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Grüne Woche 2016: Wie ernähren wir die Städte? / Zusammenfassung Global Forum for Food and Agriculture (FOTO)

Geschrieben am 17-01-2016

Berlin (ots) -

Im Jahr 2050 werden laut Prognosen der Vereinten Nationen drei
Viertel der Weltbevölkerung und damit sieben Milliarden Menschen in
Städten leben. Die zuverlässige Versorgung dieser Menschen mit
ausreichenden, gesunden Nahrungsmitteln ist eine besondere
Herausforderung. Dies betonte der Generalsekretär der Vereinten
Nationen, Ban Ki-moon, in seiner Videobotschaft zum 8. Global Forum
for Food and Agriculture (GFFA), das vom 14. bis 16. Januar parallel
zur Internationalen Grünen Woche Berlin 2016 stattfand. Drei Tage
lang diskutierten rund 2.000 Vertreter von Politik und Wirtschaft,
Wissenschaft und Zivilgesellschaft aus über 100 Ländern im Berliner
CityCube, wie die Ernährung der Menschen in den Städten künftig
gesichert werden kann und welche Rolle dabei der Landwirtschaft und
den ländlichen Räumen zukommt.

Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt erinnerte bei der
Eröffnung des Internationalen GFFA-Podiums daran, dass die größte
Migrationsbewegung unserer Zeit nach wie vor diejenige vom Land in
die Stadt ist. Damit wandern oft auch Hunger und Armut, Fehl- und
Mangelernährung mit in die urbanen Zentren. "Die rasch steigenden
Bevölkerungszahlen in den Städten, kombiniert mit unzureichender
Verfügbarkeit und fehlendem Zugang zu Nahrungsmitteln, sind ein
wachsender, ein gefährlicher Herd für soziale und politische
Instabilität", so der Minister. Der Schlüssel für eine nachhaltige
Gestaltung der Urbanisierung sei ein enger Schulterschluss zwischen
Stadt und Land, denn: "Urbanisierung kann ohne Landwirtschaft nicht
gelingen!"

Was die Städte hierfür tun können, zeigte der Bürgermeister von
Mailand, Giuliano Pisapia, auf. Nicht nur, dass der italienische
Politiker den "Milan Urban Food Policy Pact" ins Leben gerufen hat -
mit der Unterzeichnung des Bündnisses auf der Expo 2015 haben sich
die Bürgermeister von 116 Städten verpflichtet, ihre
Ernährungssysteme in Richtung Nachhaltigkeit zu entwickeln. "Wir
geben in Mailand täglich 92.000 Mahlzeiten an Schulkinder und an
Pflegebedürftige aus; dabei ist es uns gelungen, 70 Prozent der
Lebensmittelverluste einzusparen", so der Bürgermeister. Zudem habe
die Stadt Flächen für städtische Obst- und Gemüsegärten zur Verfügung
gestellt; solche Gärten gehören mittlerweile auch an jeder Mailänder
Schule zum Standard. Pisapias Prämisse: "Wir müssen das Recht auf
gesunde Nahrung für alle garantieren!"

Ann Tutwiler, Generaldirektorin der Forschungseinrichtung
Bioversity International, forderte die Wissenschaft auf, sich in der
Agrarforschung künftig weniger auf die Produktionssteigerung von
Kulturen als auf deren ernährungsphysiologische Merkmale zu
konzentrieren. Sie erinnerte daran, dass Krankheiten, die auf
schlechte oder einseitige Ernährung zurückzuführen sind, weltweit auf
dem Vormarsch sind. Dies eröffne aber auch Chancen für
Landwirtschaftsbetriebe in Städten und stadtnahen Gebieten, könnten
sie doch Lebensmittel zur Diversifizierung der Ernährung anbieten.
"Vor allem Frauen könnten sich damit neue Einkommensquellen
erschließen", so Tutwiler.

Ein Beispiel hierfür hatte Bouchaïb Harris parat. Der
marokkanische Landwirt hat seinen Betrieb 2006 auf Biolandwirtschaft
umgestellt, da die konventionelle Produktion nicht mehr rentabel war.
Mit zahlreichen Berufskollegen hat er sich vor den Toren Casablancas
zu einer Erzeugerkooperative zusammengeschlossen, die nun Gemüsekörbe
im Abosystem an die städtische Bevölkerung liefert. "Viele Bauern,
die in der Stadt nach Arbeit gesucht haben, sind aufs Land
zurückgekehrt", sagt Harris. Dadurch hätten sich ihre
Lebensbedingungen enorm verbessert. Und: "Wir haben ihren Beruf
wieder aufgewertet."

Der Generalsekretär der Weltlandwirteorganisation (WFO) Marco
Marzano de Marinis forderte die anwesenden Politiker auf, den Dialog
mit den Farmern zu suchen und diese bei der Ausgestaltung der Agrar-
und Umweltpolitik stärker einzubeziehen. Dabei stellte er fest, dass
die Landwirte weltweit vor allem vor einem Problem stehen: dem
mangelnden Zugang zu Finanzmitteln und zu Innovationen.

Diese Auffassung teilten auch die Teilnehmer des Internationalen
Wirtschaftspodiums. Sie wollten vor allem klären, wie die Land- und
Ernährungswirtschaft die Ernährung der Zukunft sichern kann und wo
die Grenzen moderner Produktionsmethoden liegen. Cornelis Pieter
Veerman, Professor an den niederländischen Universitäten Tilbug und
Wageningen, nannte die wichtigsten globalen Entwicklungen, die sich
auf Landwirtschaft und Ernährungssicherung auswirken: der
Klimawandel, der bereits jetzt dafür sorgt, dass die
landwirtschaftlichen Erträge in vielen Regionen der Erde sinken; die
Ressource Trinkwasser, die immer knapper wird; der steigende
Energiebedarf; die demografische Entwicklung, die zu massiven
Änderungen in der Nachfrage nach Lebensmitteln führt; und die
geopolitischen Machtverhältnisse, die sich zugunsten Asiens und
zulasten Europas verschieben. Um die globale Ernährung trotz dieser
Veränderungen zu sichern, müsse die Nahrungsmittelproduktion vor
allem in Asien und Afrika erhöht werden. Hierzu müssten die Bauern
und besonders die Frauen, die einen Großteil der landwirtschaftlichen
Arbeit verrichten, Zugang zu Mechanisierung erhalten. Zudem müssten
die Ausgaben für Forschung und Entwicklung im Agrarbereich massiv
erhöht werden.

"Wir leben nach wie vor in einer Welt, in der es Hunger und
Mangelernährung gibt", sagte Professor Matin Qaim von der
Universität Göttingen. Doch gebe es keinen Grund für Pessimismus:
Waren 1990 noch 21 Prozent der Weltbevölkerung unterernährt, gelte
dies heute noch für elf Prozent. Ein Großteil dieses Erfolges sei auf
Produktivitäts- und Einkommenssteigerungen in der Landwirtschaft
zurückzuführen, so Qaim. Nachhaltige könne die Produktivität aber nur
gesteigert werden, wenn bessere Technologien zum Einsatz kommen und
zudem die Funktionsfähigkeit der Märkte erhöht werde.

Innovationen und neue Produkte sind eine Seite der Medaille.
Mindestens genauso wichtig sei es, die Landwirte bei der Anwendung
der Technologien zu unterstützen. Hier könnte die Industrie helfen,
etwa indem sie den Produzenten Hochertragssaatgut zur Verfügung
stellt oder ihnen den Zugang zu Wertschöpfungsketten erleichtert,
meinte Frank Terhorst, Leiter des Saatgutgeschäfts der Bayer AG.
Dabei sollten die Landwirte stets Wahlmöglichkeiten haben, etwa
zwischen konventionellem und gentechnisch verändertem Saatgut.

Für Jason Clay, Vizepräsident der internationalen
Naturschutzorganisation WWF/USA, steht die Frage im Vordergrund, wie
der ökologische Fußabdruck der Landwirtschaft verringert werden kann.
Immerhin seien 70 Prozent des Artenschwundes auf die
Nahrungsmittelproduktion zurückzuführen, auch bei Wasserverschmutzung
und Bodendegradation nehme der Sektor eine prominente Stelle ein.
Eine bessere Ressourcennutzung müsse mit einer Verringerung von
Nahrungsmittelverlusten und einem bewussteren Konsum einhergehen.

Zum Abschluss der Diskussion baten die Veranstalter zwei
Junglandwirte, ihre Vorstellung von einer zukunftsfähigen Land- und
Ernährungswirtschaft aufzuzeigen. Der ehemalige Präsident des
Europäischen Rats der Junglandwirte, Joris Baecke, sieht den
Schlüssel dazu im lebenslangen Lernen und im Austausch von Wissen.
"Für mich heißt nachhaltige Landwirtschaft, dass ich den Betrieb in
einem besseren Zustand wieder abgebe als den, in dem ich ihn
übernommen habe", so der niederländische Landwirt. "Junge Menschen
interessieren sich nicht für Landwirtschaft, sondern für
Agrobusiness", meint Jean Kaahwa, ugandischer Landwirt und
Vorstandsmitglied zahlreicher afrikanischer
Junglandwirte-Organisationen. Viele gut ausgebildete junge Mensche
aus der Mittelschicht Afrikas würden heute wieder in den Agrarsektor
einsteigen, weil sie dort eine Möglichkeit sehen, Geld zu verdienen.

Den Höhepunkt der dreitägigen Konferenz bildete traditionsgemäß
der Berliner Agrarministergipfel, zu dem sich auf Einladung von
Bundesminister Christian Schmidt Agrarministerinnen und -minister aus
65 Ländern sowie hochrangige Vertreter der Welternährungsorganisation
FAO und der EU-Kommission trafen. In ihrem Abschlusskommuniqué
fordern die Minister, der Ernährungssicherung in den Städten auf der
globalen Agenda Priorität einzuräumen. Ohne die Landwirtschaft könne
eine nachhaltige Urbanisierung nicht gelingen, so ihre Überzeugung.
Sie verpflichteten sich, gemeinsam die politischen, wirtschaftlichen
und sozialen Rahmenbedingungen zu schaffen, die nötig sind, um drei
entscheidende Herausforderungen auf dem Weg zur globalen
Ernährungssicherheit zu meistern: eine produktive und nachhaltige
Landwirtschaft, die zugleich die wachsende Nachfrage nach
Nahrungsmitteln befriedigt, die Artenvielfalt erhält und die knapper
werdenden natürlichen Ressourcen effizient nutzt; verlässliche
Liefer- und Wertschöpfungsketten, mit deren Hilfe es gelingt, die
Nachfrage aus den Städten mit dem Angebot aus dem ländlichen Raum
zusammenzubringen und die Lebensmittelverluste auf ein Minimum zu
senken; und vitale ländliche Räume mit attraktiven Lebens- und
Arbeitsbedingungen, die dazu beitragen, die Landflucht einzudämmen
und den Bevölkerungsdruck auf die Städte zu senken.

Zum Abschluss der Konferenz wurde das Kommuniqué an den
Exekutivdirektor des Weltsiedlungsgipfels (UN-Habitat), Joan Clos,
sowie an den japanischen Vize-Agrarminister Hiromichi Matsushima
übergeben. Ziel des nächsten UN-Habitat-Gipfels im Oktober 2016 ist
es, eine neue Agenda für nachhaltige Stadtentwicklung zu
verabschieden. Japan hat aktuell den G7-Vorsitz inne.

Das Global Forum for Food and Agriculture (GFFA) wird seit 2009 im
Rahmen der Internationalen Grünen Woche veranstaltet. Auf der
hochkarätigen Konferenz treffen sich Expertinnen und Experten aus der
ganzen Welt, um über zentrale Zukunftsfragen der globalen
Landwirtschaft und Welternährung zu diskutieren. In diesem Jahr stand
das GFFA unter dem Motto "Wie ernähren wir die Städte? Landwirtschaft
und ländliche Räume in Zeiten von Urbanisierung".



Pressekontakt:
Messe Berlin GmbH
Stellv. Pressesprecher
Pressereferent
Wolfgang Rogall
Messedamm 22
14055 Berlin
T +49 30 3038-2218
rogall@messe-berlin.de


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