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Dokument der Ratlosigkeit/Der Rentenkommission fehlte die Kraft, einen strukturellen Neuanfang bei der Alterssicherung zu fordern. Es bleibt beim Herumdoktern am System. Von Heinz Gläser

Geschrieben am 05-04-2020

Regensburg (ots) - Volksmund tut bisweilen Wahrheit kund. Und wenn ich nicht mehr weiter weiß, gründ' ich einen Arbeitskreis: Dieses politische Dilemma stand Pate, als Bundesarbeitsminister Hubertus Heil Mitte 2018 die sogenannte "Rentenkommission" aus der Taufe hob. Der Arbeitsauftrag war herkulisch: Das Gremium, besetzt mit zwei Sozialpolitikern von CDU und SPD, Wissenschaftlern sowie Vertretern der Arbeitgeber und der Gewerkschaften, sollte "das Fundament für einen neuen, verlässlichen Generationenvertrag" legen. Angesichts der Corona-Krise von der breiten Öffentlichkeit fast unbemerkt hat die Kommission jüngst ihre Empfehlungen präsentiert. Herausgekommen ist nicht der große Wurf, aber der war auch nicht zu erwarten. Mehr als ein Dokument der Ratlosigkeit hätte es allerdings schon sein dürfen. Für die Zeit nach 2025 sollen sich die Rentenbeiträge zwischen 20 und 24 Prozent bewegen und das Rentenniveau zwischen 44 und 48 Prozent. Verglichen mit dem Status quo heißt das: tendenziell noch höhere Beiträge bei noch niedrigeren Renten. Eine Perspektive, die mit Blick auf die demografische Entwicklung und den nahenden Ruhestand der Babyboomer-Generation so überraschend ist wie Regen in Irland. Otto Normalbürger wäre wohl daheim auf der Couch ohne jeden wissenschaftlichen Beistand zu einer ähnlichen Prognose gekommen, während er gramgebeugt das alljährliche Renten-Informationsschreiben über den Stand seiner schmalen Bezüge im Alter studiert. Es bleibt beim Herumdoktern an einem System, in dem es längst strukturell an allen Ecken und Enden knirscht. Nimmt man noch die unabsehbaren Folgen der Corona-Krise für die ökonomische Leistungskraft des Landes hinzu, war das Papier wahrscheinlich bereits zum Zeitpunkt seiner Veröffentlichung überholt. Denn der Bericht fußt ja auf der optimistischen Annahme einer weiterhin hohen Beschäftigungsquote und sprudelnder Einnahmen. Wenigstens das ist den Autoren nicht anzulasten. Anzukreiden ist den Experten allerdings, dass sie unbeirrt und wider jede Vernunft am schröderschen Rohrkrepierer Riester-Rente festhalten. Überhaupt soll die betriebliche und private Vorsorge gestärkt werden, aber die Aussagen zum Wie bleiben wolkig. Immerhin: Die von vielen befürchtete und in konservativ-liberalen Kreisen bereits heftig propagierte weitere Anhebung des Renteneintrittsalters steht nicht auf der To-do-Liste der Kommission. Ein Trostpflaster für alle, denen es vor der Plackerei über 67 hinaus graut. Im Alter wird man ja bekanntlich genügsam. Was die Kommission da ausgebrütet hat, erinnert an einen Hobbyhandwerker, der am lichterloh brennenden Haus einen Wasserhahn installiert. Es fehlt die Kraft zum Systemwechsel, es gebricht am Willen zu einem radikalen Neuanfang. Zum Beispiel, indem man alle Erwerbstätigen in die allgemeine Rentenversicherung eingliedert. Dass und wie es weit besser als in Deutschland geht, machen unsere europäischen Nachbarn vor. Nur mal ein Land herausgepickt; Österreich zahlt die - durchschnittlich ohnehin höheren - Renten seinen glücklichen Ruheständlern 14-mal pro Jahr aus. Gerade jetzt lernen wir die Arbeit derjenigen zu schätzen, die in der akuten Situation den Laden am Laufen halten. Es sind die Verkäuferinnen und Verkäufer, Krankenschwestern und Altenpfleger, die Unglaubliches leisten. Zum Dank werden sie später mit mickrigen Renten knapp oberhalb des Existenzminimums abgespeist. Das ist sozialer Sprengstoff, wie gemacht für populistische Zündler. Das Fundament, das die Kommission legen sollte, trägt nicht. Das Gremium hat seine Ratlosigkeit zurückdelegiert. Dahin, wo sie herkam: in die Politik.

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