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Mit Bestürzung und Trauer Gemeinsame Erklärung zum 70. Jahrestag der November-Pogrome

Geschrieben am 07-11-2008

Hannover (ots) - Anlässlich des 70. Jahrestages der
November-Pogrome an der jüdischen Bevölkerung und den Synagogen haben
die Vorsitzenden des Rates der Evangelische Kirche in Deutschland
(EKD) und der Deutschen Bischofskonferenz folgende Erklärung
veröffentlicht:

Bischof Dr. Wolfgang Huber
Vorsitzender des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland

Erzbischof Dr. Robert Zollitsch
Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz

Mit Bestürzung und Trauer
Gemeinsame Erklärung zum 70. Jahrestag der November-Pogrome

Denk an deine Gemeinde, Gott, die du vorzeiten erworben!
Deine Widersacher lärmten an deiner heiligen Stätte,
stellten ihre Banner auf als Zeichen des Sieges.
Sie sagten in ihrem Herzen: "Wir zerstören alles."
Und sie verbrannten alle Gottesstätten ringsum im Land.
Wie lange, Gott, darf der Bedränger noch schmähen,
darf der Feind ewig deinen Namen lästern? (aus Psalm 74)

Der 9. November ist ein denkwürdiges Datum in der deutschen
Geschichte. Im Jahre 1918 wurde an diesem Tag die Republik
ausgerufen. Für uns Heutige ist vor allem der 9. November 1989 mit
lebhaften Erinnerungen verbunden - der Tag, an dem die Berliner Mauer
geöffnet und ein neues Kapitel der Freiheit und Einheit in
Deutschland aufgeschlagen wurde. Im Jahr 2008 aber muss unser Blick
sich in besonderer Weise auf die dunkelste Epoche unserer Geschichte
richten. Während die Jahrestage 1918 und 1989 deutsche und
europäische Aufbrüche der Freiheit und des Rechts symbolisieren,
steht der 9. November 1938 für Hass und Gewalt, für Niedertracht und
das Erblinden des Gewissens. Er war ein Widerruf jener
Freiheitsversprechen, mit denen die erste deutsche Republik einst
angetreten war, und bedeutete für die deutschen Juden, dass sie keine
sichere Heimstatt im eigenen Lande mehr besaßen.

In den November-Pogromen von 1938 wurden wehrlose Menschen
gedemütigt, gepeinigt und ermordet, Gotteshäuser geschändet und
zerstört. Die schrecklichen Bilder von brennenden Synagogen haben
sich in unser Gedächtnis gebrannt. Sie lehren auch heute: Wo es
keinen Respekt vor dem Heiligen und dem für den menschlichen Zugriff
Unverfügbaren gibt, dort gibt es auch keinen Respekt vor den
Menschen.

Die Pogrome waren nicht nur bewusst geplant, sondern ihnen gingen
auch Jahre der propagandistischen und politischen Vorbereitung voraus
- eine Zeit der offenen antisemitischen Hetze, der systematischen
rechtlichen Ausgrenzung, menschenverachtenden Diskriminierung und
Verfolgung. Die November-Pogrome waren zugleich der Auftakt zum
Holocaust, zu einer Epoche ungeahnter Zerstörung und Vernichtung, an
deren Folgen Europa, die Welt und vor allem die jüdische Gemeinschaft
noch heute zu tragen haben.

Unzählige Menschen sind Opfer des Nationalsozialismus geworden.
Anlässlich der Pogrome des Jahres 1938 richtet sich unser Gedenken
besonders auf die Juden, deren systematische Verfolgung und Ermordung
ein beispielloses Menschheitsverbrechen darstellen. Ihr Leiden, ihre
Einsamkeit und ihre Verzweiflung angesichts einer Gewaltmaschinerie,
die mit Demütigung und Entrechtung begann und mehr und mehr von
absolutem Vernichtungswillen angetrieben wurde, erfüllen uns mit
Bestürzung und Trauer.

Die offen zur Schau gestellte Gewalt des November 1938 fand in der
deutschen Bevölkerung weniger Rückhalt als die rechtliche
Diskriminierung, der die Juden seit 1933 ausgesetzt waren. Doch es
gab viel schweigendes Zuschauen und achselzuckendes Hinnehmen. Neben
den Schlägern, Brandschatzern und Marodeuren sowie jenen, die ihnen
verdeckt oder gar offen lebhaften Beifall zollten, gab es nicht
wenige, die der Anblick des staatlich verordneten Terrors irritierte;
eine grundsätzliche Erschütterung des Vertrauens in den
nationalsozialistischen Staat war damit allerdings meist nicht
verbunden. Und es gab auch die - gerade auch in den christlichen
Kirchen -, die die Gewalttaten entschieden ablehnten, jedoch in
Furcht und einem Gefühl der Ohnmacht verharrten. Aber es war auch die
Stunde jener Wenigen, die den Zerstörungen Einhalt gebieten wollten
und den Bedrängten Unterschlupf gewährten.

Als Christen und Kirchen erinnern wir uns dankbar des katholischen
Priesters und Berliner Dompropstes Bernhard Lichtenberg, der am Abend
des 9. November 1938 öffentlich für die Juden und die nichtarischen
Christen betete und dafür wegen volksfeindlicher Hetze angeklagt
wurde. Seinen Weg an der Seite der Verfolgten hat er später mit dem
Leben bezahlt. Ebenso berührt uns der Mut des evangelischen Pfarrers
Helmut Gollwitzer, der in einer Predigt wenige Tage nach den Pogromen
für die Verfolgten Stellung bezog und die Gemeinde in Berlin-Dahlem
davon überzeugte, die Familienangehörigen inhaftierter Juden zu
unterstützen. Das Zeugnis dieser und anderer Christen und
Kirchenvertreter kann das Verzagen oder Versagen anderer nicht
zudecken. Es erinnert uns immerhin daran, dass die Stimmen von
Humanität und Nächstenliebe auch im Angesicht des schlimmsten
Abgrundes der Unmenschlichkeit nie ganz verstummt sind.

Unsere Erinnerung an die Reichspogromnacht 1938 würde ins Leere
laufen, wenn wir sie nicht mit der Frage nach der praktischen
Solidarität verbänden, die wir den in unserer Zeit zu Unrecht
Verfolgten und den Opfern von Gewalt schulden. Leider sind
Antisemitismus und Rassismus auch heute nicht überwunden. Auch in
Europa prägen Ausgrenzung und Diskriminierung den Alltag vieler
Menschen. Die Sünde der Gleichgültigkeit gegenüber dem Leid der
Anderen stirbt nicht aus. Allzu schnell legt sich der Schleier der
Abgrenzung über unsere Augen und versperrt die Sicht auf das Antlitz
des Nächsten. Jedem Menschen, gleich welcher Hautfarbe,
Volkszugehörigkeit oder Religion, ist das Bild Gottes eingeprägt.
Keiner darf preisgegeben werden. Davon in Wort und Tat Zeugnis
abzulegen, sind wir als Christen in besonderer Weise gefordert. Die
Erinnerung an die Schreckensnacht und ihre Folgen ist gerade auch
heute, da die Zeitzeugen allmählich verstummen, von großer Bedeutung.
Mahnt sie uns doch, alles zu tun, um eine Gesellschaft in Freiheit
und gegenseitiger Achtung zu gestalten, die sich ihrer Verantwortung
vor Gott und den Menschen stellt.

Hannover/Berlin, 07. November 2008 Bonn, 07. November 2008
Pressestelle der EKD Pressestelle der Deutschen
Bischofskonferenz
Christof Vetter Stefanie Uphues

Originaltext: EKD Evangelische Kirche in Deutschland
Digitale Pressemappe: http://www.presseportal.de/pm/55310
Pressemappe via RSS : http://www.presseportal.de/rss/pm_55310.rss2

Pressekontakt:
Evangelische Kirche in Deutschland
Hans-Christof Vetter
Herrenhäuser Strasse 12
D-30419 Hannover
Telefon: 0511 - 2796 - 269
E-Mail: christof.vetter@ekd.de


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