage wie die
Beschneidungsdebatte. Aber das ist gut evangelisch, nein gut
christlich, dieses Ringen um die Wahrheit. Der Brief des Apostels
Paulus an die Galater macht deutlich: das war so. Von Anfang an. Wir
stehen also in guter Tradition. Wagen wir die Debatte, ja den Streit
um die Wahrheit! In diesem Sinne wünsche ich uns allen einen
gesegneten Reformationstag. Amen.



Pressekontakt:
Evangelische Kirche in Deutschland
Reinhard Mawick
Herrenhäuser Strasse 12
D-30419 Hannover
Telefon: 0511 - 2796 - 269
E-Mail: reinhard.mawick@ekd.de


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