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71 im LKW erstickte Flüchtlinge: Ermittler hörten Drahtzieher ab

Geschrieben am 14-06-2017

Hamburg (ots) - Der Tod von 71 Flüchtlingen, die bei einer
Schleuserfahrt im August 2015 qualvoll in einem Kühl-Lkw erstickt
waren, hätte wohl verhindert werden können. Das ergeben Recherchen
von NDR, WDR und Süddeutscher Zeitung. Demnach hörten ungarische
Ermittlungsbehörden die Telefone der wichtigsten Drahtzieher bereits
zwei Wochen vor der tödlichen Fahrt ab und zeichneten ähnliche Taten
auf, bei denen Flüchtlinge zum Teil kurz vor dem Erstickungstod
standen. Und auch bei der Todesfahrt liefen die Aufnahmegeräte der
ungarischen Ermittlungsbehörden. Dennoch schritten die Behörden nicht
sofort ein - offenbar, weil die Gespräche nicht rechtzeitig
ausgewertet worden waren.

In der Ermittlungsakte, die Reporter von NDR, WDR und Süddeutscher
Zeitung zum Teil einsehen konnten, finden sich Hunderte Seiten
Gesprächsprotokolle über lebensgefährliche Schleusungen desselben
Netzwerks - auch aus der Zeit vor der entscheidenden Todesfahrt.
Immer wieder berichten in den Telefonaten die zumeist bulgarischen
Fahrer den Drahtziehern darin von klopfenden und schreienden
Flüchtlingen, die Todesangst haben. So alarmiert ein Fahrer seinen
Komplizen beinahe panisch: "Bitte ruf die Leute an, weil sie das Auto
gleich kaputt machen. Sie klopfen sehr stark." Der Komplize meint
daraufhin, er glaube, "dass sie keine Luft bekommen".

Das verantwortliche Schleppernetzwerk um einen afghanischen und
einen bulgarischen Staatsangehörigen hatte vor der tödlichen Fahrt
bereits mindestens 28 ähnliche Fahrten, zum Teil auch mit Kühl-Lkw,
organisiert. Dabei war zwar kein Flüchtling gestorben, allerdings
mussten Geschleuste mehrfach nach dem Auffinden notärztlich versorgt
werden, weil sie das Bewusstsein verloren hatten. Bei diesen Fahrten
wurden Fahrer von der Polizei in Deutschland, Österreich oder Ungarn
gefasst und umfangreiches Beweismaterial sichergestellt. Die beiden
Chefs der Schleuserbande waren den ungarischen Behörden schon
mindestens seit Anfang Juli 2015 bekannt. Am 13. August, also 13 Tage
vor der Todesfahrt, begannen ungarische Ermittler dann die Telefone
abzuhören und die Gespräche aufzuzeichnen.

Allerdings hatten die ungarischen Behörden die Telefonate offenbar
nicht rechtzeitig übersetzt und ausgewertet. Deshalb war ihnen das
lebensgefährliche Vorgehen der Schleuser womöglich nicht aufgefallen.
Wann die Telefonate konkret ausgewertet wurden, ließen die
ungarischen Behörden auch auf wiederholte Nachfragen unbeantwortet.
Da keiner der Drahtzieher verhaftet wurde, konnte die Organisation
ungehindert weitere Schlepperfahrten organisieren - mit immer größer
werdender Risikobereitschaft.

Auch die entscheidende Todesfahrt des Kühllasters zeichneten die
Ermittler auf. In einem Telefonmitschnitt, der NDR, WDR und
Süddeutscher Zeitung im Original vorliegt, beklagt sich der Fahrer
über die schreienden und klopfenden Flüchtlinge. Als er ihnen etwas
Wasser geben wollte, verbot dies der afghanische Drahtzieher in einem
Telefonat mit seinem Komplizen: "Das geht nicht, dass er die Tür
aufmacht!" Der Fahrer dürfe nicht anhalten und solle immer
weiterfahren. "Falls die Leute sterben sollten, dann soll er sie in
Deutschland im Wald abladen", sagte er weiter.

Auf Anfrage weist der Sprecher der zuständigen Staatsanwaltschaft
im ungarischen Kecskemet, Gabor Schmidt, die Vorwürfe zurück, nicht
eingegriffen zu haben. Gegenüber NDR, WDR und Süddeutscher Zeitung
sagte er: "Wenn die ungarischen Behörden die Chance gehabt hätten,
diese furchtbare Tat zu verhindern, dann hätte man das getan. Aber
die Gespräche konnten erst zu einem Zeitpunkt übersetzt und
ausgewertet werden, als diese tragische Schleusung schon durchgeführt
war." Zudem sitze nicht dauerhaft ein Beamter am Kopfhörer, da "diese
Fahrten in den Nachtstunden, also gegen drei Uhr am Morgen, fünf Uhr
am Morgen abgewickelt wurden".

Am 21. Juni beginnt in Ungarn der Prozess gegen insgesamt elf
Personen. Ihnen wird vorgeworfen, ein kriminelles Netzwerk gegründet
zu haben. Die vier Hauptbeschuldigten sind zudem wegen Mordes
angeklagt. Der führerlose Lkw war am 27. August 2015 in einer
Pannenbucht bei Parndorf in Österreich aufgefunden worden. Darin
fanden Ermittler 71 zum Teil völlig entstellte Leichen. Der Fall
hatte weltweit für große Bestürzung gesorgt.



Pressekontakt:
Norddeutscher Rundfunk
Presse und Information
Iris Bents
Tel.: 040/4156-2304
Mail: i.bents@ndr.de



http://www.ndr.de
https://twitter.com/NDRpresse

Original-Content von: NDR Norddeutscher Rundfunk, übermittelt durch news aktuell


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