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Mittelbayerische Zeitung: Berlin will Spartengewerkschaften verbieten, ihre Partikularinteressen zu vertreten. Das ist Heuchelei. Leitartikel von Martin Anton

Geschrieben am 28-08-2014

Regensburg (ots) - Ja, es ist nervig, wenn die Bahn nicht fährt
und ja, es ist schwer zu vermitteln, dass Berufseliten für hohe
Pensionsgelder den Flugverkehr lahmlegen. Wie schön wäre es, wenn
alle Arbeitnehmer miteinander für höhere Löhne und bessere
Arbeitsbedingungen streiten würden - und danach alle eine Weile ihre
Ruhe hätten. Diese Tarifeinheit gesetzlich vorzuschreiben ist
allerdings juristisch hoch fragwürdig, ungerecht und vor allem
realitätsfremd. Denn nehmen wir einmal an, die mächtigen
Kleingewerkschaften veranstalten diese Streiks tatsächlich nur, um
möglichst viel für sich herauszuschlagen, ohne jegliche Rücksicht auf
den Rest der Bevölkerung. Und? Damit folgen sie lediglich der Logik
der Entsolidarisierung, die unsere Gesellschaft seit Jahren bestimmt.
Dass jeder nur darum besorgt ist, seinen eigenen Lebensstandard zu
sichern oder auszubauen, zeigt sich in der steigenden Kinder- und
Altersarmut ebenso wie in den aktuellen Debatten um Ausländermaut und
Flüchtlingsstopp. Hinzu kommt, dass die Unternehmen seit Jahren
selbst die Zersplitterung der Arbeitsverhältnisse vorantreiben. Die
Deutsche Bahn ist eben nicht die Deutsche Bahn sondern die Deutsche
Bahn AG, mit hunderten Splitterarbeitgebern, wenn man so will. Und
selbst wenn die Lufthansa einen Tarifvertrag für alle ihre
Beschäftigten aushandelt, heißt das noch lange nicht, dass zwischen
Parkplatz und Startbahn nicht irgendjemand streiken kann, der bei
einer Tochtergesellschaft des Dienstleisters arbeitet, den der
Flughafenbetreiber mit irgendwas beauftragt hat. In einem
wirtschaftlichen und politischen Klima, das Egoismus fördert, in dem
prekäre Beschäftigung und Erwerbsarmut wuchern, alles Markt, alles
Wettbewerb ist und nur Rendite zählt, in einer Gesellschaft, in der
Solidarität sich häufig nur ein symbolischer Akt in einem
YouTube-Video ist, sollen ausgerechnet die Lokführer und Piloten sich
ihrer gesellschaftlichen Verpflichtung bewusst werden und vernünftig
sein - weil ihre Berufe schließlich die Daseinsvorsorge betreffen. Da
bei Durchprivatisierung und Börsenfinanzierung niemandem eingefallen
ist, dass Dinge wie Verkehr und gesundheitliche Versorgung vielleicht
funktionieren sollten, wird den Splittergewerkschaften die
Solidarität mit der Gesellschaft also jetzt per Gesetz nahegelegt.
Das sich das schwieriger gestaltet als gedacht, hat weniger mit
gewerkschaftlicher Solidarität zu tun - der Deutsche
Gewerkschaftsbund war anfangs von der Tarifeinheitsgesetzidee
geradezu begeistert, versprach sie doch mehr Macht - sondern mit dem
Grundgesetz. Denn dort ist im Artikel 9 Absatz 3 die
Koalitionsfreiheit "für jedermann und für alle Berufe" festgelegt.
Sicherlich gibt es Juristen, die in dem Prinzip "ein Betrieb, ein
Tarif", wie er der schwarz-roten Koalition vorschwebt, eine
Einschränkung dieses Rechts sehen würden - sowie das
Bundesarbeitsgericht 2010. Und so kann Frau Nahles damit rechnen,
dass GDL, Cockpit und Marburger Bund schneller Klage gegen ein
mögliches Tarifeinheitsgesetz einreichen als sie "verfassungstreu"
sagen kann. Bundesregierung, Arbeitgeber, die großen Gewerkschaften,
Vielflieger und Bahnpendler müssen sich also wohl auch künftig auf
den gelegentlichen Splitter-Streik einstellen und vielleicht ist das
auch gar nicht so schlimm. Denn was passieren kann, wenn
Einheitsgewerkschaften es versäumen, die Interessen der Arbeitnehmer
angemessen zu vertreten, kann man immer wieder in anderen Ländern
beobachten: Wilde Streiks, Gewalt und sogar Geiselnahmen und Tote. Da
scheint das Warten auf die Bahn doch das kleinere Übel.



Pressekontakt:
Mittelbayerische Zeitung
Redaktion
Telefon: +49 941 / 207 6023
nachrichten@mittelbayerische.de


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