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Positive Würdigung und kritische Anfragen. / Ratsvorsitzender zur Stellungnahme des Nationalen Ethikrates

Geschrieben am 13-07-2006

Hannover (ots) - Der Stellungnahme des Nationalen Ethikrates
"Selbstbestimmung und Fürsorge am Lebensende" gebühre positive
Würdigung, aber aus Sicht der Kirche seien auch kritische Anfragen
angezeigt. Damit reagierte der Vorsitzende des Rates der
Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Bischof Wolfgang Huber,
auf die Veröffentlichung der Stellungnahme am heutigen Donnerstag,
13. Juli. Wolfgang Huber begrüßt, dass die Stellungnahme des
Nationalen Ethikrates wichtige Informationen enthalte und Vorschläge
zur Begrifflichkeit mache: Der Nationale Ethikrat "legt die Probleme
der gängigen Redeweise von 'aktiver', 'passiver' und 'indirekter
Sterbehilfe' dar und schlägt vor, stattdessen Sterbebegleitung,
Therapie am Lebensende, Sterbenlassen, Beihilfe zur Selbsttötung und
Tötung auf Verlangen voneinander zu unterscheiden. In der
gesellschaftlichen Debatte zur Selbstbestimmung und Fürsorge am
Lebensende sei es entscheidend, dass der Nationale Ethikrat
"zumindest teilweise deutliche Voten" zu erkennen gebe, betont
Wolfgang Huber.

An den unterschiedlichen Voten setzt auch die Kritik des
Ratsvorsitzenden an der Stellungnahme ein. Er bezeichnet es als
"verhängnisvoll", dass der Nationale Ethikrat im Blick auf die
Beihilfe zum Suizid und die Tötung auf Verlangen nicht zu klareren
und eindeutigeren Ergebnissen komme. Die evangelische Kirche will die
Ärzte weiterhin darin unterstützen, ihre bisherige Haltung
beizubehalten, am ärztlichen Ethos der Fürsorge für das Leben
festzuhalten. Erschrocken zeigt sich Wolfgang Huber über die schmale
argumentative Basis, auf welcher der erzielte Konsens über die
Beibehaltung des strafrechtlichen Verbots der Tötung auf Verlangen
stehe. Huber wünscht sich eine deutlichere Balance zwischen dem
Selbstbestimmungsrecht und der Fürsorge am Ende des Lebens. Wolfgang
Huber, der selbst bis zu seiner Wahl zum Ratsvorsitzenden im Jahr
2003 Mitglied des Nationalen Ethikrates war, fordert die Mitglieder
dieses Rates auf, einen gehaltvollen Konsens anzustreben und nicht
nur unterschiedliche Argumentationen nebeneinander zu stellen: "Dem
Missverständnis, es allen Positionen recht machen zu wollen, sollte
sich der Nationale Ethikrat nicht aussetzen."

Die Erklärung des Vorsitzenden des Rates der EKD, Bischof Wolfgang
Huber, zur Stellungnahme "Selbstbestimmung und Fürsorge am
Lebensende" des Nationalen Ethikrates im Wortlaut:

Der Nationale Ethikrat hat am heutigen Donnerstag, 13. Juli, eine
Stellungnahme vorgelegt, die sich mit schwierigen Grenzsituationen am
Ende des menschlichen Lebens beschäftigt. Der Text verdient hohe
Aufmerksamkeit, nötigt aber auch zu kritischen Anfragen.

Aus meiner Sicht sind vor allem drei Aspekte positiv zu würdigen:

1. Die Stellungnahme des Nationalen Ethikrats enthält wichtige
Informationen. So macht sie beispielsweise auf die Defizite
aufmerksam, die im Blick auf eine ausreichende palliativmedizinische
Versorgung oder die notwendige interdisziplinäre Aus- und Fortbildung
von Ärzten und Pflegekräften für den Umgang mit Sterbenden bestehen.
Ebenso gibt sie einen guten Überblick zur strafrechtlichen
Beurteilung der am Lebensende anstehenden und möglichen
Entscheidungen und bezieht dabei auch die rechtliche und praktische
Entwicklung in anderen Ländern ein.

2. Der Nationale Ethikrat macht wichtige Vorschläge zur
Begrifflichkeit. Er legt die Probleme der gängigen Redeweise von
"aktiver", "passiver" und "indirekter Sterbehilfe" dar und schlägt
vor, stattdessen Sterbebegleitung, Therapie am Lebensende,
Sterbenlassen, Beihilfe zur Selbsttötung und Tötung auf Verlangen
voneinander zu unterscheiden. Gewiss ist der allgemeine
Sprachgebrauch nur schwer zu ändern; doch ich würde es sehr begrüßen,
wenn diese Vorschläge positiv aufgenommen würden.

3. In ethisch besonders umstrittenen Fragen sind zumindest
teilweise deutliche Voten zu erkennen. Im Blick auf den ärztlich
assistierten Suizid und die organisierte Beihilfe zum Suizid spricht
sich wenigstens der überwiegende Teil des Nationalen Ethikrats gegen
eine berufsrechtliche Zulassung und die Etablierung solcher
Bestrebungen in Deutschland aus. Im Falle der Tötung auf Verlangen
sind im Ergebnis alle Mitglieder des Nationalen Ethikrates der
Auffassung, dass es in Deutschland beim Verbot der Tötung auf
Verlangen bleiben und der § 216 des Strafgesetzbuchs nicht geändert
werden soll.

Hier setzt freilich auch die Kritik ein:

1. Ich sehe es als verhängnisvoll an, dass der Nationale Ethikrat
im Blick auf die Beihilfe zum Suizid und die Tötung auf Verlangen
nicht zu klareren und eindeutigeren Ergebnissen kommt. Das partielle
Ja zur ärztlichen Suizidbeihilfe und zur ärztlichen Mitwirkung bei
der Tötung auf Verlangen stellt den in Deutschland bestehenden
Konsens über das ärztliche Ethos in Frage. Ich vertraue jedoch
darauf, dass die Ärzteschaft sich nicht für die, im Nationalen
Ethikrat auch vertretene, Sicht öffnet, wonach es in Einzelfällen
"gerade dem Wohl des Patienten entsprechen (könne), wenn er unter
ärztlicher Begleitung auf sein Verlangen hin getötet werden und damit
sterben dürfe, weil er diesen Weg als den einzigen Ausweg aus
schwerem Leid sieht." Die evangelische Kirche wird die Ärzteschaft
darin unterstützen, in Kontinuität zu ihrer bisherigen Haltung an dem
ärztlichen Ethos der Fürsorge für das Leben und damit an einer
wichtigen Grundlage für das Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und
Patient festzuhalten.

2. Der im Nationalen Ethikrat erzielte Konsens darüber, dass das
strafrechtliche Verbot der Tötung auf Verlangen beibehalten werden
soll, steht auf einer erschreckend schmalen argumentativen Basis. Ein
Teil des Nationalen Ethikrats leugnet die Gefahr, dass die Zulassung
der Tötung auf Verlangen in Missbrauch abgleiten kann, und dies,
obwohl an anderer Stelle über die Anhaltspunkte für diese Gefahr
ausdrücklich berichtet wird. Dieser Teil des Nationalen Ethikrats
stimmt dem rechtlichen Verbot der Tötung auf Verlangen nur wegen der
besonderen Situation zu, in der Deutschland sich angesichts der
Geschichte der Euthanasieverbrechen des Naziregimes befindet. Dabei
wird allein von "politischer", nicht jedoch von "moralischer
Rücksicht" auf diese Situation gesprochen. Jedem muss aber klar sein:
"Politische Rücksicht" richtet sich nach politischer Opportunität.
Dass ein Teil des Nationalen Ethikrats in dieser Frage auf eine
ethische Argumentation verzichtet, halte ich für verhängnisvoll. Die
evangelische Kirche spricht sich dafür aus, dass das Eintreten für
das Selbstbestimmungsrecht des Menschen auch am Ende seines Lebens
und die Wahrung der Fürsorgepflicht für menschliches Leben besser in
der Balance bleibt, als dies in der Argumentation des Nationalen
Ethikrats der Fall ist.

3. In wichtigen Fragen kommt der Nationale Ethikrat nicht zu
einem gemeinsamen Urteil, sondern stellt unterschiedliche
Argumentationen nebeneinander. Das lässt sich grundsätzlich nicht
vermeiden; es war deshalb auch schon bei früheren Äußerungen des
Nationalen Ethikrats der Fall. Doch jetzt ist die Zerfaserung der
Positionen so weit fortgeschritten, dass der Wille zu einem
gemeinsamen Urteil kaum noch zu erkennen ist. Ein Nationaler Ethikrat
muss jedoch alles daran setzen, einen gehaltvollen Konsens zu
erreichen. Je näher man diesem Ziel kommt, desto eher ist es möglich,
den verbleibenden Dissens so darzulegen, dass er in seinem Gewicht
eingeschätzt und gewürdigt werden kann. Je weniger dieses Ziel
erreicht wird, desto größer wird die Gefahr, dass eine solche
Äußerung zu einem Selbstbedienungsladen unterschiedlicher Positionen
wird. Dem Missverständnis, es allen Positionen recht machen zu
wollen, sollte sich der Nationale Ethikrat nicht aussetzen.

Hannover/Berlin, 13. Juli 2006
Pressestelle der EKD
Christof Vetter

Originaltext: EKD Evangelische Kirche in Deutschland
Digitale Pressemappe: http://presseportal.de/story.htx?firmaid=55310
Pressemappe via RSS : feed://presseportal.de/rss/pm_55310.rss2

Evangelische Kirche in Deutschland
Hans-Christof Vetter
Herrenhäuser Strasse 12
D-30419 Hannover
Telefon: 0511 - 2796 - 269
E-Mail: christof.vetter@ekd.de


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