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Pflege-Report 2018: Zu viele Antipsychotika-Verschreibungen, Dekubitus-Fälle und Krankenhauseinweisungen in deutschen Pflegeheimen

Geschrieben am 04-06-2018

Berlin (ots) - Zwischen deutschen Pflegeheimen bestehen deutliche
Qualitätsunterschiede bei der Gesundheitsversorgung. Das zeigt eine
aktuelle Analyse, die das Wissenschaftliche Institut der AOK (WIdO)
im Rahmen des Pflege-Reports 2018 durchgeführt hat. Danach ist die
Zahl der Antipsychotika-Verordnungen, Dekubitus-Fälle und
Krankenhaus-Einweisungen in vielen Pflegeheimen zu hoch. Die
Ergebnisse machen die zum Teil gravierenden Qualitätsunterschiede
zwischen den Pflegeheimen deutlich. Das WIdO hat erstmals auch
Versorgungsbereiche ausgewertet, die bislang nicht Bestandteil der
gesetzlich vorgesehenen Qualitätssicherung sind, da sie über das
Sozialgesetzbuch XI hinausgehen. "Wichtig ist, dass wir auch die uns
bekannten Probleme bei der gesundheitlichen Versorgung von
Pflegeheimbewohnern aufgreifen und nicht nur die Pflege im engeren
Sinne beleuchten", so Dr. Antje Schwinger, Leiterin des
Forschungsbereichs Pflege im WIdO und Mitherausgeberin des
Pflege-Reports.

Für den Pflege-Report 2018 hat das WIdO Kennzahlen zur
pflegerischen und gesundheitlichen Versorgung in Pflegeheimen
berechnet. Neben den Antipsychotika-Verordnungen, den Dekubitus-Raten
sowie vermeidbaren Krankenhauseinweisungen wurden außerdem noch der
ärztliche Versorgungsgrad sowie Harnwegsinfekte in Pflegeheimen
gemessen. Grundlage waren Abrechnungsdaten von AOK-versicherten
Pflegebedürftigen aus rund 5.600 Pflegeheimen.

Ein wesentlicher Befund: Je 100 Heimbewohner treten jährlich im
Durchschnitt 8,5 neue Dekubitus-Fälle auf. Das auffälligste Viertel
der Heime mit 12 oder mehr Fällen hat dreimal so viele Fälle wie das
Viertel der Heime mit den niedrigsten Raten. "Zwar muss die
unterschiedliche Risikostruktur der Pflegeheimbewohner berücksichtigt
werden", so Schwinger. Allerdings gebe es bewährte Standards in der
Dekubitusprophylaxe. Experten gehen davon aus, dass das Auftreten
eines Dekubitus bei entsprechender Pflege meist verhindert werden
kann. Schwinger: "Insofern sind die großen Unterschiede auch in den
noch nicht-risikoadjustierten Raten sehr auffällig." Pflegeheime mit
mehr Risikopatienten müssten verstärkt Aktivitäten zur
Dekubitus-Vermeidung durchführen.

Ein weiteres Ergebnis ist auffällig: 41 Prozent der Demenzkranken
im Pflegeheim erhalten mindestens einmal pro Quartal ein
Antipsychotikum. Dabei verstößt die dauerhafte Gabe von
Antipsychotika an Demenzkranke gegen medizinische Leitlinien. Genauso
wie die Häufigkeit von Dekubitus-Fällen ist auch die Zahl der
Antipsychotika-Verordnungen ein wichtiger Indikator, um die Qualität
der Versorgung in einem Heim zu bewerten. Im auffälligsten Viertel
der Pflegeheime sind es so viele, dass statistisch gesehen jeder
Bewohner mit Demenz in zwei Quartalen eine Antipsychotikaverordnung
erhält. Damit liegt diese Rate um das 1,5-fache höher als beim
Viertel der Heime mit den niedrigsten Werten.

Problematisch erscheinen auch Kennzahlen, die die Schnittstelle
zwischen Pflegeheim und Krankenhaus beleuchten.
Krankenhausaufenthalte können für die in der Regel hochbetagten,
kognitiv eingeschränkten Menschen im Pflegeheim selbst zu einem
Gesundheitsrisiko werden. Die Auswertungen des WIdO zeigen nun, dass
jeder fünfte Pflegeheimbewohner innerhalb eines Quartals ins
Krankenhaus eingewiesen wird. Gleichzeitig gelten aber 40 Prozent
dieser Einweisungen in Fachkreisen als potenziell vermeidbar. Bei
einer besseren ambulant-ärztlichen Versorgung wären sie zum Teil gar
nicht notwendig. "Selbst wenn nicht alle Fälle von
Krankenhauseinweisungen tatsächlich vermeidbar sind - die breite
Ergebnisspanne zwischen den Pflegeheimen wirft auch hier Fragen auf",
betont Schwinger. Pro Jahr summieren sich die so genannten
ambulant-sensitiven Krankenhausfälle durchschnittlich auf 32 Fälle
pro 100 Bewohner. Die fünf Prozent der Heime, die am auffälligsten
sind, haben doppelt so hohe Raten wie der Durchschnitt. Das heißt,
dort sind es 63 Fälle pro 100 Bewohner.

Um die Defizite abzustellen, ist aus Sicht der Pflege-Expertin
Schwinger zunächst noch mehr Transparenz über das tatsächliche
Versorgungsgeschehen erforderlich. Dadurch gewonnene Kennzahlen
könnten dann dabei helfen, den Erfolg von Maßnahmen, zum Beispiel
eine regelmäßige Überprüfung der Medikation oder die verbesserte
Zusammenarbeit der Pflegeheime mit Ärzten, zu messen und zu bewerten.
Für die Betroffenen sei entscheidend, dass bessere Qualität dann auch
bei den Pflegeheimbewohnern ankomme. Wer für schlechte Ergebnisse
eines Pflegeheims verantwortlich ist, ob nun Pflegekräfte,
Pflegeheimleitung oder Ärzte, sei nachrangig. "Hier müssen wir
gemeinsam Verantwortung tragen", so Schwinger.

Aus wissenschaftlicher Perspektive unterstreicht Schwinger die
Bedeutung der sektorübergreifenden Qualitätssicherung. "Es ist gut,
dass jetzt der Pflege-TÜV völlig neu aufgestellt wird. Aber die
gesundheitliche Versorgung der Pflegebedürftigen wird er weiterhin
nicht abbilden. Analog zum Krankenhaus, wo die sektorübergreifende
Qualitätssicherung über Routinedaten längst etabliert ist, sollten
wir auch im Pflegebereich die Abrechnungsdaten für die Verbesserung
der Versorgungstransparenz nutzen. Unsere Untersuchung macht hier
einen Anfang und schafft ein erweitertes Instrumentarium der
Qualitätsmessung."

Die Umsetzung einer sektorübergreifenden Perspektive mit Hilfe von
Abrechnungsdaten der Kranken- und Pflegekassen ist aus Sicht von
Schwinger machbar. Das WIdO hat sich deshalb zum Ziel gesetzt, ein
pflege- und gesundheitsbezogenes Indikatorenset für die
vollstationäre Pflege auf Basis von Routinedaten zu entwickeln.
"Perspektivisch sollen damit nicht zuletzt auch Impulse für die
intersektorale Weiterentwicklung der gesetzlichen Rahmenvorgaben zur
Qualitätssicherung gegeben werden", so Schwinger.

Pflege-Report 2018 erschienen

Der Pflege-Report 2018 mit dem Schwerpunkt "Qualität in der
Pflege" befasst sich mit Maßnahmen zur Entwicklung und Sicherung der
Qualität in der Langzeitpflege. Dazu werden aktuelle Entwicklungen
aufbereitet und kritisch gewürdigt sowie Perspektiven für weitere
Entwicklungen aufgezeigt. 16 Fachbeiträge erörtern

- theoretische Grundlagen, wissenschaftliche Anforderungen an ein
Qualitätsverständnis sowie ethische Fragen;
- Historie und Weiterentwicklung der gesetzlichen Rahmenbedingungen
sowie internationale ordnungspolitische Ansätze zur Steuerung von
Qualität;
- die Perspektive der Nutzer und Herausforderungen bei der Messung
von Lebensqualität sowie anreiztheoretische Betrachtungen zu den
Wahlentscheidungen der Betroffenen;
- Wirkungen von Qualifikation und Personalausstattung auf die
Qualität der Pflege;
- Qualität in der ambulanten und stationären Pflege sowie
Anforderungen an einen sektorenübergreifenden Zugang zu Qualität.

Jacobs K, Kuhlmey A, Greß S, Klauber J, Schwinger A (Hrsg.)
Pflege-Report 2018, Schwerpunkt: Qualität in der Pflege.
Springer, Berlin Heidelberg 2018.
ISBN Printausgabe: 978-3-662-54631-4, E-Book 978-3-662-56822-4.
232 Seiten; 53,49 EUR
https://www.springer.com/de/book/9783662568217

Weiterführende Informationen finden Sie auf www.wido.de



Pressekontakt:
Peter Willenborg
Telefon: 030 / 34646-2467
Mobil: 0173 / 8607866
E-Mail: presse@wido.bv.aok.de

Original-Content von: Wissenschaftliches Institut der AOK, übermittelt durch news aktuell


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