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FZ: Interview der "Fuldaer Zeitung" mit Bundeswirtschaftsminister Rainer Brüderle (FDP)

Geschrieben am 13-06-2010

Fulda (ots) - Brüderle: "Keine Steuererhöhungen! Das gilt."

Der Wirtschaftsminister glaubt an den Fortbestand der Koalition,
fordert aber mehr Corpsgeist

Wenn er hört, mit welch harscher Kritik das Sparpaket der
Regierung übergossen wird, dann kann selbst der sonst so gelassen
wirkende Bundeswirtschaftsminister Rainer Brüderle (FDP) in Rage
kommen. "Das Paket ist beschlossen und fertig", erregt er sich. Am
Rande eines Termins in Künzell gab der 64-Jährige unserer Zeitung ein
Exklusiv-Interview, in dem er sich auch zu den Themen
Gesundheitsreform, Opel und Bundespräsidentenwahl äußerte. Die
Forderung des stellvertretenden FDP-Chefs an die eigene Koalition:
"Wir müssen nach einer gemeinsamen Melodie singen und vor allem auch
den gleichen Text."

Von unserem Redaktionsmitglied

Bernd Loskant

Frage: Herr Brüderle, ich kann mich nicht erinnern, dass in einer
Koalition der letzten 30 Jahre mal derart die Fetzen geflogen sind
wie derzeit. Angeblich sehnen sich in der CDU viele schon nach der
großen Koalition zurück. Wie nah steht die Bundesregierung am
Scheitern? Brüderle: Wir werden nicht scheitern, sondern unsere
Arbeit erfolgreich fortsetzen. Sehen Sie, wir befinden uns
schließlich in ungewöhnlich schwierigen Zeiten. Die weltweiten
Wirtschaftsprobleme sind nicht gelöst - und auch in Deutschland muss
es noch weiter bergauf gehen. Wir werden noch mindestens zweieinhalb
Jahre brauchen, bis wir wieder das Wohlstandsniveau von 2008 erreicht
haben. Auch die Finanzmarktkrise ist nicht gelöst. Wir haben bisher
im Wesentlichen stabilisiert. Für die Bundesregierung gibt es noch
jede Menge zu tun.

Frage: Umso wichtiger wäre es doch, dass alle an einem Strang
ziehen. Stattdessen Dissonanzen ohne Ende - und das von Anfang an.
Brüderle: Da gibt's nichts schönzureden: Der Start der
Bundesregierung war holprig. Brüderle: Wir müssen nach einer
gemeinsamen Melodie singen und vor allem auch den gleichen Text.

Frage: In der FDP sind viele mittlerweile sauer auf die CDU, weil
die sich nicht an Vereinbarungen des Koalitionsvertrages hält.
Brüderle: Der Corpsgeist muss von beiden Seiten gesteigert werden. Es
gibt immer wieder Querschüsse, die nicht hilfreich sind. Ich denke da
zum Beispiel an unser Energiekonzept und die vereinbarte
Laufzeitverlängerung von Kernkraftwerken. Wir müssen endlich
Entscheidungen treffen. Stattdessen wird vieles in der Diskussion
zerredet.

Frage: Die FDP ist in jüngsten Umfragen auf fünf Prozent gefallen
und müsste zum aktuellen Zeitpunkt bei einer Bundestagswahl um den
Einzug ins Parlament bangen. Was ist da schief gelaufen seit dem
Triumph im September? Brüderle: Es war vielleicht ein Fehler, dass
wir alle Probleme des Landes gleich zu Beginn der Regierungszeit
anpacken wollten. So wurde gar nicht richtig registriert, dass wir
zum 1. Januar die Menschen bereits um 24 Milliarden Euro entlastet
haben. Das waren zum Teil Beschlüsse der Vorgängerregierung, aber
darüber hinaus haben wir das Kindergeld erhöht und Korrekturen bei
Einkommen- und Erbschaftsteuer vorgenommen. Ferner haben wir den Weg
zu einer neuen Gesellschaftspolitik eingeschlagen: Wir wollen eine
andere Balance zwischen eigenverantwortlichen
Entscheidungsmöglichkeiten der Bürger und Kollektiventscheidungen des
Staates. Es ist doch ein Glücksfall, dass in dieser schwierigen Zeit
die Parteien in Deutschland keine Mehrheiten haben, die Heil in
staatlichen Mechanismen sehen.

Frage: Die FDP kann das aber nicht in Sympathien ummünzen und
bekommt bei der CDU kaum ein zentrales Wahlversprechen durch.
Beispiel Gesundheitsreform: Ihr Parteifreund Philipp Rösler hat sein
Schicksal mit der Einführung der Kopfpauschale verknüpft. Die liegt
nun auf Eis. Erschüttert schon bald ein weiterer Rücktritt das
politische Berlin? Brüderle: Minister Rösler hat deutlich gemacht,
wie wichtig ihm die Sache ist. Es gab in den vergangenen Jahren immer
nur Kostendämpfungsgesetze im Gesundheitswesen, keine echte Reform.
Dabei sind sich alle einig, dass das System intelligenter und
effizienter organisiert werden muss, auch um die Gesundheits- von den
Arbeitskosten zu entkoppeln. Wir müssen weg von der durch den
Gesundheitsfonds initiierten Verteilungsmechanik des Staates - hin zu
mehr Wettbewerbslösungen. Der Ansatz von Rösler ist sehr moderat,
federt soziale Härten ab. Wir müssen den Mut zur Reform haben. Denn
sonst führt das schon bald zu immensen Mehrkosten für die
Versicherten - oder zur Rationierung von Gesundheitsleistungen. Und
das wäre bei einer alternden Bevölkerung fatal.

Frage: Mit der CSU und Herrn Seehofer wird die Sache aber nicht zu
machen sein. Brüderle: In der Tat macht es uns Herr Seehofer nicht
einfach, aber ich erwarte, dass er zu den Vereinbarungen des
Koalitionsvertrages steht. Auch Herr Seehofer hat im
Koalitionsvertrag unterschrieben, dass wir diesen Weg gehen. Daran
muss er sich halten.

Frage: Im Koalitionsvertrag sind auch Steuersenkungen vereinbart.
Jetzt sind alle großspurigen Forderungen der FDP vom Tisch, auch von
einem einfacheren und gerechteren Steuersystem spricht niemand mehr.
Brüderle: Doch! Wir arbeiten fest an einem einfacheren und
gerechteren System. Ich gebe zu: Eine Vereinfachung, zum Beispiel
Sondertatbestände abzuschaffen, ist wegen der Haushaltslage schneller
zu machen als die Entlastung. Aber: Ich gehe fest davon aus, dass wir
noch in dieser Legislaturperiode Entlastungsschritte auf den Weg
bringen. Um das klar zu sagen: Wir wollen nicht die Spitzenverdiener
entlasten, sondern den Durchschnittsverdiener. Es geht um die kalte
Progression, den so genannten Mittelstandsbauch.

Frage: Aber längst wird doch über Steuererhöhungen diskutiert.
Angeblich wehrt sich jetzt nicht einmal mehr der Bundesfinanzminister
gegen eine Erhöhung des Spitzensteuersatzes. Brüderle: Es gibt da in
der Koalition eine klare gemeinsame Vereinbarung: Keine
Steuererhöhungen! Das gilt. Es tut der Debatte nicht gut, täglich
einen neuen Luftballon steigen zu lassen. Der Bundesfinanzminister
hat sich vergangene Woche ganz klar gegen Steuererhöhungen
positioniert.

Frage: Was spricht eigentlich dagegen, Spitzenverdiener - sagen
wir mal ab einem Jahreseinkommen von 250000 Euro - etwas stärker zu
belasten? Brüderle: Wir haben doch heute schon eine starke Belastung
der oberen Einkommensgruppen. Schauen Sie mal, wo das Steueraufkommen
herkommt. Es geht hier auch um eine Frage der Steuergerechtigkeit.

Frage: Wie gerecht ist denn das Sparpaket? Können Sie es
verstehen, wenn auch in der Union nun wieder die von der FDP zu
Jahresbeginn durchgesetzten Steuererleichterungen für Hotels in Frage
gestellt werden, weil auf der anderen Seite bei den Schwachen der
Gesellschaft gekürzt wird? Brüderle: Die Begründung für die
Entscheidung, die Mehrwertsteuer für Hotelübernachtungen
herabzusetzen, war, dass von 27 EU-Staaten in diesem Bereich mehr als
20 reduzierte Steuersätze haben. Vor allem auch die CSU hat da
vehement eine Angleichung gefordert. Wenn ein Hotel in Oberbayern
deutlich höher belastet ist als im benachbarten Österreich, ist das
eine Wettbewerbsverzerrung. Die Entscheidung, dass man den Tourismus
in Deutschland fördert, ist von allen drei Koalitionsparteien
einvernehmlich beschlossen worden.

Frage: Wo sollte das Sparpaket Ihrer Ansicht nach nachgebessert
werden? Brüderle: Das Paket ist beschlossen und fertig. Wir haben es
gründlich beraten - teilweise bis in die Nacht hinein. Wir erfüllen
mit dem Paket mehr, als uns die Schuldenbremse des Grundgesetzes
auferlegt.

Frage: Eine Steuer, die die FDP unbedingt verhindern wollte, ist
die Finanzmarktransaktionssteuer. Jetzt ist diese Steuer nun doch
wieder auf der Agenda und bereits im Sparpaket eingepreist. Hat sich
die FDP da über den Tisch ziehen lassen? Brüderle: Noch ist nichts
beschlossen. Wir sind uns einig, dass es eine Regelung geben muss.
Die FDP ist für eine Finanzaktivitätssteuer, wie sie der
Internationale Währungsfonds vorgeschlagen hat. Ich könnte mir
vorstellen, dass auf diese Weise beim Solidarfonds für künftige
Krisen, in den die Bankenabgabe fließen soll, auch Boni und
Zusatzvergütungen einbezogen werden, um den Finanzsektor stärker zu
beteiligen. Die Finanzmarkttransaktionssteuer belastet dagegen wieder
den Bürger, da sehe ich eine begrenzte Lenkungswirkung nur im
Computerhandel von Derivaten, wo in Nanosekunden mit geringen Margen
große Beträge bewegt werden können. Die spannende Frage wird aber
sowieso sein: Macht London mit? Inzwischen kommen zehn Prozent des
britischen Nationaleinkommens aus dem Finanzsektor, da sehe ich schon
jetzt große Vorbehalte.

Frage: Ein weiteres Thema, wo Union und FDP mit zwei Zungen reden,
ist die Opel-Rettung. Sie haben diese Woche Staatsbürgschaften
abgelehnt, was die Kanzlerin sofort zu der Aussage gebracht hat, das
letzte Wort sei noch nicht gesprochen. Was haben Sie in diesem Moment
gedacht? Brüderle: Ich habe ihre Äußerung so verstanden, wie sie das
später auch erklärt hat: Sie dachte dabei an die Hilfsmöglichkeiten,
die die Länder haben. Als ich am nächsten Tag mit der Kanzlerin und
den Ministerpräsidenten der Opel-Standorte zusammen saß, hat sie das
auch bestätigt. Jetzt prüfen die Länder, ob sie im Rahmen ihrer
Möglichkeiten helfen können.

Frage: Wenn Opel kein Fall für eine Staatsbürgschaft oder
anderweitige Staatshilfe ist, ist doch eigentlich auch die Hilfe der
Länder nicht notwendig - oder? Brüderle: Das müssen die Länder
entscheiden. Für Geld aus dem Deutschlandfonds gibt es strenge
Kriterien, die ich bei Opel nicht erfüllt sah. General Motors verfügt
über mindestens zehn Milliarden Euro flüssige Mittel, das Unternehmen
erhöht gerade seine Gewinnprognose für dieses Jahr in Richtung vier
Milliarden Euro. Vor diesem Hintergrund kann GM Opel selbst helfen.
Wenn es brennt, müssen wir den Feuerlöscher verwenden. Aber wenn der
Brand gelöscht ist, sollten wir besser schauen, wie der Brandschutz
vernünftig organisiert wird.

Frage: Auch die Wahl des Bundespräsidenten sorgt für Zoff in der
Koalition. Erste FDP-Politiker haben bereits angekündigt, für Gauck
zu stimmen. War es ein Fehler der FDP, die Auswahl des Kandidaten der
CDU zu überlassen? Brüderle: Die Vorsitzenden von CDU, CSU und FDP
haben sich gemeinsam auf Christian Wulff als Kandidaten verständigt.
Joachim Gauck ist ein sehr respektabler Kandidat, und es gibt viele
Sympathien für ihn auch in der FDP. Doch ich bin fest überzeugt
davon, dass am Ende Christian Wulff gewählt wird.

Originaltext: Fuldaer Zeitung
Digitale Pressemappe: http://www.presseportal.de/pm/79740
Pressemappe via RSS : http://www.presseportal.de/rss/pm_79740.rss2

Pressekontakt:
Fuldaer Zeitung
Bernd Loskant
Telefon: 0661 280-445
Bernd.Loskant@fuldaerzeitung.de


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