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Bergbau-Anpassung lief im Ruhrgebiet eher zu schnell als zu langsam

Geschrieben am 27-10-2006

Essen (ots) -

Eine neue Studie des Regionalverbands Ruhr (RVR) über die
Entwicklung der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten im
Ruhrgebiet zeigt für das Ruhrrevier, was eine Studie der Sheffield
Hallam University für Großbritannien noch eingehender untersucht hat
(s. auch FAA 34: "Forcierter Abbau von Steinkohlesubventionen -
Lehren aus Großbritannien"): Die vom Rückgang des Steinkohlenbergbaus
verursachten gravierenden Arbeitsplatzverluste können weder kurz-
noch mittelfristig kompensiert werden und belasten die betroffenen
Regionen langfristig. Konkret: Die Arbeitsmarktentwicklung im
Ruhrgebiet hat sich vom übrigen Landestrend in NRW abgekoppelt. Trotz
Zuwächsen in einzelnen Bereichen gingen zwischen 1999 und 2004 im
Ruhrgebiet insgesamt fast 74.000 Stellen verloren. 17.000 verloren
gegangene Arbeitsplätze entfallen dabei allein auf den Bergbau. Aus
dieser Entwicklung kann der Schluss gezogen werden, dass eine
Beschleunigung des Anpassungsprozesses im heimischen
Steinkohlenbergbau noch massivere Folgen hätte. Anders ausgedrückt:
Der Strukturwandel im Ruhrgebiet ist bislang eher zu schnell als zu
langsam abgelaufen, denn neue Jobs konnten bei weitem nicht so
schnell geschaffen werden wie bisherige Arbeitsplätze weggefallen
sind.

Die RVR-Studie "Struktur und Entwicklung der
sozialversicherungspflichtig Beschäftigten im Ruhrgebiet" wurde im
September 2006 veröffentlicht
(www.rvr-online.de/medien/aktuelles/rvr-studie.shtml). Sie basiert
mit ihrem Untersuchungszeitraum von 1980 bis 2004 auf den Daten der
15 kreisfreien Städte und Kreise des Ruhrgebiets, die im Lokalen
Informationssystem Arbeitsmarkt (LISA) gesammelt und seit 1978 vom
RVR ausgewertet werden.

Sie kommt zu dem Ergebnis, dass die Branche der
unternehmensorientierten Dienstleistungen derzeit der größte Jobmotor
im Ruhrgebiet ist. Von 1999 bis 2004 wurden in dem Bereich über
22.700 neue Arbeitsplätze geschaffen. Weitere Beschäftigungszuwächse
gab es u.a. in den Bereichen Erziehung und Unterricht, Gesundheits-
und Sozialwesen sowie Datenverarbeitung. Die größten
Beschäftigungsverluste verzeichnen demgegenüber das Baugewerbe
(-29.400) vor dem Bergbau und der Metallerzeugung und -bearbeitung
(-12.200). Massive Beschäftigungsverluste gab es aber auch im
Dienstleistungsbereich, so insbesondere einen hohen Arbeitsplatzabbau
im Einzelhandel, der im Ruhrgebiet ebenfalls stärker ausgeprägt
gewesen ist als in den übrigen Landesteilen von NRW.

Zum 30. Juni 2004 - dem Untersuchungsstichtag - gab es im
Ruhrgebiet knapp 1,5 Millionen sozialversicherungspflichtig
Beschäftigte. Das waren 15,3 % weniger als 1980 und 4,7 % weniger als
1999. Absolut sind seit 1999 trotz der genannten partiellen
Stellenzuwächse in der Summe 73.846 Arbeitsplätze im Ruhrgebiet
verloren gegangen. Im übrigen NRW gab es dagegen einen Anstieg der
Beschäftigtenzahl im Vergleich zu 1980 um 6,5 %, gegenüber 1999
dagegen ebenfalls einen Rückgang der Beschäftigung um 2,4 %. Der
seit Jahrzehnten kontinuierliche Beschäftigungsabbau im Ruhrgebiet
verlief somit auch in den letzten Jahren, d.h. zwischen 1999 und
2004, mit -4,7 % noch schneller als im Rest des Landes.

Anders als vielfach behauptet können also die
Beschäftigungszuwächse im sog. tertiären Sektor die Stellenverluste
des Produzierenden Gewerbes im Ruhrgebiet auch längerfristig nicht
kompensieren, zumal mit den industriellen Arbeitsplätzen
typischerweise auch produktionsnahe Dienstleistungen und
Beschäftigung in der sonstigen Mantelwirtschaft verknüpft sind. Ohne
Industrie fehlt die Basis für hinreichende Wertschöpfung und
Innovation. Die RVR-Studie belegt eine im Vergleich zu den übrigen
Regionen von NRW überdurchschnittliche Rückgangsrate im
Produzierenden Gewerbe des Ruhrgebiets (-53,4 % seit 1980, im übrigen
NRW -31,4 %) sowie eine nur unterdurchschnittliche Steigerungsrate im
Dienstleistungsbereich (+32,2 % seit 1980, übriges NRW +49,4 %). Auch
wenn das Ruhrgebiet längst nicht mehr eine ausgeprägte
Industriearbeiterregion ist - der Strukturwandel hat es bislang nicht
geschafft, "alte" Arbeitsplatzstrukturen vor allem aus der
Montanindustrie durch "neue" zu ersetzen. Der Anteil des Ruhrgebiets
an allen sozialversicherungspflichtig Beschäftigten in NRW ist - so
belegt es die RVR-Studie - von 31,3 % im Jahr 1980 auf 26,6 % in 2004
zurück gegangen. Der ehedem überproportionale Anteil der
Beschäftigten im Produzierenden Gewerbe liegt hier inzwischen unter
dem Landesdurchschnitt. Die 2004 im Ruhrgebiet noch direkt im Bergbau
Beschäftigten - rund 27.000 - machten noch knapp 2 % aller hier
Beschäftigten aus. Allerdings gibt es nach den letzten
wissenschaftlichen Untersuchungen im Ruhrrevier mindestens noch
einmal so viele bergbauabhängige Arbeitsplätze im wirtschaftlichen
Umfeld. Diese gehen mit dem Bergbau zurück, so dass hier wie anderswo
mit den Industriearbeitsplätzen auch die davon lebenden Arbeitsplätze
im Dienstleistungsbereich verloren gehen.

Zu konstatieren ist - und darauf weist die RVR-Studie u.a. in
einem eigenen Anhang hin: Gerade die (politisch gewollten und bisher
einvernehmlich sozialverträglich gestalteten) Arbeitsplatzverluste im
heimischen Steinkohlenbergbau haben noch immer eine erhebliche
wirtschaftliche und beschäftigungspolitische Bedeutung für das
Ruhrgebiet. Denn gerade für die Städte und Kreise mit
Bergbaustandorten wirkt sich der Anpassungsprozess besonders
gravierend aus, zumal der Bergbau hier vielfach noch immer zu den
lokal größten Arbeitgebern zählt.

Zu bedenken ist ebenso: Im Zeitraum 1999 bis 2004 sind die
Steinkohlesubventionen in Deutschland um jährlich rd. 1,6 Mrd. Euro
verringert, also schon massiv abgebaut worden - mehr als jede andere
Subvention hierzulande. Speziell für das Ruhrrevier führte das zu
einem Rückgang der Steinkohlenförderung von 31,1 Mio. t auf 17,8 Mio.
t, also um über 40 %. Rein regionalwirtschaftlich bedeutete das einen
Rückgang im Mittelzufluss von rd. 1,2 Mrd. Euro. Es ist klar, dass
ein solcher Aderlass auf die Region tief greifende ökonomische
Auswirkungen hatte und weitere Anpassungen zu ähnlichen
Verlusteffekten am Arbeitsmarkt führen werden. (Eine neue
Untersuchung von Prognos wird demnächst über die regionalökonomischen
Auswirkungen von Stilllegungen im Steinkohlenbergbau auf NRW und das
Ruhrgebiet genaueren Aufschluss geben.)

Wie schon die o.g. Studie aus Großbritannien zeigt auch die neue
RVR-Studie, dass selbst ein schrittweiser und gesteuerter Abbau der
Bergbaustellen nicht kompensiert und auch nur mühsam aufgefangen
werden kann. Für die lokale Beschäftigungsentwicklung und die lokalen
Arbeitsmärkte sind Zechenstilllegungen nach wie vor eine dramatische
Belastung. In Gelsenkirchen beispielsweise beträgt die
Arbeitslosenquote fast 20 %. Eine weitere Beschleunigung dieses
Prozesses hätte damit für weite Teile des Ruhrgebiets unabsehbare
negative Folgen - die Beispiele einer solchen Fehlentwicklung können
heute noch in Teilen der englischen Bergbauregionen besichtigt
werden, die in der Sheffield-Studie genau benannt werden. Dagegen
zeigt die RVR-Studie, dass entgegen landläufigen Vorurteilen über das
angeblich negative Image vom "Kohlenpott" etwa am größten
Bergbaustandort Westeuropas - in Bottrop (Bergwerk Prosper-Haniel und
Kokerei Prosper) - zugleich eine überdurchschnittliche Zuwachsrate im
Gastgewerbe verzeichnet wird.

Fazit: Die Flexibilität der regionalen Arbeitsmärkte im Ruhrgebiet
ist angesichts des Tempos und der Dimension des Strukturwandels bei
weitem nicht so groß wie von manchen gewünscht, geschätzt oder gar
behauptet wird. Das hat viele Gründe und die Wirkungszusammenhänge
werden unterschiedlich beurteilt. Doch mit Blick auf die tatsächliche
regionale Anpassungsfähigkeit kann man ohne weiteres sagen, dass der
Anpassungsprozess im Steinkohlenbergbau des Ruhrreviers bisher nicht
zu langsam, sondern zu schnell abgelaufen ist und die
strukturpolitische Problematik sich verschärft hat. Denn die
jeweiligen lokalen Arbeitsmärkte und das Ruhrgebiet insgesamt haben
sich davon bei weitem noch nicht "erholt". Sie dürfen daher in den
nächsten Jahren schon gar nicht noch weiter überfordert werden, sonst
wächst die ohnehin überdurchschnittliche Arbeitslosigkeit im
Ruhrgebiet (Arbeitslosenquote im September 2006: 13,9 %, im Vergleich
dazu NRW: 10,9 %, Bund: 10,1 %) noch mehr.


Originaltext: GVST GV d. deut. Steinkohlebergbaus
Digitale Pressemappe: http://presseportal.de/story.htx?firmaid=54802
Pressemappe via RSS : feed://presseportal.de/rss/pm_54802.rss2

Pressekontakt:

Gesamtverband des deutschen Steinkohlenbergbaus
Andreas-Peter Sitte
Rellinghauser Str. 1
45128 Essen
Tel.: 0201/177-4320
Fax: 0201/177-4271
E-Mail: andreas-peter.sitte@gvst.de


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