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Mittelbayerische Zeitung: Leitartikel von Reinhard Zweigler zum Mitgliederschwund der Parteien

Geschrieben am 26-12-2014

Regensburg (ots) - Wenn zum Ende des Jahres die sorgsam gehüteten
Mitgliederzahlen der Parteien öffentlich gemacht werden, sorgt das
regelmäßig für Sorgenfalten bei den Vorständen. Auch heuer hielt der
Schwund derjenigen an, die in Parteien organisiert sind - und sich
mehr oder weniger engagieren. Auch "Karteileichen" werden in den
Statistiken mitgezählt. Es gibt viele Gründe für die anhaltenden
Mitgliederverluste: Politik-, oder genauer Parteienverdrossenheit,
Individualisierung, Überalterung. Auf der anderen Seite jedoch haben
die Dagegen-Populisten Zulauf, etwa jene von der Alternative für
Deutschland (AfD), die als einzige Partei in diesem Jahr einen
nennenswerten Anstieg zu vermelden hatte, allerdings auf
vergleichsweise niedrigem Niveau. Auch spontane Massenbewegungen -
gegen Stuttgart21, gegen Stromtrassen, gegen neue Autobahnen, gegen
die Aufnahme von Flüchtlingen in Deutschland - haben Konjunktur.
Hatten die im Bundestag vertretenen Parteien vor 24 Jahren zusammen
noch 2,3 Millionen registrierte Mitglieder, so sind es heute nur noch
etwas über eine Million. Verloren haben die SPD, die Unionsparteien,
Linke und Grüne ebenso wie die tapfer gegen den völligen Untergang
kämpfende FDP oder die Piraten. Die einstigen Trendsetter beim
Online-Datenschutz haben gar über zwei Drittel verloren. Insgesamt
erodiert schleichend die Basis, die Verankerung und Legitimität der
etablierten Parteien im Volk. Auf der anderen Seite ist die "Macht"
dieser Parteimitglieder, oder sagen wir besser der Parteispitzen,
enorm. Sie entscheiden über die Aufstellung von Kandidaten für die
Parlamente, mitunter sogar über den Kanzlerkandidaten ihrer Partei.
Oder darüber, wer in Berlin neuer Regierender Bürgermeister wird, wie
die hauptstädtische SPD kürzlich. Schöne Parteiendemokratie. Der
enorme politische Einfluss der etablierten Parteien steht im krassen
Gegensatz zu ihrem Ansehensverlust. Na ja, von Angela Merkel einmal
abgesehen. Die CDU-Vorsitzende surft regelrecht auf einer Welle der
Popularität, die sie möglicherweise 2017 zu ihrer vierten
Kanzlerschaft tragen könnte. Dass die Union nicht nur an Mitgliedern,
sondern auch an Wählern verliert, wird im Glanze Merkels oft
übersehen. Haben die etablierten Parteien, vor allem die großen
Volksparteien - CDU/CSU und SPD - ausgedient? Liegt die Zukunft der
Demokratie auf der Straße? Ist mehr direkte Demokratie die Lösung?
Die Antworten auf solche Fragen sollte man sich nicht einfach machen.
Die schleichenden Entwicklungen der vergangenen Jahre dürfen nicht
achselzuckend zur Kenntnis genommen werden. Die Parteien müssen sich
fragen, wie sie wieder und besser an die Bürger und Bürgerinnen
herankommen. Dabei gilt das gewiss nicht einfach zu bewerkstelligende
Motto: Dem Volk aufs Maul schauen, ihm jedoch nicht zum Munde reden.
Mehr direkte Beteiligung der Bürger an bestimmten Vorhaben, nehmen
wir nur die umstrittenen Stromtrassen, ist ganz sicher nötig. Einsame
Entscheidungen von Planungsbehörden, die noch dazu von oben
übergestülpt werden, sind von gestern. Wenn direkte Demokratie
freilich nur "Dagegensein" bedeutet, wird es auf Dauer problematisch.
Dabei muss man ebenfalls nüchtern zur Kenntnis nehmen, dass
politische Debatten, etwa im Bundestag, lange nicht mehr die
Anziehungskraft haben, die sie in vergangenen Jahrzehnten hatten.
"Straßenfeger" sind Regierungserklärungen der Kanzlerin oder wichtige
Debatten schon lange nicht mehr. Die satirische "heute-Show" des ZDF
hat Millionen mehr Zuschauer als die Live-Übertragungen bei Phoenix.
Gebraucht wird beides. Bei den legendären Rededuellen mit Willy
Brandt, Herbert Wehner, Helmut Schmidt, Hans-Dietrich Genscher,
Helmut Kohl oder Franz Josef Strauß sah das noch anders aus. Dabei
muss das kollektive politische "Lagerfeuer" via Bildschirm gar nicht
mehr sein. Die digitalen Medien bieten viel mehr Möglichkeiten, sich
zu informieren und einzumischen, als zu Zeiten der Altvorderen. Man
muss es nur tun.



Pressekontakt:
Mittelbayerische Zeitung
Redaktion
Telefon: +49 941 / 207 6023
nachrichten@mittelbayerische.de


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