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Landeszeitung Lüneburg: "Das bestärkt die Extremisten" - Interview mit dem Kosovo-Experten Visar Duriqi.

Geschrieben am 17-12-2015

Lüneburg (ots) - Anfang der Woche sind die ersten Kapitel der
Verhandlungen über einen EU-Beitritt Serbiens geöffnet worden.
Brüssel wollte damit die Kompromissbereitschaft Serbiens im Kosovo
belohnen. Dieser Schritt stößt im Kosovo, das sich 2008 von Serbien
abgespalten hatte, auf Unverständnis. "Das wird die Extremisten und
Nationalisten im Land nur noch bestärken, die Gefahr eines
Bürgerkriegs wird immer größer", sagt Visar Duriqi, ein bekannter
Journalist, der seit März bei der Hamburger Stiftung für politisch
Verfolgte aufgenommen wurde, im Interview mit unserer Zeitung.

Kritischer Journalismus ist - wie Sie am eigenen Leib erfahren
mussten - gefährlich. Welche Chance hat die Pressefreiheit im Kosovo?
Visar Duriqi: Ja, in der Tat ist investigativer Journalismus im
Kosovo eine riskanter Job. Meinungs- und Pressefreiheit sind zwar in
der Verfassung verankert, aber die große Hoffnung diesbezüglich liegt
vor allem auf dem Internet. Das ist das Mittel, mit dem wir gegen
Korruption und kriminelle Machenschaften vorgehen können. Die
klassischen Medien - Fernsehen, Radio, Zeitungen - spielen eher eine
untergeordnete Rolle. Sie sind zudem zu teuer für junge Menschen.

Zu teuer?

Duriqi: Ja, ich meine in Bezug auf die Herstellung. Die
traditionellen Medien werden von wirtschaftlichen Interessen gelenkt,
und die sind oft nicht mit Negativschlagzeilen zu vereinbaren.

Sind denn Computer und Smartphones weit verbreitet?

Duriqi: Ja, die neuen Technologien sind durchaus vorhanden und die
jungen Leute kennen sich gut damit aus. Auch die englische Sprache
ist kein Problem für sie. Einige sprechen auch Deutsch oder andere
Sprachen. Nur mit Hilfe der neuen Medien können wir etwas in der
Gesellschaft verändern.

Kosovaren gehören nach den Syrern und Albanern zu den größten
Flüchtlingsgruppen in Deutschland. Allerdings werden die meisten
Asylanträge von Kosovaren abgelehnt. Warum wollen dennoch immer noch
so viele nach Deutschland? Es müsste sich doch eigentlich
herumsprechen, dass sich die Strapazen der Flucht nicht lohnen?

Duriqi: Ich will daran erinnern, dass Kosovaren, insbesondere
albanische Kosovaren, eine starke Beziehung zu Deutschland haben.
Denn schon vor dem Krieg gab es viele Menschen, die nach Deutschland
geflohen waren und dort Asylanträge gestellt haben, also in der Zeit,
als Kosovo unter serbischer Besatzung stand. Dadurch haben viele
Verwandte, die in Deutschland leben. Diese berichteten nur Positives
über Deutschland, ein tolles Land, das große Chancen bietet. Heute
ist die Flucht nach Deutschland zu einem schmutzigen Geschäft
geworden. Es gab große - illegale - Kampagnen, die für die Flucht
nach Deutschland warben. Die Schlepper haben die Leute regelrecht
belogen, verbreiteten nach wie vor das Bild vom Land, das ihre
Sehnsüchte stillen kann. Sie argumentierten, dass die deutsche
Bevölkerung immer älter wird und junge Arbeitskräfte braucht. Doch
die Träume zerplatzten. Das sind Dealer, Mafiosi, serbische Mafiosi,
die mit dem serbischen Staat kooperieren.

Und was ist mit denen, die abgewiesen werden und wieder
zurückkommen?

Duriqi: Viele kommen sogar freiwillig zurück, wenn sie merken, was
los ist. Sie sind aber nicht böse auf Deutschland, sondern sie haben
verstanden, dass sie auf große Lügen hereingefallen sind.

Korruption ist ein Tatbestand, den Sie immer wieder anprangern.
Lässt sich dieser Missstand überhaupt ändern, wenn alle - von
Parteien über Justiz bis zur Polizei - dieses Spiel mitspielen?

Duriqi: In Sachen Gerechtigkeit kann uns nur die internationale
Gemeinschaft helfen. Zum Beispiel durch die Organisation Justice and
Peace Netherlands, die die Menschen vor Ort berät. Denn wer Frieden
anstrebt, muss zuerst Gerechtigkeit schaffen, also einen
Justizapparat einrichten. Und in meinem Land haben wir kein
funktionierendes Justizwesen. Die Korruption fängt bei der Justiz an,
zieht sich über die Polizei, Schulen bis hin zur Regierung. Wir
brauchen unbedingt Unterstützung von außen. Bei uns agieren noch
Richter vom Milosevic-Regime. Das liegt daran, dass Richter, die vor
allem für die Korruptionsfälle eingesetzt wurden, mindestens 15 Jahre
Berufspraxis haben mussten. Also kamen nur altgediente Juristen zum
Zuge, die schon mindestens fünf Jahre unter Milosevic gedient haben.
Das war eine herbe Enttäuschung für junge Rechtsexperten. Auch im
Gesundheitswesen herrscht Korruption: Ärzte schanzen sich Patienten
via Prämien zu. Korruption erstreckt sich über alle Lebensbereiche,
dem können nur von außen eingesetzte starke Staatsanwälte und Berater
Einhalt gebieten.

Kosovo hat 2008 seine Unabhängigkeit von Serbien erklärt. Hat die
EU genug getan, um die Modernisierung des jüngsten Staats Europas zu
unterstützen?

Duriqi: Nicht wirklich, es ist ein schwieriger Weg. Diejenigen
Experten, die bisher via EULEX (Red.: Rechtsstaatlichkeitsmission der
EU) geschickt wurden, sind die schlechtesten, die man sich wünschen
kann. Sie sind sogar selbst Teil des korrupten Systems geworden.
Diese Mission kostet jährlich mindestens 80 Millionen Euro. Eine
große Zahl an Polizisten, Soldaten, Richtern und andere Experten ist
im Land, doch sie bewirken nicht viel, genießen ein bequemes Leben,
das dort sehr preiswert ist.

Ein Problemfall stellt die serbische Minderheit im Norden dar und
die Beziehung zu Serbien. Ganz aktuell: Die EU hat
Beitrittsverhandlungen mit Serbien eröffnet, Kosovo hat daraufhin
angeordnet, keine serbischen Personalausweise mehr zu akzeptieren.
Wann werden die Wunden der Vergangenheit verheilt sein?

Duriqi: Die Entscheidung, EU-Beitrittsverhandlungen mit Serbien
aufzunehmen, aber auf der anderen Seite die Visumspflicht für
Kosovaren - Kosovo ist das einzige Land in Europa, dessen Einwohner
zur Einreise in die EU ein Visum brauchen - nicht aufzuheben, ist
total beunruhigend. Das ist Wasser auf die Mühlen der Extremisten und
Nationalisten. 16 000 Kosovo-Albaner sind im Krieg gefallen,
800 000 wurden verschleppt, 20 000 Frauen vergewaltigt.
Das ist wirklich schlimm. Denn diese Frauen sind am Boden zerstört,
niemand will sie heiraten, oft werden sie sogar von der Familie
verstoßen. Und die Serben, die dafür ins Gefängnis mussten, können
sie an zwei Händen abzählen. Derzeit erheben sie Klagen gegen
albanische Verbrecher, aber nicht gegen serbische. Vor diesem
Hintergrund kann es keine Abkommen geben, auf denen man aufbauen
kann. Ein Staat im Staat, das macht keinen Sinn.

Die Bundesrepublik Deutschland hat Kosovo als sicheres
Herkunftsland eingestuft. Wie sicher sind die Bürger im Kosovo
tatsächlich?

Duriqi: Von Sicherheit kann nicht die Rede sein. Etwa 35 Prozent
der Bevölkerung sind arm, mehr als 60 Prozent der jungen Leute sind
arbeitslos - das sorgt automatisch für ein unsicheres Umfeld. Viele
hängen herum, sind hoffnungslos. Oft müssen sie von 50 Cent pro Tag
leben. Es ist ein Teufelskreis aus Armut und Korruption, der in die
Isolation führt.

Immer wieder hört man von Chaos im Parlament, Tränengas-Aktionen
seitens der Opposition. Ist das der richtige Weg?

Duriqi: Nein, aber was sollen wir tun, wir sind arm, isoliert,
fühlen uns ungerecht behandelt. Ein Bürgerkrieg scheint der einzige
Ausweg, d.h. die Auseinandersetzungen im Parlament haben jetzt schon
bürgerkriegsähnliche Züge.

Die Einstufung als sicheres Herkunftsland wird auch von
Regierungschef Isa Mustafa unterstützt. Was steckt dahinter und wie
kommt das bei der Bevölkerung an?

Duriqi: Weil er an der Macht ist und sich als Gutmensch verkaufen
will. Auch er gehört zum Zirkel der korrupten Gesellschaft. So hat er
kürzlich seinem Sohn einen Job in der Regierung verschafft,
Postengeschacher nach arabischer Art. Da kommt es ihm gut zupass,
wenn Deutschland den Kosovo als sicheres Land einstuft.

Könnte ein Abkommen über reguläre Arbeitsmigration Abhilfe
schaffen?

Duriqi: Durchaus, denn ohne Jobs kommen die Bürger sich vor wie
Sklaven. Ich sehe zwei Möglichkeiten, aus der Misere herauszukommen:
Deutschland investiert im Kosovo und schafft damit Jobs. Ich weiß,
dass das schwierig ist. Aber letztendlich ist es auch für Deutschland
günstiger, als die Flüchtlinge zu versorgen. Ein Anreiz für deutsche
Firmen könnten die geringen Lohnkosten sein. Oder/und es werden
Kosovaren Stellen in Deutschland angeboten. Es gibt zwar schon
Abkommen, die Arbeitsvisa ermöglichen, aber das Verfahren ist viel zu
kompliziert und auch eingeschränkt, bedarf dringend einer
Überarbeitung.

Welche Rolle spielt der IS mittlerweile im Kosovo?

Duriqi: Isis hat eine Menge Unterstützer. Kosovo hat bei nur 1,8
Millionen Einwohnern mehr als 400 000 Mudschahedin. Viele
Anhänger sind skrupellos, schrecken vor Tötung nicht zurück. 90
Prozent der Bevölkerung sind Moslems. Früher herrschte ein sehr
liberaler Islam, aber nach dem Krieg wendete sich das Blatt. Durch
die Investitionen aus Saudi-Arabien radikalisierte sich die Szene.
Mittlerweile haben wir 20 Moscheen, die Al Kaida gehören. Viele Imame
halten Hasspredigten gegen Christen und andere Minderheiten. Und die
Regierung schaut nur zu.

Kosovo hat mit Atifete Jahjaga eine Frau als Präsidentin. Welchen
Einfluss hat das auf die Rolle der Frau im Kosovo, welche Rechte
haben sie?

Duriqi: Die Sache hat einen Haken: Jahjaga wurde nicht vom Volk
gewählt, sondern vom US-Botschafter ernannt. Sie ist nur eine
Marionette und repräsentiert nicht das Volk. Sie macht ihren Job gut,
dennoch ihr fehlt der Rückhalt im Land. Die Tatsache, dass wir eine
Präsidentin haben, sagt nichts über die Rechte der Frauen aus. Sie
haben in der Realität wenig Rechte. Es gibt zwar noch ein paar Frauen
in Führungspositionen, doch oft handelt es sich lediglich um Posten
für Ehefrauen von Männern, die gute Verbindungen haben. Diese Posten,
meist ohne Einfluss, haben lediglich Repräsentationscharakter.

↔Das Interview führte

↔Dietlinde Terjung



Pressekontakt:
Landeszeitung Lüneburg
Werner Kolbe
Telefon: +49 (04131) 740-282
werner.kolbe@landeszeitung.de


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