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Deutsche Exportgenehmigungen: Spähtechnik trotz Menschenrechtsverletzungen

Geschrieben am 20-06-2019

Hamburg (ots) - Die Bundesregierung hat in den vergangenen Jahren
den Export von Überwachungstechnik im Wert von mehr als 26 Millionen
Euro genehmigt. Zu den Zielländern gehörten Staaten wie
Saudi-Arabien, Ägypten und Katar, in denen es regelmäßig zu
Menschenrechtsverstößen kommt. Wie aus der Antwort auf eine kleine
Anfrage der FDP hervorgeht, hat die Bundesregierung in 13 Fällen den
Export von Technologie zur Telekommunikationsüberwachung und in 15
Fällen den Export von Ausrüstung für Überwachungs-Zentren und zur
sogenannten Vorratsdatenspeicherung erlaubt. Die Antwort, die dem NDR
vorab vorliegt, umfasst den Zeitraum von Anfang 2015 bis Juni 2019.

Aus dem Schreiben geht beispielsweise hervor, dass in den Jahren
2015, 2016 und 2018 jeweils eine Genehmigung zum Export nach Katar
mit einem Gesamt-Auftragsvolumen in Höhe von mehr als einer Million
Euro erteilt worden ist. Dabei handelt es sich nach Auskunft der
Bundesregierung um Folgeaufträge aus früheren Exporten. Katar steht
vor allem wegen des Umgangs mit Arbeitsmigranten im Land in der
Kritik, zudem gilt das Recht auf freie Meinungsäußerung dort als
eingeschränkt. Auch Ägypten hat 2015 und 2019 Technologie zum
Einrichten von Überwachungszentren und zur Vorratsdatenspeicherung im
Wert von fast zwei Millionen Euro erworben. Immer wieder gab es seit
dem Sturz der demokratisch gewählten Regierung im Jahr 2013 Berichte
über massive Menschenrechtsverstöße in Ägypten: Oppositionelle und
kritische Journalisten sollen verschleppt und gefoltert worden sein.

Die FDP-Abgeordnete im Bundestag, Gyde Jensen, sagte dem NDR: "Die
Antworten offenbaren die menschenrechtlichen Mängel in der aktuellen
Exportpraxis, die auch der Bundesregierung bereits seit Jahren
bekannt sind. Denn der Export von Überwachungstechnologien ist in
Zeiten digitaler Vernetzung ein hochsensibler Bereich und ein
beliebtes Mittel autokratischer Staaten, die Freiheit von Meinungen
und Medien einzuschränken und eine aktive Zivilgesellschaft zu
unterdrücken."

Auch das Sultanat Brunei hat 2016 und 2019 Überwachungstechnologie
im Gesamtwert von fast 1,3 Million Euro aus Deutschland importiert.
Brunei war im April dieses Jahres international kritisiert worden,
weil das Land die Todesstrafe für gleichgeschlechtlichen Sex
eingeführt hatte. Auch Saudi-Arabien taucht in der Liste der
genehmigten Exporte auf. Das Land hat demnach nur in kleinem Umfang
2016 Überwachungstechnologie eingeführt. Saudi-Arabien steht im
Verdacht, den kritischen Journalisten Jamal Kashoggi im vergangenen
Oktober in Istanbul in eine Falle gelockt und ermordet zu haben.

Bereits 2014 hatte der damalige Bundeswirtschaftsminister Sigmar
Gabriel (SPD) angekündigt, den Export von Überwachungsprogrammen in
Staaten, die wegen der Missachtung von Menschenrechten in der Kritik
stehen, verbieten zu wollen. Die Bundesregierung schreibt in der
Antwort nun, man prüfe "sorgfältig jeden Einzelfall und verfolgt eine
verantwortungsvolle Genehmigungspolitik, bei der die Beachtung der
Menschenrechte im Bestimmungsland von hervorgehobener Bedeutung ist."

Derartige Überwachungstechnologien können auch gegen Reporterinnen
und Reporter eingesetzt werden. Christian Mihr, Geschäftsführer von
Reporter ohne Grenzen, sagte dem NDR: "Länder wie Ägypten, Katar,
Brunei oder auch Algerien gehen seit Jahren gegen Journalistinnen und
Journalisten vor. Mir ist schleierhaft, wie die Bundesregierung trotz
Exportkontrollen zum Ergebnis konnte, die Spähtechnologie würde dort
nicht zur Unterdrückung eingesetzt werden."

Der Markt für Überwachungstechnologie in Deutschland ist
mutmaßlich noch deutlich größer, für die Ausfuhr in die meisten
Staaten - etwa in die USA oder nach Großbritannien - sind keine
Genehmigungen notwendig. Für andere Länder brauchen Konzerne eine
Genehmigung vom Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA).
Das betrifft den Export von sogenannten Dual-Use-Gütern, also von
Technologie, die auch militärisch eingesetzt werden kann. Die Antwort
listet die Exporte für die Güter-Kategorien
"Telekommunikationsüberwachung" und "Überwachungszentren und
Vorratsdatenspeicherungssysteme" auf. Keine Export-Genehmigung will
die Bundesregierung für die Kategorie "Intrusion Software", also für
Spähprogramme, mit denen sich beispielsweise Mobiltelefone direkt
auslesen lassen.

Im vergangenen Jahr hatten NDR, WDR und "Süddeutsche Zeitung"
indes darüber berichtet, dass türkische Oppositionelle mutmaßlich mit
eben solcher Software deutschen Ursprungs ausgeforscht worden waren.
Es soll sich dabei um ein Produkt der Firma FinFisher mit Sitz in
München gehandelt haben. Das Unternehmen stellt auch den sogenannten
Bundestrojaner her, eine Spionagesoftware für das Bundeskriminalamt.
Ob FinFisher eine Export-Genehmigung für die Türkei besessen hat,
wollte das BAFA damals nicht beantworten. Auch die Firma äußerte sich
nicht¹. In der aktuellen Antwort heißt es lediglich, dass für die
Produktgruppe der "Intrusion Software" keine Genehmigungen erteilt
worden seien.

Christian Mihr von Reporter ohne Grenzen sagt dazu: "Es passt
nicht zusammen, dass in der Türkei Spähtrojaner aus deutscher
Produktion auftauchen und die Bundesregierung bis heute sagt, sie
wisse von nichts. Das zeigt, dass die Exportkontrollen dringend
überarbeitet werden müssen, sowohl auf europäischer als auch auf
globaler Ebene."

Jahrelang hatte die Bundesregierung verhindert, dass Details über
die Exportgenehmigungen öffentlich werden. Zwar waren auch in der
Vergangenheit schon Summen und Anzahl von exportierter
Überwachungstechnologie veröffentlicht worden, allerdings pauschal
für mehrere Staaten und Jahre zusammengefasst. Die Bundesregierung
erklärte dazu noch vor Kurzem, dass sich eine detaillierte
Aufstellung das "Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse der betroffenen
Unternehmen" gefährde.

Eigentlich sollte eine EU-Verordnung den Export von
Überwachungstechnologie in autokratische Staaten für Mitgliedsländer
nur in sehr streng kontrolliertem Rahmen ermöglichen. Die Einigung
scheitert aber bislang am Widerstand einiger EU-Länder². Ein
schnelles Umdenken fordert nun auch FDP-Politikerin Jensen:
"Exportkontrolle braucht menschenrechtliche Standards. Es ist fatal,
dass die Bundesregierung trotz dokumentierter Fälle von Missbrauch
digitaler Software menschenrechtliche Durchgriffmöglichkeiten im
Europäischen Rat torpediert." Europa brauche "endlich einheitlich
angewandte Verfahren, eine gemeinsame politische Linie, die
humanitäre Grundsätze Europas in der Welt stärker festschreiben", so
Jensen.

¹ https://www.tagesschau.de/ausland/spaehsoftware-tuerkei-101.html

² https://www.tagesschau.de/inland/spaehsoftware-export-101.html



Pressekontakt:
Norddeutscher Rundfunk
Presse und Information
Iris Bents
Tel: 040/4156-2304
Mail: i.bents@ndr.de




http://www.ndr.de
https://twitter.com/NDRpresse

Original-Content von: NDR / Das Erste, übermittelt durch news aktuell


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