LVZ: Zum Beginn der Leipziger Touristik-Messe Neue Reiselust

Leipzig (ots) - Von Stefan Poppitz
Kurz nach der Wende schon Reiseweltmeister, waren viele Ostdeutsche
in den letzten Jahren irgendwie gar keine richtigen Urlauber mehr.
Sie blieben in den Ferien einfach zu Hause, Balkonien statt Balearen
hieß die Devise. Oder sie verkürzten zumindest die Zeit zum Erholen
und Auftanken. Der Ost-Hit "Der Sachse liebt das Reisen sehr" stimmte
nicht mehr so richtig. Und weil die Veranstaltergilde oftmals auf
ihren Urlaubsträumen sitzen blieb, anstatt sie an den Mann zu
bringen, durchschritt sie ein tiefes Tal der Tränen.
Aus wohl bekannten, schlechten Gründen: Terroranschläge,
Naturkatastrophen, finanzielle Einschnitte, Zukunftsängste,
gefährliche Krankheiten - manche Branche wäre schon bei einem dieser
Horrorszenarien aus den Schuhen gekippt. Doch die Tränen sind
offenbar versiegt. Gute Aussichten, signalisiert der Deutsche
Reiseverband von seiner Jahrestagung. Und im Vorfeld der morgen
startenden Leipziger Reisemesse heißt es, dass die meisten
Ostdeutschen für die schönsten Wochen des Jahres deutlich tiefer in
die Tasche greifen, dafür fast 150 Euro pro Nase mehr ausgeben
wollen. Das ist schön: Für die Reisehungrigen selber, die sich den
Urlaub als wertvolles Konsumgut und Ausgleich zum stressigen Alltag
nicht nehmen lassen. Für die Veranstalter, die sich größtenteils
flexibel auf neu gewachsene Kundenwünsche eingestellt haben und dafür
nicht bestraft werden sollten. Und vermutlich auch für die
Regierenden, weil sie aus dem neuen Reiseverhalten den Schluss ziehen
dürften: Der Aufschwung ist also doch angekommen.
Ob das tatsächlich auch für jene zutrifft, die in die neue Armut
abgerutscht sind, darüber lässt sich nicht mal streiten. Das sind die
ersten, für die sich der Begriff Urlaubsplanung zum Fremdwort wandelt
oder es schon geworden ist. Aber auch jenen, die der neuen Reiselust
frönen können, dürften sich bald deren Kehrseiten offenbaren. Denn
wer mehr Geld in seine Ferienfahrt investiert, der sollte nicht
zwangsläufig mit einem größeren Leistungsangebot oder Qualitätsgewinn
rechnen. Mancher zusätzliche Euro wird einfach nur draufgehen, weil
wegen der gestiegenen Kosten für Strom, Gas, Lebensmittel natürlich
auch die Urlaubsangebote teurer geworden sind. Höhere
Kerosinzuschläge - wie erst jüngst etwa von Lufthansa und Air Berlin
beschlossen - werden ebenso an die Passagiere durchgereicht. Und das
dürfte erst der Anfang sein. Schon seit längerem geistern durch
Brüsseler und Gabrielsche Amtsstuben Begriffe wie Besteuerung von
Flugbenzin oder Einbeziehung der Airlines in den Handel mit
Emissionsrechten. Auch wenn das letzte Wort dazu noch nicht
gesprochen ist, darf man sicher sein: Das Reisen wird künftig spürbar
teurer werden.
Die Veranstalterzunft will sich dadurch die gute Laune nicht
verhageln lassen. Noch nie waren so viele von ihr auf Ostdeutschlands
größter Ferienmesse in Leipzig. Denn trotz aller Unwägbarkeiten
wittert sie ein prächtiges Geschäft. Er scheint also wieder zu
stimmen, Jürgen Harts Hit vom Sachsen, der das Reisen so liebt. Nur
dass der heutzutage auch öfter mal etwas weiter als nur "bis
Bulgarchen die Welt beschnarchen" tut.

Originaltext: Leipziger Volkszeitung
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