(Registrieren)

Mutmaßlicher Lübcke-Mordhelfer: Rechtsextremist hatte legal Waffen

Geschrieben am 21-08-2019

Hamburg (ots) - Der mutmaßliche Helfer beim Mord an Walter Lübcke
durfte legal Waffen besitzen. Nach Recherchen von NDR, WDR und
Süddeutscher Zeitung hat das Verwaltungsgericht Kassel 2015
entschieden, dass der als rechtsextrem bekannte Markus H. eine
Waffenbesitzkarte mit Munitionsberechtigung erhalten darf. Markus H.
habe in dem Sportschützenclub, in dem auch der mutmaßliche Mörder von
Walter Lübcke Mitglied war, mit eigenen scharfen Waffen geschossen,
teilte der Vorsitzende des Vereins mit. Ermittler gehen heute davon
aus, dass Markus H. bis 2015 Kontakte in die rechtsextreme Szene
hatte.

Markus H. sitzt seit dem 27. Juni in Untersuchungshaft. Der
Generalbundesanwalt ermittelt gegen den 43-Jährigen wegen des
Verdachts der Beihilfe zum Mord an Walter Lübcke. Er soll dem
mutmaßlichen Mörder Stephan E. bei der Beschaffung der Tatwaffe
geholfen haben.

Nach Recherchen von NDR, WDR und SZ hat Markus H. im August 2007
bei der Stadt Kassel eine Waffenbesitzkarte beantragt. Damals war H.
als Rechtsextremist bekannt. Das Amtsgericht Kassel hatte H. 2006
wegen Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen
zu einer Geldstrafe verurteilt. Der Rechtsextremist hatte in einer
Kasseler Gaststätte "Sieg Heil" skandiert und den Hitlergruß gezeigt.
Die Stadt Kassel, die für die waffenrechtliche Erlaubnis zuständig
ist, verweigerte daher eine Waffenbesitzkarte mit der Begründung, dem
bekannten Rechtsextremisten fehle die erforderliche Zuverlässigkeit.

Im Juni 2012 beantrage Markus H. erneut eine Waffenbesitzkarte.
Daraufhin wandte sich die Stadt Kassel an das Landesamt für
Verfassungsschutz (LfV) in Wiesbaden und bat um Mitteilung, ob
Erkenntnisse vorlägen, die waffenrechtlich relevant seien. Das LfV
teilte mit, H. habe 2008 an einer Demonstration der
rechtsextremistischen NPD teilgenommen und sei 2009 als Teilnehmer
einer Demonstration von Rechtsextremisten in Dortmund wegen
gefährlicher Körperverletzung und Landfriedensbruch festgenommen
worden. Am 1. Mai 2009 hatten 400 Neonazis eine Demonstration von
Gewerkschaftern attackiert. Das Verfahren gegen Markus H. wurde
später allerdings eingestellt. Außerdem teilte das LfV der Stadt mit,
dass H. sich unter dem Pseudonym "Stadtreiniger" in
rechtsextremistischen Foren äußere. In einem dieser Foren soll sich
der Rechtsextremist nach Recherchen von NDR, WDR und SZ damals
bereits über das Beschaffen von Waffen ausgetauscht haben. Wegen
seiner verfassungsfeindlichen Betätigung lehnte die Stadt Kassel den
Antrag zum Erhalt einer Waffenbesitzkarte im November 2012 erneut ab.

Gegen diesen Bescheid klagte Markus H. 2013 beim
Verwaltungsgericht Kassel und gewann schließlich 2015. Die Richterin
begründete die Entscheidung damit, dass die vom hessischen Landesamt
für Verfassungsschutz vorgelegten Erkenntnisse zu Markus H.s
rechtsextremen Umtrieben älter waren als fünf Jahre. Laut
Waffengesetz verfügen Rechtsextremisten nicht über die erforderliche
Zuverlässigkeit zum Waffenbesitz. Die Erkenntnisse dazu dürfen aber
nicht älter als fünf Jahre sein.

Der Verfassungsschutz in Hessen hatte der Stadt Kassel jedoch nur
Informationen über H.s Aktivitäten in der rechtsextremistischen Szene
von 2006 bis 2009 geliefert.

Als die Stadt 2015 den Verfassungsschutz nach neuen Erkenntnissen
zu Markus H. anfragte, antwortete die Behörde in Wiesbaden, dass
"keine weiteren Erkenntnisse" über H. vorliegen, "die gegen seine
Zuverlässigkeit im Sinne des Paragraphen 5 des Waffengesetzes
sprechen", heißt es im Urteil des Verwaltungsgerichtes vom März 2015.
Somit sprach für das Gericht nichts mehr dagegen, dem Sportschützen
H. eine Waffenbesitzkarte mit Munitionsberechtigung zu erteilen. Die
Stadt Kassel stellte H. diese nach dem rechtskräftigen Urteil aus.

Nach Recherchen von NDR, WDR und SZ hat der Verfassungsschutz
wichtige Erkenntnisse zu rechtsextremistischen Aktivitäten Markus H.s
der Stadt Kassel nicht mitgeteilt. Unerwähnt blieb etwa die Teilnahme
an einer rechtsextremistischen Demonstration in Dresden im Februar
2009. Fotos, die NDR, WDR und SZ vorliegen, zeigen Markus H. am
Banner der Neonazi-Kameradschaft "Freier Widerstand Kassel". Nach den
Recherchen soll Markus H. dieser Gruppierung, die mehrmals in
Verfassungsschutzberichten erwähnt wurde, angehört haben - ebenso wie
der mutmaßliche Lübcke-Mörder Stephan E. Auch die Zugehörigkeit zu
dieser rechtsextremen Vereinigung wurde vom Verfassungsschutz nicht
an die Waffenbehörde gemeldet. Unklar ist, ob der Verfassungsschutz
Erkenntnisse darüber hatte, ob und wie lange Markus H. dem "Freien
Widerstand Kassel" angehörte. Das hessische Landesamt für
Verfassungsschutz wollte sich auf Anfrage nicht äußern.

Nach Recherchen von NDR, WDR und SZ wird Markus H. im laufenden
Verfahren des Generalbundesanwaltes wegen Beihilfe zum Mord an Walter
Lübcke durch eine Aussage belastet. Ein Zeuge aus dem persönlichen
Umfeld von Markus H. soll ausgesagt haben, dieser sei ein Waffennarr
gewesen. Er habe aus seiner rechtsextremen Gesinnung kein Hehl
gemacht und den mutmaßlichen Lübcke-Mörder Stephan E. mit seinen
scharfen Waffen schießen lassen. Der Schützenverein, in dem sowohl
Markus H. als auch der mutmaßliche Haupttäter Stephan E. Mitglied
waren, schloss die beiden am vergangenen Wochenende vorläufig aus dem
Verein aus. Der Vorsitzende Reiner Wiedemann sagte gegenüber NDR, WDR
und SZ dass Markus H. im Verein mit eigenen Waffen geschossen habe.
Welche Schusswaffen H. besitzt, wisse er nicht. Die Stadt Kassel
wollte sich unter Berufung auf den Datenschutz nicht zu der
Waffenerlaubnis äußern. Im "Schützenclub 1952 Sandershausen" seien
weder Markus H. noch Stephan E. als Rechtsextremisten aufgefallen, so
der Vorsitzender Wiedemann.

Brisant ist auch ein weiteres Dokument, das der Rechtsextremist
Markus H. von der Stadtverwaltung erhalten hat: Im Juli 2011 stellte
die Stadt Kassel Markus H. eine "Unbedenklichkeitsbescheinigung" nach
dem Sprengstoffgesetz aus. Diese Bescheinigung benötigt man etwa, um
an einem Lehrgang für eine Sprengstoff-Erlaubnis oder einen
"Befähigungsschein" für den Umgang mit explosionsgefährlichen Stoffen
teilnehmen zu können. So könnte der von damaligen Gesinnungsgenossen
als "Waffennarr" beschriebene Rechtsextremist auch mit Sprengstoff in
Berührung gekommen sein.

Der Anwalt von Markus H. wollte sich auf Anfrage zu den Recherchen
nicht äußern.



Pressekontakt:
Norddeutscher Rundfunk
Presse und Information
Lara Louwien
Tel.: 040 / 4156-2312
Mail: l.louwien@ndr.de
http://www.ndr.de
https://twitter.com/NDRpresse

Original-Content von: NDR Norddeutscher Rundfunk, übermittelt durch news aktuell


Kontaktinformationen:

Leider liegen uns zu diesem Artikel keine separaten Kontaktinformationen gespeichert vor.
Am Ende der Pressemitteilung finden Sie meist die Kontaktdaten des Verfassers.

Neu! Bewerten Sie unsere Artikel in der rechten Navigationsleiste und finden
Sie außerdem den meist aufgerufenen Artikel in dieser Rubrik.

Sie suche nach weiteren Pressenachrichten?
Mehr zu diesem Thema finden Sie auf folgender Übersichtsseite. Desweiteren finden Sie dort auch Nachrichten aus anderen Genres.

http://www.bankkaufmann.com/topics.html

Weitere Informationen erhalten Sie per E-Mail unter der Adresse: info@bankkaufmann.com.

@-symbol Internet Media UG (haftungsbeschränkt)
Schulstr. 18
D-91245 Simmelsdorf

E-Mail: media(at)at-symbol.de

698610

weitere Artikel:
  • Still sitzen verboten: Ergonomische Sitzmöbel für einen gesunden Kinderrücken (FOTO) Bremervörde (ots) - Kinder sitzen selten still - und werden immer noch häufig dazu ermahnt. Aber ist das überhaupt sinnvoll? Denn im jungen Alter befindet sich die Wirbelsäule noch im Wachstum und profitiert von viel Bewegung und häufigem Wechsel der Sitzposition und -haltung. Das fördert nicht nur die psychische Reife, sondern unterstützt auch die Rückengesundheit. Stundenlanges Sitzen in der Schule und am Schreibtisch vor den Hausaufgaben schränkt die Bewegungsmöglichkeiten jedoch erheblich ein. Das weiß auch die Aktion Gesunder mehr...

  • Veranstaltungshinweis 10./11.9., Berlin: Ausstellung "Hilfe für DDR-Flüchtlinge 1989 in Budapest" (FOTO) Berlin (ots) - Ausstellung: Erinnerungen an Budapest 1989 - Zeitzeugen berichten "Das Tor steht offen, mehr noch das Herz" Dorothea-Schlegel-Platz in Berlin (neben Tränenpalast/ Bahnhof Friedrichstraße) Geöffnet am 10. und 11. September, jeweils von 10 bis 18 Uhr Die Ausstellung erzählt zum 30. Jahrestag komprimiert und mit Zeitzeugen die Geschichte der Hilfsaktion der Malteser und ordnet das Ereignis ein in den großen Umbruch von 1989. Eintritt frei. Im Sommer 1989 strömten immer mehr Geflüchtete aus der DDR mehr...

  • Klimakrise auf dem Acker: "planet e." im ZDF über neue Strategien für Landwirte (FOTO) Mainz (ots) - Hitzesommer, Hagel, Schädlinge - der Klimawandel stellt Deutschlands Bauern vor große Probleme. Sind neue, robustere Pflanzensorten die Lösung? Oder kann Hightech auf dem Acker weiterhelfen? Ist gar die Rückkehr zu alten Anbaumethoden gefragt? Die zurückliegenden Hitzesommer lassen Landwirte und Wissenschaftler nach neuen Strategien suchen. Die ZDF-Umweltdoku "planet e." fragt am Sonntag, 25. August 2019, 16.30 Uhr im ZDF, wie sich der Klimawandel auf dem Acker auswirkt. In der ZDFmediathek ist die Doku "Bauern mehr...

  • Indien: Erlebnistouren auf 30 Seiten / Tourvital festigt Marktposition als Spezialveranstalter Köln (ots) - Tourvital ist führender Veranstalter für erlebnisreiche Rundreisen und Spezialist für Reisen nach Indien. Allein im Hauptkatalog Winter 2019/20 nehmen die vielfältigen Touren auf den Indischen Subkontinent 30 Seiten ein. Die Themen der Rundreisen sind so bunt und abwechslungsreich wie das Land selbst. Dazu bieten die verschiedenen Reiseformen für jeden Anspruch den richtigen Rahmen: von Komfortrundreisen, auch mit ärztlicher Begleitung, über Kleingruppen- und individuelle Bausteinreisen bis hin zu Kreuzfahrt- und Länder-Kombinationen. mehr...

  • Caritas: Rückkehr der Rohingya unmöglich - Zwei Jahre nach der Vertreibung aus Myanmar machen 61 Hilfsorganisationen auf anhaltende Diskriminierung aufmerksam Freiburg (ots) - Zwei Jahre nachdem mehr als 740.000 Rohingya vor ethnischen Säuberungen in Myanmar fliehen mussten, macht Caritas gemeinsam mit 60 weiteren Hilfsorganisationen auf die fortdauernde Recht- und Perspektivlosigkeit der muslimischen Minderheit aufmerksam. In einer gemeinsamen Erklärung der in Bangladesch und Myanmar tätigen Organisationen heißt es: "Während UN-Organisationen und über 130 lokale, nationale und internationale NGOs die Regierung von Bangladesch bei der Bereitstellung lebenserhaltender Hilfe unterstützt mehr...

Mehr zu dem Thema Sonstiges

Der meistgelesene Artikel zu dem Thema:

Sat1.de mit neuem Online-Spiele-Portal Sat1Spiele.de / SevenOne Intermedia baut Bereich Games weiter aus

durchschnittliche Punktzahl: 0
Stimmen: 0

Bitte nehmen Sie sich einen Augenblick Zeit, diesen Artikel zu bewerten:

Exzellent
Sehr gut
gut
normal
schlecht