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"Implant Files" - Das gefährliche Geschäft mit der Gesundheit

Geschrieben am 25-11-2018

Hamburg (ots) - In Deutschland werden immer mehr Menschen durch
gefährliche Implantate verletzt oder getötet. Die Zahl der
nachgewiesenen Probleme mit Medizinprodukten war 2017 so hoch wie nie
zuvor, die Zahl der Verdachtsmeldungen hat sich in den vergangenen
zehn Jahren verdreifacht. Entscheidende Informationen halten die
Behörden unter Verschluss. Das zeigen Recherchen des Norddeutschen
Rundfunks (NDR), des Westdeutschen Rundfunks (WDR) und der
Süddeutschen Zeitung (SZ) in Zusammenarbeit mit dem internationalen
Konsortiums für Investigative Journalisten (ICIJ) sowie von rund 60
Medienpartnern. Die Recherchen werden unter dem Titel "Implant Files"
weltweit veröffentlicht.

Medizinprodukte können Leben retten oder Beschwerden lindern;
allerdings können sie auch schweren Schaden anrichten, wenn sie
schlecht entwickelt und kontrolliert sind. In Deutschland wurden
allein im Jahr 2017 insgesamt 14.034-mal Verletzungen, Todesfälle und
andere Probleme im Zusammenhang mit Medizinprodukten gemeldet. Das
Bundesgesundheitsministerium bestätigte, dass die zuständige Behörde,
das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM),
einen Anstieg von gemeldeten Fällen, bei denen eine "produktbezogene
Ursache" vorgelegen habe, registriert habe. Das Ministerium verweist
allerdings darauf, dass nicht bei jedem Vorkommnis zwingend ein Tod
oder eine schwerwiegende Gesundheitsverschlechterung eingetreten sei.
Woran der Anstieg genau liegt, kann auch das Ministerium nicht
erklären, da wichtige Daten überhaupt nicht erfasst werden - etwa wie
viele Medizinprodukte eingesetzt werden.

Die Dunkelziffer dürfte nach Recherchen von NDR, WDR und SZ jedoch
erheblich höher sein, da Hersteller, Ärzte und Krankenhäuser dem
Staat nur wenige Fälle mitteilen, obwohl sie zur Meldung verpflichtet
sind. Wie hoch die Diskrepanz sein kann, zeigt das Beispiel
Brustimplantate: So wurden im Jahr 2017 in deutschen Kliniken 3170
Implantate allein deshalb herausoperiert, weil das Gewebe um die
Silikonkissen schmerzhaft vernarbt war. Gemeldet wurden jedoch nur
141 Fälle. Ärzte und Kliniken würden regelmäßig auf ihre
Meldeverpflichtung hingewiesen, teilte das Bundesministerium für
Gesundheit dazu mit.

Die Behörden überlassen es zudem den Herstellern in der Regel
selbst, fehlerhafte Produkte zurückzurufen oder Sicherheitswarnungen
auszusprechen. Seit 2010 geschah dies pro Jahr etwa 1000-mal,
durchschnittlich rund dreimal pro Tag. Von den Behörden wurde ein
Rückruf im gleichen Zeitraum offenbar nur sechsmal angeordnet. Häufig
wird bei fehlerhaften Produkten überhaupt nichts unternommen: In der
Hälfte der Fälle wurden zwischen 2005 und 2016 selbst bei Produkten
der höchsten Risikoklasse, zu denen etwa Herzschrittmacher,
Knieprothesen und Brustimplantate zählen, keinerlei Maßnahmen
ergriffen.

Regelmäßig implantieren Ärzte ihren Patienten Produkte, die kaum
getestet worden sind. Selbst das Gesundheitsministerium geht laut
internen Unterlagen aus dem Jahr 2016 davon aus, dass es lediglich
für eines von zehn Medizinprodukten der höchsten Risikostufe
klinische Daten gibt. SZ, NDR und WDR konnten die entsprechenden
Dokumente einsehen. Für Patienten kann das schwerwiegende
gesundheitliche Folgen haben, die allerdings häufig gar nicht an die
Öffentlichkeit gelangen. Indem sie Entschädigungszahlungen an eine
Verschwiegenheitsverpflichtung koppeln, hindern Unternehmen
betroffene Patienten daran, über ihren Fall zu reden.

Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM)
weiß zwar als zuständige Überwachungsbehörde, welche Produkte in den
vergangenen Jahren zu den meisten Toten und Verletzten geführt haben
- auf Anfrage verweigerten jedoch sowohl BfArM als auch
Gesundheitsministerium Auskunft über die betroffenen Geräte und
Prothesen. Dies seien vertrauliche Informationen. Eine öffentlich
einsehbare Datenbank dazu gibt es weder auf Bundesebene noch bei der
Europäischen Union (EU).

Das Geschäft mit künstlichen Gelenken, Hörgeräten oder
Schrittmachern wächst. Immer mehr Menschen bekommen solche
Hilfsmittel, die Technik wird ausgefeilter, die Geräte kleiner, die
Eingriffe unkomplizierter. Das Gesundheitsministerium schätzt das
jährliche Volumen des Weltmarkts auf rund 282 Milliarden Euro. Allein
deutsche Unternehmen setzen damit rund 30 Milliarden Euro im Jahr um
und beschäftigen rund 210.000 Menschen. Nach den USA und China ist
Deutschland der drittgrößte Markt für Medizinprodukte.

Gleichzeitig ist das Implantationssystem manipulierbar, fehlerhaft
und zum Teil korrupt, wie die "Implant Files"-Recherche zeigt. In den
vergangenen zehn Jahren mussten Medizinproduktehersteller mehr als
1,6 Milliarden Dollar zahlen, um Korruptions- und Betrugsvorwürfe
beizulegen. Dies geht aus einer ICIJ-Analyse von Daten der
US-amerikanischen Börsenaufsicht SEC sowie des US-Justizministeriums
hervor.

Obwohl Medizinprodukte für viele Patienten über Leben und Tod
entscheiden oder über Mobilität und Handicap, ist der Markt höchst
intransparent. So kann das Gesundheitsministerium nicht sagen, wie
viele Produkte in Deutschland überhaupt auf dem Markt sind. Die oft
lebenswichtigen Geräte werden in Europa nicht von Behörden, sondern
von privaten Unternehmen kontrolliert und zertifiziert - in
Deutschland etwa vom TÜV oder der Dekra. Sie prüfen im Auftrag der
Hersteller deren Produkte. Scheitern die Hersteller bei der einen
Prüfstelle, können sie es bei einer anderen wieder versuchen. Im
vergangenen Jahr hat die EU zwar neue Regeln für die Zulassung und
Überwachung verabschiedet, die ab Mai 2020 in vollem Umfang gelten
sollen. Die Recherchen zeigen jedoch, dass grundlegende Probleme
bestehen bleiben werden.



Pressekontakt:
NDR Norddeutscher Rundfunk
Presse und Information
Telefon: 040 / 4156 - 2300
Fax: 040 / 4156 - 2199
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