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Börsen-Zeitung: Halbgares aus Berlin, Leitartikel von Stephan Lorz zur zögerlichen Krisenbekämpfungs-Politik der Bundesregierung

Geschrieben am 18-12-2008

Frankfurt (ots) - Die Konjunkturlage in Deutschland stellt sich
von Tag zu Tag dramatischer dar. Inzwischen ist das
Ifo-Geschäftsklima auf den niedrigsten Stand gefallen seit der
zweiten Ölkrise Ende 1982. Der Industrie brechen die Aufträge in
Rekordgeschwindigkeit weg. Und der Einkaufsmanagerindex befindet sich
auf seinem Allzeittief. Die konjunkturelle Abwärtsdynamik wird nach
den jüngsten Daten also noch weiter an Fahrt gewinnen. Da braucht es
auch keine düsteren Institutsprognosen für das nächste Jahr mehr: Die
harten Fakten und die desaströs ausgefallenen Wirtschaftsumfragen
machen schon Angst genug. Von der schwersten Rezession seit dem
Zweiten Weltkrieg ist mittlerweile die Rede.

Umso wichtiger wäre es, wenn die Bundesregierung jetzt
Führungskraft bewiese. Das aber geschieht nicht. Bundeskanzlerin
Angela Merkel und Bundesfinanzminister Peer Steinbrück fassen immer
erst dann konjunkturstützende Maßnahmen ins Auge, wenn der nationale
und internationale Druck zu groß wird und das Ansehen Deutschlands
unter dieser Zögerlichkeit leidet. Und selbst dann, wenn die
Bundesregierung sich auf ein Aktionsprogramm verständigt hat, wird
nur Halbgares geboten. Das war so beim ersten Konjunkturpaket der
Fall, das die "Fünf Wirtschaftsweisen" auch abfällig als
"Sammelsurium von Einzelmaßnahmen" kritisierten. Sein fiskalischer
Nachfrageimpuls von gerade mal 5 Mrd. Euro für 2009 wurde zudem als
viel zu gering empfunden. Der frisch gekürte Nobelpreisträger Paul
Krugman warf Merkel und Steinbrück darum ob ihrer Zurückhaltung
hochgradigen "Realitätsverlust" vor. Sie hätten den Ernst der Lage
nicht begriffen.

Und auch beim jetzt debattierten zweiten Konjunkturpaket, das im
Januar spruchreif sein soll, verliert man sich wieder im Klein-Klein.
Gewiss, der bisher so knausrige Haushälter Steinbrück gibt ein paar
Milliarden frei, doch zurück bleibt der Eindruck, dass die
Bundesregierung wieder einmal der Entwicklung hinterherläuft. Ein
solches Vorgehen schafft kein Vertrauen bei Investoren und
Konsumenten. Wie sollen sie auch auf die Zukunft setzen und
entsprechend handeln, wenn die Politik stets nur nachvollzieht, was
ohnehin passiert, und wenn ihr keine andere Alternative mehr bleibt?
Der Staat springt zwar bei und stopft mit seiner Nachfragemacht auch
einige Löcher, die private Unternehmen hinterlassen, aber es fehlt
schlicht die Perspektive, die es Investoren erlaubt, im Vertrauen auf
Besserung eigene Mittel lockerzumachen, und die den Konsumenten die
Angst vor Jobverlust oder Lohnkürzung nimmt.

Statt ein langfristig angelegtes Konzept vorzulegen, das
kurzfristig ausgerichtete Feuerwehreinsätze mit einer strukturellen
Umsteuerung hin zu mehr Binnennachfrage verbindet, wird darum
gefeilscht, wessen Wählerklientel mit welchen Summen befriedigt
werden soll. Die SPD wendet sich traditionell an die unteren
Einkommensschichten und will Sozialversicherungsbeiträge
heruntersubventionieren mit dem Argument: die geben das Geld auch
gleich wieder konjunkturstimulierend aus und legen es nicht auf die
hohe Kante. Nebenbei wird damit noch flugs in der Wählerschaft der
Linken gewildert. Die CSU stellt sich auf Seiten der Steuerzahler,
die den Staat finanzieren - und ja auch letztlich für die im Rahmen
der Konjunkturrettung gemachten Schulden aufkommen müssen. Eine
Entlastung für sie wäre längst überfällig - Stichwort: kalte
Progression. Sie haben in den vergangenen Jahren ohnehin an Kaufkraft
verloren, und es hat sich bei ihnen ein gewaltiger konsumtiver
Nachholbedarf aufgestaut. Wollte man diese - letztlich die
Gesellschaft zusammenhaltende - Gruppe in der Krise übergehen, wäre
der Vertrauensverlust so groß, dass später an einem nachhaltigen
selbsttragenden Aufschwung überhaupt nicht mehr zu denken wäre. Und
die Merkel-CDU? Die steht zwischen allen Fronten. Sie geriert sich
"neutral" und setzt auf die Macht der Staatsausgaben: Vorgezogene und
ausgeweitete Infrastrukturprojekte, Investitionen in Schulen und
Forschungsstätten sollen für den nötigen Konjunkturschub sorgen.

Grundsätzlich lassen sich alle drei Positionen inhaltlich gut
vertreten. Das eine setzt kurzfristig an (Entlastung bei den
Sozialausgaben), das andere startet mittelfristig
(Investitionsprogramme des Staates), und das dritte wirkt langfristig
(Steuersenkung). Dies wären auch die ersten Schritte, um Deutschland
von seiner Exportabhängigkeit etwas zu befreien und die
Binnennachfrage anzukurbeln, wie das die meisten anderen europäischen
Länder auch tun. Als größte Volkswirtschaft Europas und langjähriger
Exportprofiteur hat Deutschland schließlich eine Verantwortung
gegenüber seinen Nachbarstaaten und Handelspartnern. Allerdings
müssten diese drei Schritte aufeinander abgestimmt sein und der
Öffentlichkeit entsprechend glaubwürdig vermittelt werden, um Wirkung
zu entfalten. Dazu braucht es einen großen Wurf, der Eindruck macht,
ein in sich stimmiges Konzept, dem sich alle regierenden Parteien und
Gebietskörperschaften verpflichtet fühlen, und ein Programm in einer
Dimension, die beeindruckt. Denn Konsumenten und Investoren reagieren
zwar auf fiskalische Anreize, doch noch viel entscheidender sind ihre
Zukunftserwartungen - aber die adressiert Berlin bisher gar nicht.

(Börsen-Zeitung, 19.12.2008)

Originaltext: Börsen-Zeitung
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Pressekontakt:
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Redaktion

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