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Börsen-Zeitung: Systemisches Risiko 3.0, Börsenkommentar "Marktplatz" von Georg Blaha

Geschrieben am 25-02-2011

Frankfurt (ots) - Eine ganze Woche lang schien die Welt im Bann
eines neuen Ölpreisschocks zu stehen. Kaum dass die Märkte die
Unsicherheit der politischen Wende in Ägypten verdaut hatten,
flammten in Libyen blutige Unruhen auf. Anders als in Ägypten gibt es
hier keinen friedlichen Übergang. Loyale Teile der Armee und
Söldnertruppen von Staatschef Muammar al-Gaddafi schießen Berichten
zufolge auf Gegner, die Opferzahl dürfte in die Tausende gehen. In
Libyen tätige Ölkonzerne wie Total, Eni und OMV stellen ihre
Produktion in dem für Europa wichtigen Förderland ein oder reduzieren
sie stark. Schätzungen des Förderausfalls liegen zwischen 25 und 50%.
Die bürgerkriegsähnlichen Zustände und Sorgen um den Ölnachschub
ließen den Preis der Sorte Brent am Donnerstag um fast 10% auf 119,79
Dollar bzw. ein 30-Monats-Hoch schnellen. Der rasche Anstieg sendete
Schockwellen an alle anderen Märkte.

Zum Ende der Woche hat eine gewisse Beruhigung eingesetzt.
Saudi-Arabien erklärte sich bereit, seine Produktion hochzufahren, um
die Lieferausfälle Libyens auszugleichen. Unterdessen sicherten die
Aufständischen, die mittlerweile den Osten des Landes und zahlreiche
Förderanlagen kontrollieren, zu, die Öllieferverträge mit dem Westen
einzuhalten. An den Finanzmärkten zeigte sich die Beruhigung an
schwächer tendierenden klassischen Flucht-Assets wie Gold, Schweizer
Franken und Bundesanleihen.

Für die Märkte sollte das Thema damit aber noch nicht abgehakt
sein. Vielmehr verdeutlichen die politischen Umwälzungen und Unruhen
in Nordafrika und im Nahen Osten ein weiteres Mal, wie stark vernetzt
die Welt ist. Was mit Protesten in Tunis begann, setzte sich in Kairo
fort und erreichte schließlich Tripolis. Auch in den umliegenden
Staaten und Regionen äußert die Bevölkerung ihren Unmut immer
öffentlicher und lauter. Mit Blick auf die Marktreaktionen lässt sich
eine aufsteigende Tendenz beobachten. Während im Fall von Tunesien
noch keinerlei Auswirkungen auf die Märkte zu erkennen waren, zeigten
sich in den folgenden Krisen weit höhere Ausschläge.

So wie es aussieht, werden Marktteilnehmer künftig stärker auf
zusammenhängende politische Risiken achten müssen. Das derzeit zu
beobachtende Phänomen von übergreifenden politischen Unruhen in
Schwellenländern mit Demokratiedefiziten lässt sich für die
Finanzmärkte vielleicht mit der Formel "Systemisches Risiko 3.0"
zusammenfassen. Die Version 1.0 bezog sich auf die weltweite Banken-
und Finanzkrise. Variante 2.0 zeigte im Euroraum, dass die
Schuldenprobleme von ein oder zwei Staaten durch grenzüberschreitend
tätige Banken und die Währungsunion eine ganze Region ins Wackeln
bringen können. Das Upgrade 3.0 schließlich trägt das Staatenrisiko
weiter als ursprünglich vermutet und bedroht über die Stellschraube
Ölpreis die Konjunktur der Weltwirtschaft.

Ein Risiko ist die neue politische Dynamik in den ölreichen
Regionen, weil sich ihre Auswirkungen nicht bestimmen lassen. Von
"systemisch" kann man deshalb sprechen, weil sich in den betroffenen
Ländern ähnliche Strukturen (ungleich verteilter Reichtum,
despotische Herrscherfamilien) finden und vor allem weil die
Querverbindungen und Ansteckungswege unberechenbar sind. Dass all
dies keine graue Theorie ist, beweist gerade Saudi-Arabien: Das
Königreich reagiert auf die Unruhen in Libyen und im benachbarten
Bahrain mit überraschenden Geldgeschenken an seine Bürger in Höhe von
35 Mrd. Dollar. Oppositionelle Gruppen wollen dennoch in der
Hafenstadt Dschidda demonstrieren.

Dass die Märkte bislang nicht noch stärker auf die Umwälzungen in
der Region reagieren, muss nicht unbedingt beruhigen: Marktteilnehmer
orientieren sich lieber an dem, was für sie greifbar und
quantifizierbar ist. Das ist die Krise im Nahen Osten und in
Nordafrika (noch) nicht. Kurzfristig dürften die Ereignisse der
Region mit einer Risikoprämie das Wachstum in diesem Jahr dämpfen.
Langfristig gibt es bei aller Unsicherheit und Gefahr jedoch auch
Hoffnung. Anders als bei Systemrisiko 1.0 und 2.0 bietet Version 3.0
nicht ausschließlich Abwärtsrisiken für die Märkte, sondern vielmehr
eine großartige Chance: Dass Freiheit und wirtschaftliche Prosperität
für größere Bevölkerungsschichten in einer in dieser Hinsicht zu kurz
gekommenen Region der Weltwirtschaft neue Wachstumsimpulse geben.

(Börsen-Zeitung, 26.2.2011)



Pressekontakt:
Börsen-Zeitung
Redaktion

Telefon: 069--2732-0
www.boersen-zeitung.de


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