(Registrieren)

Krebsfrüherkennung und -versorgung ohne Register: "Das ist frustrierend" - Onkologe Prof. Bernhard Wörmann im Interview

Geschrieben am 21-09-2020

München (ots) - Langes Warten auf ein bundesweit einheitliches Krebsregister: Seit April 2013 arbeiten die Bundesländer daran, ein arbeitsfähiges Klinisches Krebsregister aufzubauen. Bislang ohne Erfolg. Ein Gutachten im Auftrag des GKV-Spitzenverbandes, der zentralen Interessenvertretung der gesetzlichen Kranken- und Pflegekassen, kommt jetzt zu dem Schluss, dass es auch nach über sieben Jahren in den meisten Bundesländern noch nicht gelungen ist, ein funktionierendes Krebsregister zu etablieren. Hauptursache dafür seien fehlende Datenlieferungen und technische Probleme, verursacht durch "personelle Engpässe", und organisatorische Probleme in der Aufbau- und Ablauforganisation. Wir haben mit Prof. Bernhard Wörmann, Medizinischer Leiter der Deutschen Gesellschaft für Hämatologie und Medizinische Onkologie (DGHO) in Berlin darüber gesprochen, weshalb ein flächendeckendes Krebsregister sinnvoll und notwendig ist, gerade in Zeiten von COVID-19.

https://ots.de/lOeifb

Herr Professor Wörmann, Sie setzen sich in der DGHO seit Jahren für ein flächendeckendes Krebsregister in Deutschland ein. Weshalb brauchen wir ein solches Register, auch und gerade während der Corona-Pandemie?

Prof. Bernhard Wörmann: Weil COVID-19 auch die Diagnose von Krebskrankheiten beeinflusst: Patienten gehen nicht zum Arzt, Früherkennungsuntersuchungen finden nicht statt, Termine zur Nachsorge werden verschoben. In den Niederlanden konnten Wissenschaftler bereits 6 Wochen nach Beginn der Pandemie zeigen: Die Rate von Krebsdiagnosen ist unter COVID-19 um 25 Prozent gesunken, bei Hautkrebs sank die Diagnoserate sogar um über 50 Prozent.

Trifft das auch auf Deutschland zu?

Prof. Wörmann: Das können wir derzeit nicht mit Sicherheit sagen. Die Niederlande konnten Daten auswerten, die auf einem funktionierenden Krebsregister basieren. Wir in Deutschland haben solche Daten nicht, auch nicht sechs Monate nach Beginn der Pandemie. Es gibt Dokumentationen in den Tumorzentren und bei den Krankenkassen, die eine Grundlage für Schätzungen bilden, die dann durch die Medien geistern und vielleicht sogar stimmen. Aber wir haben kein Krebsregister mit zuverlässigen bundesweiten Daten, mit denen wir planen könnten. Das ist frustrierend.

Weshalb?

Prof. Wörmann: Wenn die Zahl an Krebsdiagnosen unter COVID-19 tatsächlich signifikant sinkt, dann müssen wir gegensteuern. Gerade in Coronazeiten wüssten wir gerne, was sich für Krebspatienten verändert, wo es Schwachstellen gibt - nur dann können wir für die nächsten Monate planen. Dafür hat man so ein Krebsregister. Und COVID-19 ist da nur ein Beispiel.

Wofür werden Krebsregister denn grundsätzlich gebraucht, jenseits von Corona?

Prof. Wörmann: Wir können mit ihrer Hilfe zum Beispiel sehen, wie häufig bestimmte Krebsarten sind und welche Entwicklungen es gibt, auf die wir vielleicht reagieren müssen. So haben wir etwa in den letzten Jahrzehnten gesehen, dass Magenkrebs deutlich seltener geworden ist. Auf der anderen Seite gibt es eine starke Zunahme beim Melanom, also dem Schwarzen Hautkrebs - gerade auch bei jungen Leuten.

Aber solche Daten werden doch auch international erhoben. Wieso brauchen wir darüber hinaus ein Krebsregister für Deutschland?

Prof. Wörmann: Weil es einen Unterschied macht, ob man die Erkrankungszahlen in Australien, den USA oder England betrachtet oder man sie auf nationaler Ebene erhebt. Denn nur dann können wir Risikofaktoren erkennen und vernünftige Früherkennungsstrategien planen. Die Daten können auch für die Forschung verwendet werden, aber in erster Linie helfen sie dabei, Strategien für eine optimale Früherkennung und für die Versorgung von Krebspatienten zu entwickeln.

Das müssen Sie genauer erklären.

Prof. Wörmann: Nehmen wir "Brustkrebs" als Beispiel. Hier stellt sich die Frage, ab welchem Alter es Untersuchungen zur Früherkennung geben sollte. Die Antwort hängt natürlich auch von der Altersverteilung ab, und zwar in Deutschland. Oder Beispiel "Lungenkrebs": Diese Krebsart ist in den letzten Jahren insgesamt nicht häufiger geworden, hat aber bei Frauen deutlich zugenommen. Das hat Konsequenzen für Vorsorge- und Früherkennungsstrategien zu Lungenkrebs und auch für die Frage, welche Menschen wir damit erreichen wollen.

Wie interpretieren Sie das GKV-Gutachten und welche Konsequenzen müssten daraus gezogen werden?

Prof. Wörmann: Zunächst: Es gibt in Deutschland schon seit vielen Jahren gut funktionierende Krebsregister - aber eben nicht flächendeckend, sondern als Einzelaktivitäten. Etwa im Saarland oder in der Region Münster. Auch die Arbeitsgemeinschaft deutscher Tumorzentren leistet hier viel und hat eine Strategie für ein nationales Krebsregister entwickelt - denn bislang gibt es kein flächendeckendes und verpflichtendes Melderegister in Deutschland. Das Problem ist nun: Das, was seit 2013 aufgebaut wird, ist formal kein nationales Krebsregister, sondern ein Zusammenschluss von regionalen Krebsregistern aus den 18 Bundesländern. Man hat sich also entschieden, keine zentrale, sondern eine föderale Struktur der Krebsregister zu etablieren. Jedes Land entscheidet selbst, wie und mit welcher Geschwindigkeit es vorgeht und wie die Finanzierung aussehen soll. Diese föderalen Strukturen haben dazu geführt, dass es eine sehr unterschiedliche Entwicklung der regionalen Krebsregister gegeben hat. Größter Schwachpunkt ist das gemeinsame epidemiologische Krebsregister als Zusammenschluss der ostdeutschen Bundesländer. Es liefert derzeit nicht alle erforderlichen Daten, unter anderem, weil die Software nicht so funktioniert, wie man es sich wünscht.

Softwareprobleme müssten sich doch beheben lassen.

Prof. Wörmann: Ich bin kein IT-Fachmann, da müssen Sie andere fragen. Aber ich habe durchaus die Sorge, dass der politische Wille, dem abzuhelfen, nicht überall gleich stark ausgeprägt ist.

Was muss geschehen, damit der Aufbau der Krebsregister doch noch erfolgreich abgeschlossen werden kann?

Prof. Wörmann: Zunächst sollten wir offen diskutieren, ob die föderale Ausrichtung wirklich langfristig die richtige ist oder ob eine zentrale Struktur besser wäre.

Welche Folgen hat es für Ärzte und Patienten, wenn es in Deutschland kein flächendeckendes Krebsregister gibt?

Prof. Wörmann: Dann können wir zum Beispiel nicht erkennen, ob Krebserkrankungen in bestimmten Regionen ansteigen. Vor allem aber können wir die künftige Krebsversorgung nicht vernünftig planen. Bei einer alternden Bevölkerung kommen bestimmte Krebsarten häufiger vor - wir möchten gerne wissen, welche das sind und wie aggressiv sie beispielsweise bei 80-jährigen Patienten sind. Wenn sich die Bevölkerungsstruktur verändert, etwa durch die Migration, dann beeinflusst das auch die Häufigkeit bestimmter Krebsarten. Nur ein flächendeckendes Krebsregister ermöglicht es, Ressourcen längerfristig einzuplanen oder auch zurückzuschrauben. Wenn eine bestimmte Krankheit ganz selten wird, dann braucht man keine Früherkennung mehr.

Was könnte der Bundesgesundheitsminister tun?

Prof. Wörmann: Grundsätzlich glaube ich, dass es auch ein Interesse der Bundesgesundheitspolitik geben muss, diese Zahlen zu bekommen. Und COVID-19 zeigt gerade, dass wir eine funktionierende zentrale Struktur gut gebrauchen können. Die kann gerne auf den regionalen Registern beruhen, aber es muss eine Zentrale geben, in der wir vollständige Daten schnell abrufen können. Das heißt nicht, dass alle Daten an einem Ort erhoben werden müssen. Man kann sie weiter regional erheben. Aber die Zusammenführung der Daten, die muss rasch und zentral erfolgen.

https://ots.de/IOBVxz

PHARMA FAKTEN - Eine Initiative von Arzneimittelherstellern in Deutschland

PHARMA FAKTEN ist eine Initiative des Pharma Fakten e.V., in dem 15 Unternehmen und ein Verband aus der Arzneimittel-Branche organisiert sind. Kern der Initiative ist die Online-Plattform http://www.pharma-fakten.de , an der eine eigenständige Redaktion kontinuierlich arbeitet. Pharma Fakten berichtet seit 2014 regelmäßig über Gesundheitsthemen. Schwerpunkte sind die Forschung und Entwicklung neuer Medikamente in den verschiedensten Indikationen sowie gesundheitspolitische und ökonomische Hintergründe.

Pressekontakt:

Redaktion Pharma Fakten
http://www.pharma-fakten.de
E-Mail: mailto:redaktion@pharma-fakten.de
http://twitter.com/pharmafakten

Weiteres Material: http://presseportal.de/pm/114406/4712134
OTS: PHARMA FAKTEN

Original-Content von: PHARMA FAKTEN, übermittelt durch news aktuell


Kontaktinformationen:

Leider liegen uns zu diesem Artikel keine separaten Kontaktinformationen gespeichert vor.
Am Ende der Pressemitteilung finden Sie meist die Kontaktdaten des Verfassers.

Neu! Bewerten Sie unsere Artikel in der rechten Navigationsleiste und finden
Sie außerdem den meist aufgerufenen Artikel in dieser Rubrik.

Sie suche nach weiteren Pressenachrichten?
Mehr zu diesem Thema finden Sie auf folgender Übersichtsseite. Desweiteren finden Sie dort auch Nachrichten aus anderen Genres.

http://www.bankkaufmann.com/topics.html

Weitere Informationen erhalten Sie per E-Mail unter der Adresse: info@bankkaufmann.com.

@-symbol Internet Media UG (haftungsbeschränkt)
Schulstr. 18
D-91245 Simmelsdorf

E-Mail: media(at)at-symbol.de

748849

weitere Artikel:
  • Lipton und Peace One Day rufen gemeinsam zum Internationalen Tag des Friedens 2020 auf (FOTO) Neu-Isenburg (ots) - Lipton (https://www.lipton.com/de/home.html) , die weltweit führende Teemarke, und Peace One Day (https://www.peaceoneday.org/Main/) schließen sich für den Internationalen Friedenstag der UNO am 21. September 2020 zusammen und rufen mit Lichtinstallationen auf der ganzen Welt am 20. September sowie einem digitalen Live-Event am 21. September Menschen weltweit dazu auf, sich unter dem Motto "Make Tea Time Peace Time" zu beteiligen und die Zeit des Nachmittagstees zur Friedenszeit zu machen. Um diese Idee zu unterstützen, mehr...

  • Stupoli hat schon 230 Obdachlose aus 33 Nationen behandelt Hamburg (ots) - - Soziales Engagement der Studenten des Asklepios Campus Hamburg für Menschen, denen sonst keiner hilft - Sprechstunde im CaFée mit Herz wird gut angenommen Mitten auf St. Pauli halten Medizinstudenten wöchentlich eine kostenlose Sprechstunde für Menschen ohne Krankenversicherung ab. Zumeist sind es Obdachlose, Menschen, denen sonst kaum jemand hilft. Die sogenannte Studentische Poliklinik (Stupoli) Hamburg hat ihren Sitz in der Sozialeinrichtung CaFée mit Herz. Seit 2018 bieten etwa 40 angehende Mediziner des Asklepios mehr...

  • "Tietjen campt": Dreiteiler mit Bettina Tietjen und Gästen in der ARD Mediathek und im NDR Fernsehen Hamburg (ots) - Bettina Tietjen gehört seit vielen Jahren zu den beliebtesten Moderatorinnen im NDR Fernsehen. Mindestens ebenso lange verbringt sie ihre Urlaube auf eine ganz bestimmte Art: Bettina Tietjen ist leidenschaftliche Camperin. Mehrmals im Jahr steuern sie und ihr Mann im Wohnmobil, ein selbst umgebauter Lieferwagen, Campingplätze in Deutschland oder dem Ausland an. Nun will sie alle mit ihrem Campingfieber anstecken, vor allem aber die prominenten Gäste, die sie mit auf Tour nimmt. Den Dreiteiler "Tietjen campt" zeigt das NDR Fernsehen mehr...

  • Sven Hannawald kassiert ab / Skisprunglegende engagiert sich für Kinder in der Krise (FOTO) München (ots) - Skisprungweltmeister, Olympiasieger und weltweit erster Sportler, der die https://de.wikipedia.org/wiki/Vierschanzentournee_2001/02 mit Siegen in allen vier Wettbewerben gewann, jetzt erfolgreicher TV-Experte und Unternehmenscoach - Sven Hannawald. Heute nahm er an der Kasse der Kaufland-Filiale in München Platz und erinnerte die Kundinnen und Kunden charmant ans "Aufrunden bitte!". Anlässlich des Weltkindertages engagieren sich Prominente und bekannte Persönlichkeiten ehrenamtlich für DEUTSCHLAND RUNDET AUF, um noch mehr Menschen mehr...

  • "Die Zukunft im Auge behalten"-"Woche des Sehens"-Schirmherrin Gundula Gause im Gespräch (AUDIO) Berlin (ots) - Anmoderationsvorschlag: "Die Zukunft im Auge behalten": Das ist das Motto der "Woche des Sehens 2020". Vom 8. bis 15. Oktober informieren namhafte Organisationen aus den Bereichen Selbsthilfe, Augenmedizin und Entwicklungshilfe über Augenkrankheiten und Sehbehinderungen. Und es geht darum, wie man diese möglichst frühzeitig erkennen und eine Erblindung verhindern kann. Mehr dazu verraten Ihnen jetzt die Schirmherrin der "Woche des Sehens", die Fernsehjournalistin Gundula Gause und mein Kollege Oliver Heinze. Sprecher: Gundula mehr...

Mehr zu dem Thema Sonstiges

Der meistgelesene Artikel zu dem Thema:

Sat1.de mit neuem Online-Spiele-Portal Sat1Spiele.de / SevenOne Intermedia baut Bereich Games weiter aus

durchschnittliche Punktzahl: 0
Stimmen: 0

Bitte nehmen Sie sich einen Augenblick Zeit, diesen Artikel zu bewerten:

Exzellent
Sehr gut
gut
normal
schlecht