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Nachahmungstäter nicht bestärken Presserat diskutiert mit Wissenschaftlern über Wirkung von Amoklauf-Berichterstattung

Geschrieben am 10-09-2009

Bonn (ots) - Das Plenum des Deutschen Presserats hat in seiner
gestrigen Sitzung in Berlin gemeinsam mit Experten aus der
Wissenschaft über die möglichen Folgen der Berichterstattungen über
Amokläufe diskutiert. Anlass für die Gesprächsrunde war eine Vielzahl
von Beschwerden nach dem Amoklauf von Winnenden. Die
Beschwerdeausschüsse hatten auf ihren Sitzungen im Mai unter anderem
die Nennung von Opfernamen, eine heroisierende Darstellung des Täters
und die fiktive Nachstellung der Tat mit grafischen Mitteln gerügt.
Insgesamt wurden 47 Beschwerdeverfahren eingeleitet. Insgesamt 79
Leser hatten sich beim Presserat beschwert.

"Wenn über einen Amoklauf berichtet wird, muss der Opferschutz im
Vordergrund stehen. Medienberichte dürfen nicht zu weiteren Opfern
führen", postulierte Prof. Dr. Rüdiger Wulf, Kriminologe und
Viktimologe von der Universität Tübingen. Diesem Grundsatz hätten die
Beschwerdeausschüsse in ihren Entscheidungen auch Rechnung getragen.
Der Sprecher des Deutschen Presserats, Manfred Protze, wies hier auf
das "natürliche und zugleich schwierige Spannungsverhältnis zwischen
dem begründeten öffentlichen Interesses an einem Ereignis dieser Art
auf der einen Seite und den Interessen der Angehörigen in ihrer nicht
austauschbaren Rolle als authentische Quellen für eine verlässliche
Berichterstattung auf der anderen Seite" hin. Bei der
Berichterstattung über den Täter riet Professor Dr. Herbert
Scheithauer, Entwicklungspsychologe und Wirkungsforscher von der
Freien Universität Berlin, ebenfalls zu Zurückhaltung. Er sieht hier
die Journalisten in einer großen Verantwortungsrolle. Eine gewisse
Form der Berichterstattung könne mögliche Nachahmungstäter bestärken.
"Nicht den Täter und seine Motive in den Vordergrund rücken, sondern
die Tat, keine Klischees fördern, keine Bilder vom Täter zeigen und
keine Namen nennen", sagte Scheithauer. Bei allem legitimen
öffentlichen Interesse sollten sich Journalisten stets die Frage
stellen, wie ihre Beiträge auf potenzielle Täter wirken könnten,
meinten die Experten. Gäste und Plenumsmitglieder waren sich darüber
einig, dass der Grat zwischen der Wahrnehmung des öffentlichen
Auftrags der Medien und presseethischen Grenzverletzungen bei einem
Ereignis wie in Winnenden schmal sei. Diese Situation erfordere hohe
Sensibilität und Aufmerksamkeit der professionellen Akteure auch für
die ethische Dimension des konkreten Falls.

Erstmals Beschwerden über ein Video

Im Zusammenhang mit der Winnenden-Berichterstattung hatte der
Presserat in seiner neuen Zuständigkeit auch für
Online-Veröffentlichungen erstmals Beschwerden über ein Internetvideo
zu beurteilen. Das Video unter dem Titel "Die letzten Sekunden des
Amokläufers Tim K." war auf den Online-Seiten einer Tageszeitung und
einer Wochenzeitschrift veröffentlicht worden. Die Filmsequenz, die
von einem Passanten mit einer Handykamera aufgenommen wurde, zeigte
die Selbsttötung des Amokläufers auf einem Parkplatz. Der Presserat
stellte bei der Diskussion klar, dass die Regeln des Pressekodex
grundsätzlich auch für alle Bewegtbilder gelten, die in den
Online-Ausgaben von Printmedien eingestellt und dort abrufbar sind.
Insbesondere wichtig ist bei der Beurteilung von Videos der beim
Betrachter entstehende Gesamteindruck des Beitrages. Im konkreten
Fall sah das Gremium die Grenzen des Zulässigen überschritten, da der
Film das Sterben eines Menschen zeigt. Auch wenn es sich um den Tod
eines Amokläufers handelt, der viele Menschenleben ausgelöscht hat:
die Darstellung seiner Selbsttötung ist durch das öffentliche
Interesse nicht mehr begründet, verletzt seine Menschenwürde und ist
unangemessen sensationell, urteilte das Plenum des Presserats. Es
erteilte den beiden Medien einen Hinweis. Auf eine weitergehende
Maßnahme verzichtete das Gremium, da Videos zum ersten Mal Gegenstand
von Beschwerden waren und die Spruchpraxis hier noch nicht entwickelt
ist. Das anstößige Video wurde auch im Fernsehen gezeigt. Für diese
Medien besitzt der Presserat jedoch keine Zuständigkeit.

Originaltext: Deutscher Presserat
Digitale Pressemappe: http://www.presseportal.de/pm/14918
Pressemappe via RSS : http://www.presseportal.de/rss/pm_14918.rss2

Pressekontakt:
Deutscher Presserat
Edda Kremer
Tel.: 030-367 00 70
Fax: 030-367 00 7-20
E-Mail: info@presserat.de


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