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Mindestens 55 Milliarden Euro Schaden in Europa durch unberechtigte Steuererstattungen - Bundesregierung warnte Partner erst 2015 vor Cum-Ex

Geschrieben am 18-10-2018

Hamburg (ots) - Der organisierte Griff in die Steuerkasse durch
"steuergetriebene Aktiengeschäfte", die unter anderem als Cum-Cum-
und Cum-Ex-Geschäfte bekannt geworden sind, ist weitaus größer als
bisher angenommen. Betroffen sind neben Deutschland mindestens zehn
weitere europäische Länder. Der Schaden beläuft sich auf mindestens
55,2 Milliarden Euro. Die Bundesregierung unterließ es über Jahre,
ihre europäischen Partner zu warnen. Das haben gemeinsame Recherchen
von 19 Medienpartnern aus zwölf Ländern unter Leitung des
Recherchezentrums CORRECTIV ergeben. Aus Deutschland waren das
ARD-Magazin "Panorama" (NDR), ZEIT und ZEIT ONLINE an den Recherchen
beteiligt.

Für die "CumEx Files" wurden mehr als 180.000 Seiten vertraulicher
Akten sowie Unterlagen parlamentarischer Untersuchungsausschüsse,
interne Gutachten von Banken und Kanzleien, Kundenkarteien,
Handelsbücher und E-Mails ausgewertet. Interviews mit Insidern und
Kronzeugen sowie verdeckte Recherchen in der Finanzindustrie belegen
zudem, dass die Geschäfte bis heute weitergehen. Die Ergebnisse der
rund einjährigen Zusammenarbeit werden am Donnerstag, 18. Oktober,
unter dem Titel "CumEx Files" weltweit veröffentlicht.

Die Recherchen belegen konkret, dass durch rein steuergetriebene
Aktiengeschäfte rund um den Dividendenstichtag, also Cum-Ex, Cum-Cum
und vergleichbare Handelsstrategien, neben Deutschland auch
Frankreich, Spanien, Italien, die Niederlande, Dänemark, Belgien,
Österreich, Finnland, Norwegen und die Schweiz geschädigt wurden. Der
Schaden durch "steuergetriebene Geschäfte" von mindestens 55,2
Milliarden Euro ergibt sich aus Auskünften von Steuerbehörden sowie
Analysen von Marktdaten. Der renommierte Steuerprofessor Christoph
Spengel von der Universität Mannheim hatte bereits im vergangenen
Jahr berechnet, dass dem deutschen Fiskus zwischen 2001 und 2016
mindestens 31,8 Milliarden Euro entgangen sind. Im Zuge der "CumEx
Files" kommen nun in Frankreich mindestens 17 Milliarden, in Italien
4,5 Milliarden, in Dänemark 1,7 Milliarden und in Belgien 201
Millionen Euro dazu. Einige Staaten konnten Teilbeträge
zurückfordern. Für die anderen betroffenen Länder liegen keine
offiziellen Zahlen oder belastbare Marktdaten vor.

"Es handelt sich um den größten Steuerraub in der Geschichte
Europas", sagt Prof. Spengel. Möglich wurde der Steuerraub auch
dadurch, dass ein Informationsaustausch über die steuerschädlichen
Umtriebe innerhalb Europas kaum stattgefunden hat. So warnte
Deutschland seine europäischen Nachbarn erst 2015 über eine
OECD-Datenbank vor Cum-Ex-Geschäften, obwohl das Finanzministerium
spätestens seit 2002 Bescheid wusste. Das BMF dementiert auf Anfrage
nicht, die Nachbarn erst ab 2015 gewarnt zu haben, teilt aber
generell mit, dass man "in der Vergangenheit diverse Staaten, unter
anderem auf deren Nachfrage hin, über die Verfahrensweise bei
Cum-Ex-Geschäften informiert" habe.

Verdeckte Recherchen zeigen außerdem, dass die Geschäfte zulasten
der europäischen Steuerzahler bis heute weitergehen. Reporter von
"Panorama" und CORRECTIV gaben sich dafür als Milliardäre auf der
Suche nach Anlagemöglichkeiten aus und erhielten aktuelle Angebote
für "steuergetriebene Aktiengeschäfte" in sieben europäischen
Ländern, darunter Frankreich, Italien und Spanien. Gerhard Schick,
Finanzexperte der Grünen und Initiator des
Cum-Ex-Untersuchungsausschuss des Bundestags, sagt zu dem Angebot:
"Ich verstehe das als direkte Fortsetzung von Cum-Ex und Cum-Cum. Die
Rendite wird wieder allein aus Steuergeld erzielt."

Bei den in der Finanzbranche auch als "Tax Deals" bekannten
Geschäften werden kurzfristig riesige, oft milliardenschwere
Aktienpakete hin- und hergeschoben, um sich Steuern zu Unrecht
erstatten zu lassen. Bei Cum-Ex-Geschäften und seinen Varianten wird
eine einmal abgeführte Steuer sogar mehrfach erstattet. Neben
Deutschland waren davon auch Belgien, Dänemark, Österreich, Norwegen
und die Schweiz betroffen. So bestätigen es die jeweiligen Behörden,
offiziell oder in Hintergrundgesprächen. In Spanien und Finnland
zeigen Dokumente und Insider-Aussagen, dass Cum-Ex-Geschäfte geplant
wurden. Die jeweiligen Behörden wollen weder bestätigen noch
dementieren, dass es tatsächlich zu mehrfachen Steuererstattungen
gekommen ist. Cum-Ex wird von der Bundesregierung als illegal
eingestuft und ist Gegenstand zahlreicher staatsanwaltschaftlicher
Ermittlungsverfahren. Cum-Cum ist nicht per se illegal, die
Bundesregierung geht aber von einem Gestaltungsmissbrauch aus, wenn
die Geschäfte rein steuerlich motiviert sind. Dies ist nach Ansicht
des Mannheimer Steuerprofessors Spengel bei so gut wie allen am Markt
angebotenen Modellen der Fall. In der Praxis haben sich zudem
unzählige Varianten und Mischformen aus Cum-Ex, Cum-Cum und
vergleichbaren Handelsstrategien herausgebildet.

Erstmals äußert sich im Zuge der "CumEx Files" einer der
Hauptbeschuldigten ausführlich im Interview zu Abläufen und
Strukturen der organisierten Cum-Ex-Maschinerie. Der Insider, der als
erster aus dem innersten Kreis der Beschuldigten vollumfänglich mit
der Staatsanwaltschaft kooperiert, ist ein Topjurist, der etwa 50
Millionen Euro mit Cum-Ex-Geschäften verdient hat, die er nun
zurückzahlen muss. Bei der Staatsanwaltschaft gilt er als
glaubwürdig. Er ist Kronzeuge im wohl größten steuerstrafrechtlichen
Ermittlungsverfahren, das in Deutschland bisher geführt wurde. Im
Interview bezeichnet er die "steuergetriebenen Aktiengeschäfte" als
"organisierte Kriminalität in Nadelstreifen" und zeichnet das Bild
einer Industrie, in der Moral keinen Platz hatte. "Jeder, der Kredite
geliefert hat, der als Aktienhändler mitgewirkt hat, der als
Depotbank nur Aktien verwahrt hat, jeder Anleger, der Geld zur
Verfügung gestellt hat, wusste im Kern, was da passiert. Alle
wussten, worum es geht: dass man hier Rendite aus dem Steuersäckel
holt."

Unter dem Namen "CumEx Files" haben sich unter Leitung des
Recherchezentrums CORRECTIV 19 Medien aus zwölf Ländern
zusammengetan, um das ganze Ausmaß des Steuerraubs zu recherchieren.
Dazu gehören neben dem ARD-Magazin "Panorama" (NDR), der ZEIT, ZEIT
ONLINE und NDR Info auch die Nachrichtenagentur Reuters, Le Monde aus
Frankreich, La Repubblica aus Italien, El Confidencial aus Spanien,
News und Addendum aus Österreich, Republik aus der Schweiz, Politiken
aus Dänemark, De TIJD aus Belgien, das Recherchebüro Follow the Money
aus den Niederlanden, TT News Agency aus Schweden sowie die
öffentlich-rechtlichen Fernsehsender DR aus Dänemark, SVT aus
Schweden und YLE aus Finnland.

Die Ergebnisse der Recherchen werden auf der Website
www.cumex-files.com zusammengeführt. Neben Links zu
Veröffentlichungen aller Medienpartner sind dort weitere
Hintergrundinformationen verfügbar. Außerdem wird sich die
"Panorama"-Sendung am 18. Oktober um 21.45 Uhr im Ersten
monothematisch mit den "CumEx-Files" befassen. "Das Forum" auf NDR
Info sendet zudem an dem Tag um 20.30 Uhr ein Radio-Feature zu den
Recherchen. In den Sozialen Medien laufen sie unter dem Hashtag
#CumExFiles.



Pressekontakt:
Norddeutscher Rundfunk
Presse und Information
Iris Bents
i.bents@ndr.de
http://www.ndr.de
https://twitter.com/NDRpresse

Original-Content von: NDR / Das Erste, übermittelt durch news aktuell


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