(Registrieren)

Basler Zeitung: WM-Presseschau vor dem Deutschland-Italien-Spiel: «Mit Handauflegen allein ist es nicht getan» (Interview) - baz vom 4.7.06

Geschrieben am 04-07-2006

Basel (ots) - Kundschafter und Berater - wie Urs Siegenthaler den
Höhenflug der deutschen Nationalmannschaft erlebt

Interview: Christoph Kieslich

Der Basler Urs Siegenthaler ist als Chefscout Teil der Mission,
die die Deutschen bis in den WM-Halbfinal heute gegen Italien (21.00
Uhr) geführt hat.

Als ehemaliger Nationalliga-Spieler des FC Basel, bei Xamax und
den Young Boys Bern begann der heute 58-jährige seine Trainerlaufbahn
beim FC Laufen. Zwischen 1986 und '88 war er für die Schweizer
Nationalmannschaft mitverantwortlich und von 1987 bis 1990 Trainer
des FCB. Er baute in Basel ein Ingenieurbüro auf und bildete 20 Jahre
lang Trainer aus - auch den deutschen Co-Trainer Joachim Löw, der ihn
2005 zum Deutschen Fussball-Bund holte.

baz: Urs Siegenthaler, durch Deutschland schwappt eine
Euphoriewelle. Surfen Sie auch mit?

URS SIEGENTHALER: Im kleinen Rahmen schon, logisch. Ich habe
Freude, wenn das eine oder andere klappt.

baz. Wie der ominöse Zettel, den Jens Lehmann vor dem
Elfmeterschiessen gegen Argentinien zugesteckt bekommen hat? Stammt
er nun von Huub Stevens, dem ehemaligen Trainer von Lehmann bei
Schalke 04, von Ihnen oder von wem?

Ich habe alle Elfmeter der letzten vier Jahre angeschaut, daraus
ergibt sich eine gewisse Wahrscheinlichkeit: Der schiesst acht Mal
dort hin und zwei Mal da hin - das zeigen wir den Torhütern.
Fernsehtrainer Jürgen Klopp hat gemutmasst, dass der Zettel leer und
nur Teil eines psychologischen Spiels war.

baz. Ja gut, lassen wir das so stehen. Natürlich stand da was
drauf.
Dennoch ist es aussergewöhnlich, dass ein Torhüter beim
Penaltyschiessen im Stutzen nach einem Spickzettel kramt.

Er kann ja nicht alle Schützen im Kopf behalten. Am Schluss weiss
er doch nicht mehr: Hat der Siegenthaler gesagt, der schiesst immer
rechts oder doch links.

baz. Als das Spiel auf das Penaltyschiessen zusteuerte, welches
Gefühl hatten Sie da? Was wussten Sie über das Nervenkostüm der
Argentinier?

Ich bin dafür da, objektive Daten zu liefern, und alles andere
muss man schon dem Spieler oder dem Trainer selbst überlassen. Ich
hatte, als ich die Elfmeter der Argentinier angeschaut habe, das
Gefühl, dass man da ein, zwei halten könnte. Aber ich wäre genauso
angeschmiert, wenn Cambiasso in die andere Ecke gezielt hätte.

baz. Wie ging es Ihnen denn als Spieler am Elfmeterpunkt? Welche
war Ihre Ecke?

Von mir aus gesehen links. 80, 90 Prozent der Spieler haben eine
Ecke.

baz. Wieviele Penaltys haben Sie getreten?

Ich schätze, es waren 20 - und ich habe nie verschossen. Aber wenn
ich höre: Das haben wir geübt, dann ist das ein Witz. Vor 80 000
Zuschauern ist das Tor dann noch vier Meter breit.
Das gilt ja wohl auch für die Argentinier, die als WM-Favoriten
galten.

Schwierig, da meinen Gefühlen freien Lauf zu lassen. Denn trotz
des Sieges war das für mich kein schöner Tag. Weil es mir weh tut,
wenn eine grosse Persönlichkeit vor den Herren kapituliert, die auf
Teufel komm raus Resultate fordern. Argentiniens Trainer José
Pekerman hat über ein Jahrzehnt klang überragende und nachhaltige
Arbeit im Nachwuchs geleistet. Deshalb hat der Fussball an diesem Tag
mit diesem Sieg auch viel verloren.

baz. Herr Siegenthaler, im Vorfeld der WM haben Sie in
Zusammenarbeit mit der Deutschen Sporthochschule in Köln eine riesige
Datenbank aufgebaut. Elfmeter sind dabei nur ein Aspekt. Wie gross
ist denn Ihr Anteil am Höhenflug der Deutschen?

Typisch Schweizerisch: sehr bescheiden. Ich geniesse im Stillen.
Es ist ja nicht so, dass es mit Handauflegen allein getan ist. Die
Arbeit von Jürgen Klinsmann und Joachim Löw hat vor zwei Jahren
begonnen, meine vor 18 Monaten. Aber eigentlich beginnt sie vor 20
Jahren: Mein Sachverstand, die Akribie und meine Detailversessenheit
beginnt damals. Bei der Bildung dieser Mannschaft durfte ich
begleitend dabei sein und habe den einen oder anderen Erfahrungswert
eingebracht. Aber die Grösse der Trainer liegt darin, dass sie das
auch annehmen.

baz. Dabei schien noch vor wenigen Wochen, nach dem Desaster beim
1:4 in Florenz gegen Italien, alles in Frage zu stehen.

Anschliessend haben wir uns für fast eine Woche im Schwarzwald
zurückgezogen. Da habe ich versucht, dem Trainerstab klarzumachen,
was machbar und was trainierbar ist, dass nichts dem Zufall
überlassen werden darf. Das zahlt sich jetzt vielleicht aus.

baz. Sie sind also mehr Ratgeber denn Kundschafter?

Joachim Löw hat oft gesagt: Da haben Sie mehr Erfahrung als wir.
Ich versuche, mehrere Lösungen anzubieten, aber entscheiden müssen
die Trainer - ich bin schliesslich nicht der Bundestrainer.

baz. Auf was sind Sie denn besonders stolz? Was ist aus Ihrer
Arbeit anschliessend auf dem Platz konkret aufgegangen?

Wir haben 11 Tore gegen bestorganisierte Mannschaften gemacht. Ich
bin jetzt mal rigoros und sage: Von den elf Toren haben wir neun
aufgrund der Schwächen erzielt, die wir beim Gegner aufgezeigt haben.
Ob das gute Arbeit ist, können Sie selbst bewerten.

baz. Wie darf man sich Ihre Arbeit während des Turniers
vorstellen? Tüfteln Sie irgendwo in einem Hochsicherheitstrakt neue
Strategien aus?

Ich muss manchmal lachen: So gut werde ich es kaum noch einmal in
meinem Leben haben. Der DFB hat sich nicht lumpen lassen und hat mir
direkt neben dem Hotel der Mannschaft eine Villa angemietet.

baz. Haben Sie Helfer?

Alleine ist das nicht zu machen. Ich muss dem Team Köln und den
Studenten ein Riesenkompliment machen, die tagtäglich die Zeitungen
durchforsten. Und von der Firma Mastercoach ist Christopher Clemens
dabei, ein überragender Fachmann, der an der Entwicklung der Software
beteiligt war. In hektischen Zeiten, ist es wichtig, dass ich mich
nicht mit technischen Fragen herumplagen muss.
Sondern rund um die Uhr vor Ihrem Videogerät sitzen können?
Die Wahrheit ist, dass wir auch Nächte durchgearbeitet haben. Ich
zitiere jemanden von der Fifa, der zu mir gesagt hat: Wenigstens in
Ihrer Abteilung seid ihr wieder Weltmeister.

baz. Wir! Uns! - Sie scheinen sich voll und ganz mit der deutschen
Mission zu identifizieren. Haben Sie nie ein schlechtes Gewissen? Sie
hätten auch der Schweizer Nationalmannschaft hilfreich sein können.

Diesen Hohn musste ich mir oft genug anhören. Aber ich bin nun
halt mal beim DFB angestellt. Klar, war das Ausscheiden der Schweiz
scherzlich. Zumal ich die Ukraine drei Mal gesehen habe - und das war
der leichteste Gegner, mit Abstand.

baz. Hand aufs Herz: Hätten Sie je gelaubt, dass Deutschland so
weit kommt?

In einigen Auseinandersetzungen mit den Trainern habe ich versucht
rüberzubringen, dass andere Mannschaften das, was wir üben, schon
länger machen. Aber mir war auch klar: Wenn wir mit der Mannschaft
gezielt etwas unternehmen, beginnen wir nicht bei Null. Es ist ja
nicht so, dass die gar nicht Fussball spielen können. Ich war jedoch
überrascht, mit welcher Konsequenz Jürgen Klinsmann das in relativ
kurzer Zeit umgesetzt hat.

baz. Was ist für Deutschland noch möglich?

Die Umstände sind das Unberechenbare für den Gegner. Da hat sich
eine Mannschaft irgendwie gefunden, sie glaubt an etwas, sie spürt
und schmeckt was. Aber ich wiederhole mich: Was wir sechs Wochen
üben, hat Pekerman mit seiner Generation sechs Jahre lang gemacht.
Und heute bekommen wir es mit einem Gegner zu tun, der seine
Philosophie seit sechzig Jahre verfolgt. Die Italiener können mit
allem umgehen, auch mit Skandalen und mit jedem Gegner.

baz. Also auch mit den Deutschen?

Gigi Riva hat in einem Satz alles gesagt: Wir wissen, dass wir
eine sehr gute Mannschaft sind, und wenn Deutschland uns schlagen
will, müssen sie besser sein als wir. Das gilt umgekehrt aber
genauso.

baz. Und wer wird Weltmeister?

Derjenige, der seine Mittel am besten einsetzt - nicht unbedingt
der Beste.

Mehr zu WM aus Schweizer Sicht unter: www.baz.ch/epaper

Originaltext: Basler Zeitung
Digitale Pressemappe: http://presseportal.de/story.htx?firmaid=62558
Pressemappe via RSS : feed://presseportal.de/rss/pm_62558.rss2

Rückfragen bitte an:
Basler Zeitung
Peter Schibli
peter.schibli@baz.ch


Kontaktinformationen:

Leider liegen uns zu diesem Artikel keine separaten Kontaktinformationen gespeichert vor.
Am Ende der Pressemitteilung finden Sie meist die Kontaktdaten des Verfassers.

Neu! Bewerten Sie unsere Artikel in der rechten Navigationsleiste und finden
Sie außerdem den meist aufgerufenen Artikel in dieser Rubrik.

Sie suche nach weiteren Pressenachrichten?
Mehr zu diesem Thema finden Sie auf folgender Übersichtsseite. Desweiteren finden Sie dort auch Nachrichten aus anderen Genres.

http://www.bankkaufmann.com/topics.html

Weitere Informationen erhalten Sie per E-Mail unter der Adresse: info@bankkaufmann.com.

@-symbol Internet Media UG (haftungsbeschränkt)
Schulstr. 18
D-91245 Simmelsdorf

E-Mail: media(at)at-symbol.de

19842

weitere Artikel:
  • HSV-Presseservice: Erster Bürgermeister Ole von Beust präsentiert "Hamburger Weg" Hamburg (ots) - Der HSV soll in den kommenden Jahren international attraktiven und erfolgreichen Fußball spielen und auf diese Weise als sportliches Aushängeschild die Strahlkraft Hamburgs im In- und Ausland verstärken. Mit der Sponsoreninitiative "Hamburger Weg" soll eine entsprechende Entwicklung des Vereins gefördert werden. Zugleich wird ein Teil der Einnahmen für karitative Zwecke in der Hansestadt bereitgestellt. Der Erste Bürgermeister präsentiert die Initiative gemeinsam mit dem Vorstandsvorsitzenden des HSV, Bernd Hoffmann, am mehr...

  • 1860-Presseservice: Offizieller Fototermin des TSV 1860 München München (ots) - Der offizielle Fototermin (Einzelporträts und Mannschaftsfoto) der Lizenzmannschaft findet am Montag, 17. Juli 2006, um 15:00 Uhr, statt. Im Anschluss stehen die U23 (um ca. 16:00 Uhr) und die U19 (um ca. 16:30 Uhr) der Löwen ebenfalls mit Einzelporträts und Teamfoto zur Verfügung. Ort: Trainingsgelände, Grünwalder Straße 114, 81547 München Originaltext: TSV München von 1860 GmbH & Co. KGaA Digitale Pressemappe: http://presseportal.de/story.htx?firmaid=52307 Pressemappe via RSS : feed://presseportal.de/rss/pm_52307.rss2 mehr...

  • HSV-Presseservice: Einführung einer "Auswärtsdauerkarte" für die Bundesliga Hamburg (ots) - Ab sofort haben HSV-Mitglieder die Möglichkeit, sich vor Saisonbeginn alle Tickets für die Auswärtsspiele der Bundesligasaison 2006/07 zu sichern. Somit brauchen Fans, die alle 17 Auswärtsspiele sehen wollen, ab sofort nur noch einmal bestellen und müssen sich nicht mehr alle zwei Wochen um das benötigte Ticket kümmern. Die Karten für die jeweils anstehenden Auswärtspartien werden am Stand des HSV Supporters Club bei den Heimspielen hinterlegt, bzw. bei den jeweils ersten Spielen der Hin- und Rückrunde kostenfrei zugeschickt. mehr...

  • 1860-Presseservice: Detlef Romeiko verlässt die Münchner Löwen München (ots) - Das Präsidium des TSV München von 1860 e.V. und der gesundheitlich angeschlagene Detlef Romeiko haben sich zum 30. Juni 2006 einvernehmlich geeinigt, dessen Geschäftsführer-Dienstvertrag bei der TSV München von 1860 GmbH & Co. KGaA aufzulösen. "Das Präsidium bedauert das Ausscheiden von Herrn Romeiko sehr. Immerhin stand er acht Jahre in Diensten des TSV 1860", sagt Präsident Alfred H. Lehner. "Wir bedanken uns bei Herrn Romeiko für die Arbeit, die er im Interesse von 1860 München geleistet hat." Detlef Romeiko: mehr...

  • Unibet Quoten eindeutig: Deutschland wird Weltmeister! / Selbst Lothar Matthäus sagt gegen Italien: "Die Nationalelf ist verpflichtet zu gewinnen!" Kronberg (ots) - Nach Ausscheiden der beiden Top-Favoriten Brasilien und Argentinien bei der WM steht nicht nur die Fußball-Welt Kopf: die aktuelle Hitliste der heißesten Anwärter auf den Weltmeistertitel auf www.unibet.com wird angeführt von der deutschen Nationalelf! Deutschland liegt mit einer Quote von 2.75 deutlich vor den zweitplatzierten Franzosen (3.10), mit denen nach der schwachen Vorrunde auch die wenigsten gerechnet hätten. Damit ist eines klar: Deutschland ist auch im Halbfinale gegen die Italiener mit einer Quote von 2.30 zu mehr...

Mehr zu dem Thema Aktuelle Sport-News

Der meistgelesene Artikel zu dem Thema:

HSV-Presseservice: Neue Ausrüstung für die Saison 2006/2007 - HSV und PUMA stellen neue HSV-Trikots vor

durchschnittliche Punktzahl: 0
Stimmen: 0

Bitte nehmen Sie sich einen Augenblick Zeit, diesen Artikel zu bewerten:

Exzellent
Sehr gut
gut
normal
schlecht